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Kategorie: Zeitgeschehen
hz.Gedenkplatte am Abend Synagoge optDie Pogromnacht von 1938 bleibt lebendig, weil antisemitische Hetze und gruppenbezogene Diskriminierung unausrottbar sind

Heinz Markert

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Die Verleugnung des Menschen durch die eigene Art ist der Abgrund der menschlichen Gattung als solcher schlechthin. Keine Tierart würde sich auf derartige Emotionen verlegen. In diesem Betracht liegt offensichtlich ein Defekt zugrunde, dessen Erklärung und Auflösung einem Wunder gleichkäme.

Die alljährliche Gedenkveranstaltung an der Friedberger Anlage 5/6 in Frankfurt am Main, anlässlich der Pogromnacht von 1938, die sich brandschatzend und mordend gegen Menschen mit jüdischen Wurzeln richtete, ist ein immerwährender Grund zum zeremoniellen Begehen von Menschlichkeit, schließt das Versammeln der unmittelbar und mittelbar Betroffenen und der im Herzen Angesprochen ein.

hz.Ostend Synagoge optDie Gedenkansprache hielt Architekt Dietrich Wilhelm Dreysse, ein Mann, der sich einmischt, wenn in Frankfurter Angelegenheiten Gehirn gefragt ist. 1938 wurde die größte Synagoge der Israelitischen Religionsgemeinde in Frankfurt durch einen nationalsozialistischen Mob gestürmt, gebrandschatzt und bis auf erbärmliche Reste dem Erdboden gleichgemacht. Da ohnehin auch jüdische Läden gestürmt und alles, was es hergab, in Scherben gehauen wurde – wobei kristalline Scheiben weit hingestreut wurden -, bürgerte sich im Volksmund der verhüllende Ausdruck ‚Kristallnacht‘ für die Untat ein, die bis heute sich als die ungeheuerlichste Schandtat des deutschen Volkes ins Gedächtnis eingeprägt hat.

Niemand konnte sagen, er habe von nichts gewusst. Und wie der Kulturbruch zu erklären ist, daran müssen sich noch Generationen von Wissensbegierigen abarbeiten. Die Mehrzahl der Deutschen zog es vor zu schweigen und erging sich in der Rolle des Zuschauers.


Morgenländischer Historismus

Die prächtige Synagoge wurde 1907 eingeweiht und hat bis 1938 31 Jahre gestanden. Der Sakralbau ist nach Elementen der Romantik und des Orientalismus errichtet. Die Gemeinde, die 1200 Gläubige zählte, setzte sich aus gut integrierten und in vielerlei Hinsicht für den Gemeinnutz engagierten Mitgliedern zusammen. Da gab es die Strenggläubigen und die Orthodoxen, aber auch die modern Weltoffenen. Aber, wenn es um Gründungen im Sinne des Gemeinwohls in Frankfurt ging, waren sich alle einig, dass das gut sei und es das Stadtleben zum Nutzen aller bereichere und voranbringe.

Die Gemeinde fühlte sich als aktiver Teil der Frankfurter Gesellschaft, was seinen lebendigen Ausdruck in vielen Aktivitäten und Gründungen der Stadtgesellschaft fand. Bedeutend war das Wirken auch um den Aufstieg von Bildung, Wissenschaft und Rechtspflege, was weit über Frankfurt hinaus Wirkung zeitigte und Anerkennung fand.


Die ‚Kristallnacht‘ war ein NS-Event, mit dem die Mordmaschine gestartet wurde

hz.Gedenkplatte 2 optDie Kristallnacht war der Beginn der Ausrottung der Deutschen mit jüdischen Wurzeln. Und verhängnisvoll war, dass all das, was Menschen zusammenführt, in Stücke gehauen wurde. An die Stelle der prachtvollen Synagoge wurde 1942/43 ein Bunker in den Boden gerammt. Er misst 16 Meter in der Höhe. ‚Wer Bunker baut, wirft Bomben‘, lautet ein Diktum. Er war ‚ein Kriegsbauwerk, um den Krieg noch vernichtender führen zu können‘, befand Bürger Dreysse, entsprechend dem mörderischen Kalkül: ‚Schutz bieten, aber im Äußeren noch heftiger vorgehen‘. Kriegshandwerk ist erbarmungslos. Ein Mechanismus, der immer noch in Kraft ist, sehen wir uns den Jemen gegenwärtiger Tage an.


