kpm Karl Marx Hof WienLinke Einheitspartei oder linkes Bündnis?  Teil 2/2

Klaus Philipp Mertens

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Neben erheblichen Defiziten in der linken bis sozialdemokratischen Publizistik und Kulturszene sind die historischen Erfahrungen hinsichtlich übergeordneter Strukturen eher desillusionierend.

Einen Sack Flöhe zu hüten, wird einfacher sein als überzeugte Linke in einer Partei zu vereinen (es sei denn, man übte äußeren Druck aus wie die Sowjets bei der Gründung der SED 1946). Die Gründe dafür liegen weniger bis gar nicht in der persönlichen Eitelkeit der tonangebenden Politiker, selbst wenn man bei Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht mit gutem Grund anderer Meinung sein könnte.

Vielmehr ist es die Komplexität dessen, was pauschal als linke/sozialistische/kommunistische Weltanschauung bezeichnet wird. Karl Marx war ein Philosoph, dessen intellektuelle Bandbreite sich zwischen der klassischen deutschen Philosophie (vor allem der Hegelschen), den utopischen Sozialisten Frankreichs (Saint-Simon, Fourier) und der englischen Nationalökonomie (Ricardo, Smith) bewegte. Selbst die in vergleichsweise verständlicher Sprache geschriebenen Zusammenfassungen von Friedrich Engels (z.B. „Herrn Eugen Dürings Umwälzung der Wissenschaft“) haben das Verstehen nicht wirklich erleichtert. So hat nahezu jeder theoretische Ansatz im Laufe der Jahre eine sehr unterschiedliche und gegensätzliche Rezeption ausgelöst. Folglich stehen neben Sozialisten, Ur-Sozialdemokraten und Kommunisten auch Anarchisten, die katholische Soziallehre, religiöse Sozialisten und nicht zuletzt die Frankfurter Schule auf den Schultern von Karl Marx.

Und trotz mancher Unterschiede gibt es eine Vielzahl gemeinsamer Grundüberzeugungen. Nämlich die Schaffung einer klassenlosen Gesellschaft, in der niemand jemand anderen ausbeutet. Einer wahrhaftig friedlichen Gesellschaft, die auf der Seite der Ausgebeuteten in aller Welt steht und nicht auf Seiten der Mächtigen und Skrupellosen. Einer wirklichen solidarischen Gesellschaft, in welcher der Wert eines Menschen sich nicht nach seinem Vermögen bemisst. Auf diesen Grundsätzen könnte sich möglicherweise ein Bündnis gründen lassen, aber vermutlich keine gemeinsame Partei, was aus den oben genannten Gründen auch gar nicht versucht werden sollte.

Ganz abgesehen davon, dass mindestens die Sozialdemokraten ihre Eigenständigkeit nicht aufgeben würden, obwohl die SPD aus dem Allgemeinen deutschen Arbeiterverein und der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Deutschlands hervorgegangen ist, die beide eindeutig marxistisch geprägt waren, was vom Gothaer Vereinigungsparteitag 1875 bis zum Godesberger Programm von 1959 in vielen Punkten, wenn auch mit abnehmender Tendenz, auch für die SPD galt.

Von der SPD spalteten sich im Laufe ihrer langen Geschichte dreimal linke Flügel ab. 1917 wollten radikale Sozialisten die Kriegsbegeisterung ihrer Partei nicht länger hinnehmen und gründeten die USPD, was nach dem Ersten Weltkrieg zur Bildung der KPD führte. 1979/80 gelang es der Partei nicht, die um sich greifenden Zweifel der Bevölkerung an der Atomenergie zu ihrer Sache zu machen, worauf Lebens- und Umweltschützer in Richtung Grüne auszogen. Und schließlich im Jahre 2004, als ein nennenswerten Teil der Arbeitnehmerschaft Schröders antisoziale Agenda dazu veranlasste, die Wählerinitiative WASG zu gründen, die später zusammen mit der PDS in der Linken aufging.
Abspaltungen lassen sich offensichtlich nur durch einen demokratischen Dialog stoppen, auch wenn dadurch bei Außenstehenden der Eindruck von innerer Zerstrittenheit entstehen kann. Spalter sind das Salz in der Suppe der Parteiendemokratie. Die SPD hat diese Binsenweisheit zu häufig in den Wind geschlagen. Ihren Mitgliedern verordnete sie darüber hinaus jahrzehntelang ein Kooperationsverbot mit Kommunisten und als kommunistisch geltenden Gruppen.

So war in der Mitte der 1970er Jahre, also nach dem Rücktritt Willy Brandts und unter der Kanzlerschaft von Helmut Schmidt, die interne Richtungsdiskussion in weiten Teilen der Partei von der Stamokap-Frage bestimmt. Stamokap bedeutet „Staatsmonopolistischer Kapitalismus“ und meint die Verschmelzung des Staates mit der Wirtschaft, vor allem mit den tonangebenden Monopolen, welche Parlament und Regierung und nicht selten auch die richterliche Gewalt instrumentalisieren. Die Landesverbände der Jungsozialisten in Hamburg und Berlin hatten bereits 1972 Strategiepapiere verabschiedet, in denen sie die Stamokap-Theorie zur Grundlage ihrer politischen Arbeit machten. Im Bundesvorstand der Jungsozialisten sorgte das jahrelang für heftige Diskussionen. 1977 wurde Klaus Uwe Benneter Vorsitzender der Jusos. Als Anhänger der Stamokap-Theorie trat er für breite „antimonopolistische Bündnisse“ ein, was auch die Zusammenarbeit mit der DKP einschloss. Benneter wurde daraufhin aus der SPD ausgeschlossen. Einige Jahre später wurde er auf Druck seines Freundes Gerhard Schröder wieder aufgenommen und avancierte sogar für einige Zeit zum Generalsekretär der Partei.

Angesichts dieser Wirkungsgeschichte wäre es völlig unrealistisch, auf Anstöße aus der SPD zu warten. Die Initiative zur Bildung eines linken Bündnisses muss von anderen kommen. Deswegen erscheint die Initiative von Oskar Lafontaine durchaus als eine konsequente, aus der historischen Erfahrung ableitbare Forderung. Dass die Linke selbst sehr heterogen zusammengesetzt ist, muss kein Nachteil sein. Vielmehr beunruhigt mich das intellektuelle Mittelmaß, die Anbiederung an das Spießertum, das zu häufig zum Vorschein kommt. Gleiches gilt übrigens auch für die SPD. Man ist eben doch Fleisch vom selben Fleische, auch im Negativen, auch in den Irrtümern.

Dennoch ist es höchste Zeit, dass das linke Spektrum die Deutungshoheit über das gesamte Spektrum sozialer Fragen zurückgewinnt.

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Karl Marx-Hof in Wien
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