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Kategorie: Zeitgeschehen
kpm Gorki und Stalin 1929Maxim Gorki und die russische Revolution von 1917, Teil 3/3

Klaus Philipp Mertens

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Bereits vor dem Petersburger Blutsonntag fand Maxim Gorkis literarischer Entwurf eines „neuen Menschen“ auch auf der Bühne starke Resonanz.

Vor allem seine Theaterstücke "Die Kleinbürger" (1901) und "Nachtasyl" (1902) wurden zu großen Publikumserfolgen. Ähnlich wie in seinen Erzählungen überzeugte er durch wirkungsvolle Monologe, die bereits den Geist der künftigen Revolution atmeten. Doch auch insgesamt entwickelte sich das russische Theater sehr schnell zur Stätte einer revolutionären Kunst.

Doch Gorki ist sich der Schwächen seiner Stücke bewusst. Es fehlt ihnen an aufbauender Handlung. Und so bezeichnet er sich selbst als einen "armseligen Dramatiker". Im Untertitel nennt er seine Werke lediglich „Szenen“. Immer wieder arbeitet er einzelne Stücke um und so existieren häufig zwei Fassungen. Der Beifall, den seine Schauspiele finden, liegt darum auch weniger an ihrem künstlerischen Wert, dafür umso mehr an ihrer zeitgeschichtlichen Aktualität. Ihre Protagonisten drücken den seelischen Zustand des russischen Publikums an der Jahrhundertwende aus. Sie bringen die Trostlosigkeit der Zustände zur Sprache und sie rechtfertigen auf ihre Weise die Revolution des Jahres 1917.


Der Schreibtischrevolutionär

Auf die blutigen Ereignisse von St. Petersburg folgt eine kurze Zeit der politischen Lockerung. Maxim Gorki schreibt unaufhörlich Artikel für die revolutionäre Zeitschrift „Neues Leben“, die von deren Chefredakteur, Lenin, mit großer Zustimmung veröffentlicht werden. Als das politische Klima wieder umschlägt, geht er ins Ausland, zunächst nach Frankreich. Dort polemisiert er heftig gegen eine Anleihe westlicher Staaten an das vom Russisch-Japanischen Krieg geschwächte Zarenreich. Deswegen ist ihm die Rückkehr in die Heimat nicht möglich. So verbringt er die Jahre 1907 bis 1913 auf der Insel Capri, wo er sich ausschließlich mit Schriften für einen revolutionären Umsturz beschäftigt. Mit Lenins Unterstützung gründet er eine Schule für Revolutionäre und Propagandisten und korrespondiert intensiv mit Vertretern der russischen Opposition.

In diese Zeit fallen auch Gorkis erste Auseinandersetzungen mit Lenin. Gorki, für den die Religion zeitlebens eine wichtige Rolle gespielt hat, lässt sich von dem Naturwissenschaftler und Philosophen Alexander Bogdanow inspirieren, der eine Wissenschaftstheorie vertritt, die eine Brücke zwischen Idealismus und Marxismus schlagen will. Lenin verurteilt diesen so genannten Empiriokritizismus als „Abweichung vom Marxismus“. Da Gorki in seiner Schrift „Eine Beichte“ ebenfalls für eine Versöhnung zwischen Christentum und Marxismus eintritt, ist ihr bislang gutes Verhältnis nunmehr von Konflikten gezeichnet. Eine Amnestie anlässlich des dreihundertjährigen Jubiläums des Hauses Romanow im Jahr 1913 ermöglicht es dem Dichter, wieder nach Russland zurückzukehren.

Russlands Eintritt in den Ersten Weltkrieg offenbarte die Desorganisation des Militärs und dessen zum Teil veraltete Ausrüstung. Er beschleunigte den wirtschaftlichen Niedergang des Landes und machte die sozialen Spaltungen unübersehbar. Der Mangel an Lebensmitteln in einem weithin von der Landwirtschaft geprägten Staat war geradezu skandalös. Die zaghaften Reformversuche nach dem Petersburger Blutsonntag, die auch im Zusammenhang mit dem Russisch-Japanischen Krieg gesehen werden müssen, der das Land überforderte, erwiesen sich als absolut unzureichende Antworten auf die drängenden gesellschaftlichen Fragen.

