kpm Bundeskabinett 2018Wofür stehen die Mitglieder des neuen Kabinetts?

Klaus Philipp Mertens

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Politik wird überwiegend von Menschen gemacht, die das gesellschaftliche System hervorbringt und in Schaltstellen positioniert, um Überkommenes stets aufs Neue zu bestätigen und es niemals in Frage zu stellen. Das gilt für die Zwei-Klassen-Medizin, für die Unterordnung der Bildung unter kommerzielle Kategorien der Wirtschaft oder die Verteilung der Steuerlast auf die Mehrheit der Normalverdiener und die gewollte Schonung hoher Einkünfte und Vermögen.

Auch das künftige Bundeskabinett wird diesen Grundsätzen treu bleiben. Andernfalls wäre eine GroKo nicht noch einmal zustande gekommen. Schauen wir uns die Schauspieler dieses Systems daraufhin genauer an:

Angela Merkel (CDU): Bereits seit 2005 bestimmt sie als Kanzlerin die Richtlinien der Politik; konkret, sie passt diese Politik ihrem Gesellschafts- und Weltverständnis an. Letzteres scheint eine Mischung aus Luthers Zwei-Reiche-Lehre und nordostdeutscher Trotzköpfigkeit zu sein. Im Zweifelsfall siegt ihr persönliches Ego und im Normalfall haben Untergebene nichts zu sagen, es sei denn, sie sagen das, was sie ihnen vorgibt. Damit kann man notfalls sogar ein Weltreich regieren; aber die Interessen der Normalbürger gegen die massiven Widerstände mächtiger Interessengruppen durchzusetzen, gelingt auf diese Weise nicht. Und das ist offenbar auch nicht die Absicht.

Peter Altmaier (CDU): Der Minister für Wirtschaft und Energie ist ein gut vernetzter Strippenzieher, was er bereits als Leiter des Kanzleramts bewiesen hat. Zudem hält er den Kapitalismus für die beste aller Gesellschaftsordnungen. Diese Eigenschaft qualifiziert ihn auch für die neue Aufgabe. Der natürliche Gegner dieses Ministeriums ist jenes für Arbeit und Soziales. Altmaier wird seinen Einfluss geltend gemacht haben, um einen Kontrahenten aus der Ecke der Agenda- und Hartz IV-Befürworter zu bekommen. Und das scheint geklappt zu haben: siehe Hubertus Heil.

Katarina Barley (SPD): Sie wird das Justizressort leiten und erfüllt dafür auch die notwendigen fachlichen Voraussetzungen. Während der GroKo-Verhandlungen hatte sie Ihren Job als Familienministerin noch euphorisch als große Erfüllung bezeichnet. Davor war sie Generalsekretärin der SPD und dabei weder durch Strategie noch durch Taktik aufgefallen. Sie wirkt sympathisch, neigt aber ganz offensichtlich nicht dazu, Akzente außerhalb des Mainstreams zu setzen. Das ihr anhaftende Odium der Quotenfrau vermag sie nicht wegzulächeln.

Helge Braun (CDU): Der Chef des Bundeskanzleramts gilt als perfekter Organisator, der nie in der Gefahr schwebt, den Überblick zu verlieren. Diese Notwendigkeit zur absoluten Disziplin kennt er bereits aus seinem eigentlichen Beruf, dem des Anästhesisten. Er wird geräuschlos und effektiv seiner Kanzlerin zur Seite stehen. Und vermutlich keine neue Rangfolge der politischen Prioritäten empfehlen.

Franziska Giffey (SPD): Das Familienministerium dürfte dasjenige sein, welches die wenigsten Gemeinsamkeiten mit ihrer bisherigen Arbeit als Bürgermeisterin von Berlin-Neukölln aufweist. Ihre unter Beweis gestellten Merkmale wie Basisnähe, Problembewusstsein und Durchsetzungsvermögen würden sie zur Innenministerin qualifizieren. Möglicherweise auch für das Arbeitsministerium. Doch in ein Ministeramt gelangt man, wie das künftige Kabinett beweist, eher ausnahmsweise durch Können. Jetzt könnte ihr drohen, von Scholz & Nahles auf einem Nebenschauplatz verheizt zu werden.

Hubertus Heil (SPD): Er war immer ein Diener seiner Herren, über die er nie hinauszuwachsen vermochte und es mutmaßlich auch nie wollte. Der Agenda-Apologet und Schröder-Sklave wird für seine treuen Dienste nun mit dem Arbeitsministerium belohnt. Dort muss er das Kunststück vollbringen, allen, die durch die Agenda enteignet wurden, einen minimalen Teil des Geraubten zurückgeben, dies als soziale Errungenschaft zu verkaufen und die Namen der Räuber vergessen zu machen.

