bu17 freidenspreisist die Laudatorin von Margaret Atwood, die den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels in der Paulskirche erhält, Teil 2/4

Felicitas Schubert und Hans Weißhaar

Frankfurt am Main (Weltexpresso) -In den Mittelpunkt ihrer Dankesrede stellte Margaret Atwood die Kraft des Geschichtenerzählens und die Aufgabe der Schriftstellerinnen und Schriftsteller in schwierigen Zeiten.

„Geschichten haben es in sich. Sie können das Denken und Fühlen der Menschen verändern – zum Besseren oder zum Schlechteren“, sagte Atwood. Warum und mit welchem Zweck der Mensch Kunst, und damit auch das Erzählen von Geschichten betreibe, darauf gebe es keine eindeutige Antwort. „Was macht man damit? Lernen, lehren, uns ausdrücken, die Realität beschreiben, uns unterhalten, die Wahrheit darstellen, feiern oder gar anklagen und verfluchten?“, fragte Atwood. Klar sei: Der Mensch habe seit je her Kunst geschaffen.

Wir lebten aktuell, so Margaret Atwood in einem „seltsamen historischen Augenblick“, in „Zeiten von Bedrohung und Wut“. Sie veranschaulichte die Lage mit dem, was sie als Schriftstellerin am besten kann, mit einer Fabel: einer Geschichte vom Wolf, der für die vermeintlich perfekte Welt die Zivilgesellschaft abschafft und das friedliche Zusammenleben opfert, und von Kaninchen, die vor Verwirrung und Angst erstarren. Angesichts des gespannten gesellschaftlichen Klimas, sozialer Ungerechtigkeit und der zunehmenden Bedrohung von Umwelt und Natur müssten sich, so Atwood, die Bürger jedes Landes dieselbe Frage stellen: „In was für einer Welt wollen sie leben?“

Der Schriftstellerin oder dem Schriftsteller der heutigen Zeit komme eine wichtige Aufgabe zu: „Natürlich soll er oder sie vor den Mächtigen die Wahrheit aussprechen, die Geschichten erzählen, die verdrängt worden sind, den Stimmlosen eine Stimme geben. Und viele Schriftsteller haben das getan, oft haben sie sich Ärger eingehandelt und manchmal hat es sie das Leben gekostet.“ Eine Geschichte richte sich immer an denjenigen, der sie gerade höre oder lese – und dieser gestalte den Schöpfungsakt durch seine Art der Rezeption mit. „Ein Buch ist eine Stimme in deinem Ohr; die Botschaft ist – während du sie liest – für dich allein bestimmt“, sagte Atwood.

Margaret Atwoods Werk, so die Laudatorin Eva Menasse, die unser Foto direkt links hinter und neben der Preisträgerin plaziert, zeige besonders gut, „wie Literatur sein muss, um auch eine politische Wirkung zu entfalten. Es zeigt, wie politische und gesellschaftliche Analyse Eingang finden, ohne die Literatur zu verbiegen oder zu beschweren.“ Ihre Erzählungen seien „realistisch, wahrhaftig, und immer ein wenig beispielhaft. Vor allem zeigen sie die anderen Möglichkeiten auf. Möglichkeiten liegen ja überall und in allem. Indem wir leben, treffen wir ständig Entscheidungen, die Möglichkeiten vernichten, Tag für Tag, Jahr für Jahr. Nur im Schreiben kann man sie wieder lebendig machen, die Varianten ans Licht holen, lachen und weinen darüber, was alles möglich gewesen wäre“, sagte Menasse.

Heinrich Riethmüller, Vorsteher des Börsenvereins, bezeichnete Margaret Atwood als „Mahnerin für Frieden und Freiheit“: „Mit ihren Gedichten schärft Margaret Atwood unseren Blick für das Leben in all seinen Facetten, für seine Ungewissheiten, seine Widersprüche, seine Schönheiten. Sie öffnet uns mit ihren Romanen aber auch die Augen dafür, wie düster eine Welt aussehen kann, wenn wir unseren Verpflichtungen für ein friedliches Zusammenleben nicht nachkommen. Für dieses wache Bewusstsein, dem Kern ihrer Literatur und Poesie, wollen wir sie heute auszeichnen“, sagte Riethmüller.


Foto: 
Friedenspreis des Deutschen Buchhandels: Heinrich Riethmüller, Vorstand des Börsenvereins, Staatsministerin Monika Grütters, Autorin Eva Menasse, Preisträgerin Margaret Atwood, OB Peter Feldmann (v.l.n.r.) © stadt-frankfurt.de

Info:
Seit 1950 vergibt der Börsenverein des Deutschen Buchhandels zum Abschluss der Frankfurter Buchmesse den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Preisträger waren neben Amos Oz und Albert Schweitzer unter anderem Astrid Lindgren, Václav Havel, Jürgen Habermas, Susan Sontag, David Grossman, Liao Yiwu, Navid Kermani und im vergangenen Jahr Carolin Emcke. Der Preis ist mit 25.000 Euro dotiert.