Die Antwort vor allem der Industriearbeiter und der Intellektuellen war die Februarrevolution des Jahres 1917 (gemäß gregorianischem Kalender fand sie nicht am 23. Februar, sondern am 8. März statt); sie beendete die Zarenherrschaft in Russland. An die Stelle der absoluten Monarchie trat zunächst ein Nebeneinander von Parlament (Duma) und Arbeiter- und Soldatenräten (Sowjet). Die Duma setzte eine Provisorische Regierung ein, die zunächst unter der Leitung von Ministerpräsident Georgi Jewgenjewitsch Lwow stand, danach unter der von Alexander Fjodorowitsch Kerenski. Sie plante für den Herbst 1917 die Wahl einer verfassunggebenden Versammlung, die über die künftige Staatsform Russlands entscheiden sollte. Das Festhalten Kerenskis am Krieg gegen das Deutsche Kaiserreich, Österreich-Ungarn und deren Verbündete forderte vor allem den Widerspruch der Arbeiter- und Soldatenräte und der Frontsoldaten heraus. Lenin nutzte diese Gunst der Stunde, führte die Revolution im Oktober (7. November 1917) gewaltsam zu Ende und übernahm mit seinen Bolschewiki die Macht in Russland.


Kritiker der nicht-marxistischen Revolution

Maxim Gorki begleitet die Entwicklung im Oktober mit großer Skepsis, was erneut zu einer Auseinandersetzung mit Lenin führt. Zwar spricht er sich grundsätzlich für eine soziale Revolution aus, hält aber das russische Volk dafür noch nicht reif. Die vielfach ungebildeten Massen müssten erst noch das notwendige Bewusstsein entwickeln. Denn immerhin würde ein solcher Umsturz einen Riesenschritt bedeuten, heraus aus dem Feudalstaat hinein in den Sozialismus und damit eine kapitalistische Epoche völlig überspringen. Später äußert er Befürchtungen, „dass die Diktatur des Proletariats zur Auflösung und Vernichtung der einzigen wahrhaft revolutionären Kraft [...] führen könnte: der bolschewistischen, politisch geschulten Arbeiterschaft.“ Diese Vernichtung würde auf lange Zeit auch die Idee der sozialen Revolution selbst kompromittieren.

Unmittelbar nach der Revolution gründet Gorki mehrere Vereine, um dem von ihm befürchteten Verfall von Wissenschaft und Kultur entgegenzuwirken. Als einige Intellektuelle, unter anderem auch Gorki, ein Hilfskomitee für die Hungernden gründen, werden viele verhaftet, da Lenin eine Verschwörung vermutet. Lenin legt Gorki nahe, seine Lungentuberkulose in einem ausländischen Sanatorium behandeln zu lassen.

Vom Dezember 1921 bis zum April 1922 wird Gorki im Lungensanatorium St. Blasien/Schwarzwald behandelt, anschließend hält er sich in Berlin auf, dann in Heringsdorf an der Ostsee. Sein Aufenthalt in Deutschland wird von der Sowjetischen Handelsmission finanziert, die gleichzeitig Deutschlandzentrale der Tscheka, des Geheimdienstes, ist.

Nach Lenins Tod kehrt Gorki nicht in die Sowjetunion zurück, da er Lenins Nachfolgern misstraut. Ende des Jahres 1923 findet er im italienischen Sorrent ein neues Domizil, wo er bis 1927 bleibt. Während dieser Zeit schreibt er seine „Erinnerungen an Lenin“, in denen er den Revolutionär als den Menschen bezeichnete, den er am meisten geschätzt habe.

Auf Reisen durch die Sowjetunion bestaunt er die sichtbaren technischen und sozialen Errungenschaften. Die Schattenseiten scheint er nicht zu bemerken. Seine Villa in Moskau wird rund um die Uhr vom KGB überwacht. Nach wie vor engagiert er sich in der Volksbildung und bei der Förderung junger Autoren.

Am 18. Juni 1936 stirbt Gorki, seine Urne wird an der Kremlmauer in Moskau beigesetzt. Um seine Todesursache ranken sich zahlreiche Gerüchte. Heute wird jedoch überwiegend von einem natürlichen Tod als Folge seines bereits angegriffenen Gesundheitszustands ausgegangen.


Foto:
Maxim Gorki und Stalin 1929

Info:
Dieser Beitrag ist die gekürzte Fassung des gleichnamigen Vortrags, der am 17. Februar 2014 vor dem Theaterseminar der Volkshochschule Frankfurt a.M. gehalten wurde. Der vollständige Text erschien im September 2014 in der Nullnummer der geplanten digitalen Literaturzeitschrift „Brücke unter dem Main“, die seit Herbst 2015 vom Frankfurter Literatur- und Kulturverein PRO LESEN herausgegeben wird.