Die Bildungsstätte Hochbunker

Der Hochbunker wird von der ‚Initiative 9. November e. V./Tag des Novemberpogroms 1938‘ genutzt und mit Leben erfüllt. Sie hat ihn zu einem beeindruckend aufklärenden Ort der Information über deutsch-jüdisches Leben in Frankfurt gemacht. Die jüdische Geschichte setzt sich in Frankfurt fort. Der Bunker ist zum Ort einer Erinnerungs- und Lernstätte geworden, besonders durch die Ausstellung zum alten Ostend, das zu vierzig Prozent von deutschen Juden bewohnt war. Die Ausstellungen zeigen viel von einer deutschen Vergangenheit, die nicht mehr ist und gibt über einen unersetzlichen Verlust an lebendiger Vielfalt rege Auskunft.

Fotos: © Heinz Markert

Info:

Im Bunker-Erdgeschoss findet sich die Ausstellung ‚Ostend – Blick in ein jüdisches Viertel‘.

Untergliedert ist die Ausstellung wie folgt: Ostend · Eine gute Adresse, Die Israelitische Religionsgemeinschaft · Alltag, Jüdische Wohlfahrtspflege, Firmenadresse Ostend, Novemberpogrom 1938, Massendeportationen, Neuanfang · Das Ostend nach 1945.

Im ersten Obergeschoß findet sich die am 5. November 2017 eröffnete Dauerausstellung:

‚Vom DP-Lager Föhrenwald nach Frankfurt in die Waldschmidtstraße‘.

Wir berichteten am 25. Juni 2016 zum damaligen Stand der Sammlung Föhrenwald (nahe Wolfratshausen, Oberbayern), aufgreifbar unter dem Suchbegriff: Föhrenwald auf weltexpresso.de.

Stationäre Untergliederungen: Blick auf die Waldschmidtstraße (Frankfurt), Regierungslager für heimatlose Ausländer (Schriftzug auf amtlichem Schild), ‚Plötzlich gab es mitten im Ort einen Judenblock‘, Neustart in den Beruf, Erziehung in Föhrenwald, Schule - Erziehung - Sport – Freizeit; deutsche Nachkriegsgeschichte, Täter in Politik und Verwaltung (Theodor Oberländer, Rudolf Prestel), Zeitzeugenbeschreibung.

Ebenfalls im ersten Obergeschoß findet sich die Ausstellung ‚Jüdische Musikerinnen und Musiker in Frankfurt 1933 -1942‘. Auf fotobebilderten Tafeln finden sich die Lebensbeschreibungen und Schicksalsschilderungen der Musikerinnen und Musiker.

Eine Besonderheit noch: Im Rahmen der Reihe BunkerRaumKlang ist für den 26. Nov. 2017, 17 Uhr im Hochbunker das Jahresabschluss-Konzert mit dem ‚One Earth Orchestra‘ und den afghanischen Musikern Ustad Ghulam Hussain und Mirweis Neda angesetzt.

Ort der Ausstellungen: Hochbunker Friedberger Anlage 5/6, Frankfurt am Main/Ostend.

Die Ausstellungen sind jeweils sonntags vom 14. Mai bis 26. November von 11-14 Uhr geöffnet. Führung durch die "Ostend-Ausstellung" jeweils um 11.30 Uhr. Eintritt: 3,- Euro, Führung zusätzlich 3,- Euro. Außerhalb dieses Zeitrahmens können Besuchstermine und Führungen für Schulklassen und andere Gruppen unter der Tel.: 069/212 74237 vereinbart werden. Der Besuch erfordert warme Kleidung.