kpm Fliegerhorst Buchel bei CochemEine Antwort auf Matthias Küntzels Beitrag „Zweieinhalb Minuten vor Zwölf“

Klaus Philipp Mertens

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Gemessen an der Anzahl US-amerikanischer Massenvernichtungswaffen auf deutschem Boden wirkt Nordkoreas nukleares Waffenarsenal geradezu unbedeutend.

Und es ist bis heute unbewiesen, ob der Iran über Kernwaffen verfügt bzw. zu deren Produktion und Anwendung in der Lage ist. Weder die Paranoia des Donald Trump noch die Eskalationsphantasien von Benjamin Netanjahu können als klassische Zeugenaussagen ernst genommen werden. Unter Kennern der Verhältnisse unbestritten ist hingegen die Vermutung, dass Israel über Atomraketen verfügt. Recherchen in diesbezüglichen Skripten der israelischen Friedensbewegung „Schalom Achschaw“, in der sich auch Militärs engagieren, liefern zahlreiche Anhaltspunkte für diese These. Auch in den jährlichen Berichten des „Stockholm International Peace Research Institute SIPRI“ finden sich entsprechende Angaben.

Wer von den Zwergen spricht, darf die Riesen und die Großen unter den Kleinen nicht vergessen: nämlich die USA, Russland, China, Großbritannien und Frankreich. Deswegen ist Matthias Küntzels Behauptung „Und doch kehrte 2017 die Möglichkeit eines Atomkriegs mit voller Wucht zurück“ eindeutig falsch. Denn diese Gefahr war trotz Auflösung der Ost-West-Blöcke und dem Ende des Kalten Kriegs nie verschwunden.

So setzt die NATO weiterhin auf Kernwaffen. Im November 2010 wurde eine Anpassung der Nuklearstrategie beschlossen unter der Maßgabe „... as long as there are nuclear weapons in the world, NATO will remain a nuclear Alliance.“ Auf dem deutschen Fliegerhorst Büchel in Rheinland-Pfalz bildet die Luftwaffe Piloten und Waffentechniker in der Handhabung atomarer Sprengköpfe aus. Dies geschieht im Rahmen der erwähnten nuklearen Teilhabevereinbarungen der NATO. Die USA planen seit dem Jahr 2012 eine Modernisierung der in Büchel stationierten Atombomben und wollen diese mit Hilfe der deutschen Luftwaffe bis mindestens 2024 einsatzfähig halten. Ab 2020 soll auch dort der neueste Waffentyp (B61-12) eingelagert und gegebenenfalls verwendet werden. Die Bundesregierung bestätigte im Mai 2014 auf eine Anfrage der GRÜNEN, dass die USA ihre Atombomben in Deutschland einem sogenannten „Lebensdauerverlängerungsprogramm“ unterzogen hätten, ohne darüber mit der Bundesregierung verhandelt zu haben. Die Regierung gab auch zu, dass die USA auf einer finanziellen Beteiligung Deutschlands am mehrere Millionen Euro teuren atomaren Austausch-und Erneuerungsprogamm bestehen würden. Im Kriegsfall sollen deutsche Tornado-Piloten Angriffe mit diesen US-Bomben fliegen. Eine Sprecherin des russischen Außenministeriums erklärte daraufhin im September 2015: „Uns beunruhigt, dass Staaten, die eigentlich keine Atomwaffen besitzen, den Einsatz dieser Waffen üben, und zwar im Rahmen der Nato-Praxis der nuklearen Teilhabe. Das ist eine Verletzung der Artikel 1 und 2 des Vertrages über die Nichtverbreitung von Atomwaffen.“

Wie scheibt doch Matthias Küntzel? „Es liegt nicht zuletzt an Berlin, ob der Minutenzeiger der Weltuntergangsuhr im kommenden Jahr noch näher an die Zwölf rücken wird, oder nicht.“ Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen. Außer dem Hinweis auf die Realitäten (siehe oben). Entsprechend lehnte die Bundesregierung in der UN-Vollversammlung 2016 ihre Teilnahme an UN-Verhandlungen über die weitere Begrenzung der atomaren Rüstung auch ab.

Das propagandistische An-die-Wand-malen neuer atomarer Bösewichte wie Nordkorea und Iran, wie Matthias Küntzel es praktiziert, erweist sich bei genauer Betrachtung als ein Ablenkungsmanöver. Die Gefahren, die von diesen Ländern ausgehen oder einmal ausgehen könnten, sind von ganz anderer Natur. Es sind die bedingungslose Ablehnung demokratischer Strukturen und ein politischer und (im Fall des Irans) religiöser Irrationalismus.

Die Kernfragen, die mit den Kernwaffen verbunden sind, lauten darum nach wie vor:
Wie und wann lässt sich die neoliberale Globalisierung durch einen Internationalismus von Staaten ersetzen, deren Politik nicht länger auf Ungleichheit und Ungerechtigkeit in und zwischen den Völkern angelegt ist?
und
Wie und wann sprechen die der internationalen Gerechtigkeit verpflichteten Länder sowohl dem autoritären als auch dem religiös-fundamentalistischen Menschen- und Staatsverständnis die Deutungshoheit über die gesellschaftlichen Entwicklungen ab?


Foto:
Luftaufnahme des Fliegerhorsts Büchel bei Cochem/Rheinland-Pfalz
© Deutsche Friedensgesellschaft