Bildschirmfoto 2017 12 15 um 11.20.18Höhenflug des israelischen Regierungschefs Netanyahu endet in Brüssel

Jaques Ungar

Brüssel (Weltexpresso) - Beim Treffen in Brüssel hat Binyamin Netanyahu die EU aufgefordert, Jerusalem als Hauptstadt Israels anzuerkennen – ihm wurde eine Absage erteilt.

In Belgien herrschte nicht nur wegen der winterlichen Witterung eine kalte Atmosphäre, sondern politisch auch wegen der deutlich gestiegenen Spannungen zwischen der israelischen Haltung in Sachen Palästinenserkonflikt und jener von der Europäischen Union (EU) manifestierten, gegen Präsident Donald Trump gerichteten Position. Im Verlauf seines Treffens mit den EU-Aussenministern in Brüssel sagte der der israelische Regierungschef Binyamin Netanyahuzu seinen Gesprächspartnern, die EU müsse aufhören, die Palästinenser zu «verwöhnen», sondern sollte sich ein Beispiel nehmen an US-Präsident Trump, der im Gegensatz zur EU den Palästinensern die Wahrheit gesagt habe, als er Jerusalem als Israels Kapitale anerkannte.


Selbstsicheres Auftreten

Überhaupt hat der israelische Regierungschef nach der moralischen Unterstützung durch Washington sichtlich an Selbstvertrauen zugelegt. Das bewies er unter anderem dadurch, dass er in Brüssel völlig seriös die Ansicht vertrat, letzten Endes würden alle EU-Staaten («oder zumindest die meisten») ihre Botschaften nach Jerusalem verlegen. Fürs Erste verbirgt sich hinter solchen Bemerkungen sicher ein Wunschdenken, das wahrscheinlich der sprichwörtliche Vater des Gedankens war. Die EU als Ganzes hat er jedenfalls mit seinem Bild von einem diplomatisch-europäischen Massentreck nach Jerusalem kaum überzeugt.

Auch in anderer Beziehung demonstrierte Netanyahu selbstsicheres Auftreten, dessen Wurzeln in den letztwöchigen Bemerkungen Trumps liegen dürften. So meinte er während eines Essens mit den EU-Aussenministern, dass Israel eine Ausbreitung des IS verhindert habe. «Damit wollen wir uns selber schützen, aber auch Europa.» Im Nahen Osten gebe es keine Nation, fügte der israelische Premier hinzu, die Europa so beschütze wie Israel. Und wenn es nicht stimmt, ist es wenigstens gut erfunden, das dürfte während Netanyahus Äusserungen in Brüssel der (italienischen) EU-Aussenministerin Federica Mogherini mehrmals auf der Zunge gelegen haben.


Vorwurf der Heuchelei

Nach den Unterredungen mit fast allen EU-Aussenministern erklärte Netanyahu gegenüber den ihn begleitenden Reportern, die Siedlungen seien nicht das zentrale Pro­blem des israelisch-palästinensischen Konflikts. Für die Palästinenser, so behauptete er, seien sogar Teile des souveränen Staates Israel, wie etwa Yafo, «Siedlungen». Netanyahu­ ging so weit, der EU Heuchelei vorzuwerfen. Ständig würde die Union auf ihm in der Frage der Siedlungen herumreiten, doch wie oft würde sie «Gegenrecht» halten und den Palästinensern die Frage stellen, warum sie sich weigerten, Israel als einen jüdischen Staat anzuerkennen? Auf die Frage seitens der EU, ob Israel bereit wäre, Massnahmen zur Verbesserung der palästinensischen Lebensqualität zu ergreifen, betonte der israelische Premier, dies geschehe in den Bereichen der Infrastrukturentwicklung und der Gewährung von Arbeitsbewilligungen bereits.


Schleichende Eskalation

Während Netanyahu sich in Belgien mit den EU-Aussenministern anlegte, machte die schleichende Eskalation an Israels Südgrenze weitere «Fortschritte», die regelmässige Beschiessung des Süden Israels mit Raketen aus dem Gazastreifen ging auch weiter. Zuerst ging eine Rakete im offenen Gelände im Regionalrat Eshkol nieder, ohne Verluste zu fordern oder Sachschaden zu verursachen. Als Vergeltung beschossen israelische Tanks und Flugzeuge zwei Hamas-Aussenposten im südlichen Gazastreifen. Palästinensischen Quellen gemäss wurden Einrichtungen in Khan Yunis und Rafah getroffen. Die IDF machen die den Gazastreifen kontrollierende Hamas verantwortlich für alle Attacken aus dem Streifen. Weil die elektronischen Berechnungen erkennen liessen, dass das palästinensische Geschoss im offenen Gelände niedergehen würde, verzichtete Israel am Montag darauf, die Alarmsirenen in Kraft zu setzen. In der Nacht zum Dienstag und zum Mittwoch fing zudem das Abwehrsystem Iron Dome je eine in Richtung Ashkelon fliegende Rakete rechtzeitig ab. Israel reagierte mit Vergeltungsschlägen im Norden des Streifens, wobei höchstwahrscheinlich der Islamische Jihad hinter den meisten dieser Attacken steckt – ein noch nicht gestillter Rachedurst nach der Zerstörung des ersten Tunnels mit zahlreichen Opfern.

Die Spannung im Süden wird langsam, aber sicher, nach oben geschraubt, wobei beide Kontrahenten offensichtlich darum bemüht sind, die Situation stets zu kontrollieren. Am Samstag zerstörten die IDF einen Hamas-Offensivtunnel (den zweiten innert weniger Wochen), der einige 100 Meter in israelisches Territorium hineinreichte, und gleichentags nahm Israel Hamas-Ziele ins Visier als Vergeltung für Raketenfeuer vom Freitag. Dabei wurden zwei palästinensische Militante des militärischen Flügels der Hamas getötet. Am Donnerstag hatte der Hamas-Führer Ismail Haniyeh als Antwort auf die Jerusalem-Erklärung von Präsident Donald Trump zu einer neuen Intifada aufgerufen. Bei den Palästinensern in den Gebieten haben sich die Gemüter nach dieser Erklärung zwar noch nicht beruhigt. Gleichzeitig aber stellt man fest, dass die Bereitschaft nur bedingt vorhanden ist, eine neue Intifada mit all ihren militärischen und politischen Folgen vom Zaune zu brechen. Aufgrund bisheriger Erfahrungen in dieser Beziehung sei aber vor übereiltem Optimismus gewarnt. Besser wäre es, sich an die Weisheit zu halten, dass bei aller Um- und Vorsicht Israel das werden kann, was noch nicht ist. Jedenfalls dürften die IDF sich in Gaza nur zurückhalten, wenn das Raketenfeuer von dort aufhört.

Foto: Während Binyamin Netanyahu am Montag in Brüssel sprach, verfolgte die EU-Aussenministerin Federica Mogherini seine Äusserungen offensichtlich mit Skepsis © tachles

Info:
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 15. Dezember 2017