u jerusalemtouristDer Kanton Jerusalem

Hanno Loewy

Hohenems/Vorarlberg (Weltexpresso) - Die Reaktionen auf Donald Trumps Entscheidung, die Verlegung der US-Botschaft nach Jerusalem nicht länger auszusetzen, waren absehbar. Seine Fans aus den Reihen der evangelikalen Christen in den USA jubeln. Sie warten auf die Wiedererrichtung des Jerusalemer Tempels unter jüdisch-christlicher Herrschaft – und den darauf folgenden Weltuntergang, wie die Johannes-Offenbarung ihn für diesen Tag ankündigt.

Endlich ein gehöriger Schritt in Richtung Apokalpyse, das kommt bei Trumps Wählern gut an. Und so verschafft ihm die Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt Israels ein wenig innenpolitische Frischluft.

Aber nicht jeder glaubt an die Offenbarung des Johannes. Binyamin Netanyahu jubelt ebenfalls, denn er hofft darauf, dass Trumps Entscheidung seinen eigenen Untergang im Korruptionssumpf vielleicht aufhalten kann – und nimmt das ganze Theater als Freibrief, so weiter zu machen, wie bisher. Die palästinensischen Anführer rufen zu Tagen des Zorns auf, und es fliegen Steine, Messer und Brandsätze und natürlich ein paar Raketen. So sind die nächsten Märtyrer zu begraben. Die verschiedenen Potentaten der arabischen Welt, der Türkei und Irans buhlen um den Ruhm der islamischen Anführerschaft – und tun nichts, um den Palästinensern «zu helfen», die einmal mehr realisieren könnten, wie sie als Spielball der Konkurrenz um Macht missbraucht werden.

Auch die Saudis legen nun scharfen Protest ein und hoffen insgeheim darauf, mit den USA gemeinsame Sachen gegen Iran und die Schiiten machen zu können. Währenddessen kungeln sie hinter den Kulissen mit den USA Pläne aus, die den Anspruch der Palästinenser auf einen «eigenen Staat» vollends lächerlich machen. Die Europäische Union «bekräftigt ihren Standpunkt» und hält eisern an der Zweistaatenlösung fest – während die Rechtspopulisten und Nationalisten Osteuropas, diesmal allen voran Ungarn und Tschechien, Trump und Netanyahu ihre Glückwunschadressen schicken. Ob für Donald Trump, Recep Tayyip Erdogan oder Binyamin Netanyahu, es gibt für die autoritären Führer jeder Couleur nichts schöneres, als die Staaten der EU gegeneinander auszuspielen. Auch die österreichischen Rechtspopulisten stimmen schon in den Chor mit ein. Israel als Bollwerk gegen «den Islam» (man könnte auch sagen, als nützlicher Idiot), steht bei Europas Rechten inzwischen hoch im Kurs.

Aber es gibt, kaum vernehmbar in dem Getöse, auch realistische Stimmen. Eine davon gehört Saeb Erekat, dem Chefunterhändler der Palästinensischen Autonomiebehörde in den mausetoten «Friedensverhandlungen» mit Israel. Er sprach aus, was viele andere denken und wenige sich trauen auszusprechen. Die «Zweistaatenlösung» ist tot. Sie ist, könnte man ergänzen, auch schon längst begraben, unter israelischen Siedlungen und palästinensischen Attentaten. Trump hat nur noch die letzten Schaufeln Erde auf den Sarg geschüttet. Ab jetzt, so Erekat, geht es nur noch um eines, um gleiche Rechte für alle Bewohner des «historischen Palästinas». Egal, wie man das Gebiet zwischen Jordan und Mittelmeer nun nennt, es gibt dort nur einen Staat. Er heisst Israel, aber er könnte auch Israel-Palästina heissen.

Wenn man den von der New York Times letzte Woche aufgedeckten «Friedensplan» ernst nimmt, den Trumps Schwiegersohn Jared Kushner mit dem saudischen Kronprinzen Mohammed Ibn Salman ausgehandelt hat, dann ist von der Leiche der Zweistaatenlösung nach aller Fledderei für die Palästinenser nur noch ein Flickenteppich von winzigen, miteinander nicht verbundenen «Homelands», wie weiland für manche schwarzen Stämme in Südafrika, übrig. Man nennt so etwas übrigens Apartheid, auch wenn viele das Wort nicht hören wollen, und so ein System geht, auch das weiss man, auf lange Sicht nicht gut.

Freilich, schon lange drängt sich der Eindruck auf, dass die Zweistaatenlösung vor allem eines ist: ein Vorwand. Das Gerede von der Zweistaatenlösung dient vor allem einem: den Palästinensern keinen israelischen Pass geben zu müssen. Von Zweistaatenlösung sprechen die, die den Status quo gar nicht antasten wollen. Von Zweistaatenlösung sprechen die korrupten palästinensischen Autonomiebehörden, weil dieses Wort ihnen internationale Subventionen verschafft. Von Zweistaatenlösung sprechen all die, die ihre Fantasie nicht bemühen wollen, wirklich über eine Lösung nachzudenken. Es gibt keine Zweistaatenlösung für Menschen, die dasselbe Land bewohnen und denen dieselben Städte «heilig» sind. Der «eine Staat» ist keine «Lösung», er ist bloss längst Realität. Er ist im Vergleich zu seinen Nachbarn stabiler, demokratischer und wirtschaftlich erfolgreicher. Aber er hat nur dann eine demokratische Zukunft, wenn er irgendwann, auch symbolisch und emotional, der Staat aller seiner Bürgerinnen und Bürger sein wird.

Worüber Netanyahu derzeit jubelt, ist in Wirklichkeit die Aussicht auf ein Ende Israels als demokratischer und «jüdischer Staat». Ich bin jetzt einfach mal Optimist. Israel wird am Ende ein demokratisches Land bleiben. Und ein jüdisch-arabisches sein. So schwer man sich das heute vorstellen kann. Und auch wenn es lange dauern wird. Bis dahin werden noch viele Steine und Raketen und anderes fliegen und noch viel Blut wird fliessen. Aber vielleicht wird das Wort «Kantone» irgendwann im Nahen Osten einmal Karriere machen – und eine Delegation von Schweizer Verfassungsexperten nach Jerusalem eingeladen werden.

Hanno Loewy ist ein deutscher Literatur- und Medienwissenschaftler, Publizist und Direktor des Jüdischen Museums Hohenems.

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© toruistisrael.com

Info: 
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 15. Dezember 2017