Anja Karliczek (CDU): Sie wird das Ressort „Bildung und Forschung“ leiten, obwohl Sie keine entsprechenden Vorerfahrungen nachweisen kann. Ihre Partei betont hingegen, dass sie als Mutter von drei Kindern ständig mit dem Schulalltag und folglich mit den Problemen vieler Eltern konfrontiert gewesen sei. Man kann den geringen Stellenwert eines Ministeriums auch intelligenter begründen. Aber für die typischen CDU-Anhänger wird’s ausreichen.

Julia Klöckner (CDU): Die Taube auf dem Dach, also das Amt einer Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, war ihr durch die Landtagswahlergebnisse verwehrt geblieben. Jetzt muss sie sich mit dem Spatz in der Hand begnügen, dem Bundesministerium für Agrar und Ernährung. Für die von ihr nach wie vor angestrebte Merkel-Nachfolge dürfte das ein eher ungünstiger Startplatz sein.

Ursula von der Leyen (CDU): Als niedersächsische Sozialministerin schaffte sie das Blindengeld ab. Als Arbeitsministerin machte sie Schlagzeilen wegen ihrer Anweisung, Restriktionen gegen Hartz IV-Bezieher konsequenter durchzusetzen. Als Verteidigungsministerin zeigte sie sich nicht in der Lage, die Strukturen der Bundeswehr endlich demokratisch zu gestalten und die Ausrüstungsmisere der Armee in den Griff zu bekommen. Ganz abgesehen davon, dass ihr der Auftrag der Streitkräfte, nämlich der Verteidigung zu dienen, angesichts unnötiger und ungeordneter Auslandseinsätze bis heute nicht klar zu sein scheint. Von allen Ministerinnen und Ministern würde man auf sie am leichtesten verzichten können. Aber der innere Proporz der CDU setzt andere Prioritäten. Also werkelt sie weiter an der Verteidigung.

Heiko Maas (SPD): Sein Auftreten gegenüber den neuen Machteliten der Digitalisierung (Facebook, Google etc.) war nicht nur schwach, es war eine ziemlich bedingungslose Kapitulation. Zwar verfügt er nach meiner Einschätzung über umfassende juristische Kenntnisse. Aber er wendete sie zu selten zur Wahrung der Rechtsordnung an. Für seinen Job als Außenminister sollte er sich einen Schäferhund zulegen. Solche Instrumente verschaffen Respekt.

Gerd Müller (CSU): Der alte und neue Minister für Entwicklungszusammenarbeit weiß um die Herausforderungen dieses Amts. Er vermittelt auch den Eindruck, das grundsätzliche Problem dieses Ressorts erkannt zu haben. Nämlich Entwicklungshilfe als verlängerte Werkbank von Großkonzernen definieren und alte soziale Abhängigkeiten lediglich durch neue ersetzen zu müssen. Seine Partei würde ihm jedoch ins Steuerrad greifen, falls er auch nur den Versuch einer Kurskorrektur unternähme. Und auch das hat er verinnerlicht.

Andreas Scheuer (CSU): Die deutsche Automobilindustrie, deren Interessen er uneingeschränkt vertritt, wäre gut beraten gewesen, sich durch einen anderen als diesen bayerischen Unsympathikus vertreten zu lassen. Denn Diesel-Skandal und andere Abgas-Manipulationen sowie das Verschlafen der zukunftsweisenden Brennstoffzellen-Technologie hätten aus Sicht von Audi, VW, BMW und Daimler die Wahl eines Geeigneteren nahegelegt. Doch das Personalreservoir der CSU ist begrenzt, vor allem, weil diese Partei ständig an die Grenzen ihrer intellektuellen Möglichkeiten stößt.

Olav Scholz (SPD): Er verwechselt die SPD mit einem Wartezimmer für bislang erfolglose Aufsteiger (die auf eine Partei- oder Staatskarriere warten). Und den Staat mit einem Krämerladen. Finanzpolitik sollte innovativ sein, Buchhalternaturen (laut Karl Marx die Steigbügelhalter des Kapitalismus) und Krämerseelen sind generell ungeeignet. Vor allem nicht in einer Zeit der Verteilungskämpfe. Scholz steht für ein „Weiter so“ in SPD und Bundesregierung.

Horst Seehofer (CSU): Einen Sack voll bayerischer Heimaterde, nämlich sämtliche gängigen Vorurteile, wird der künftige Innen-, Bau- und Heimatminister mit nach Berlin bringen. Damit wird er versuchen, einen Garten anzulegen, in dem ungarische Abgrenzung, polnischer Klerikal-Nationalismus und österreichischer FPÖ-Faschismus nach den Regeln deutscher und vor allem bayerischer Genetik gedeihen können. In der Bayerischen Landesvertretung in Berlin wird dann vielleicht künftig gesungen: „Schwarzbraun ist die Haselnuss, / schwarzbraun bin auch ich, ja ich, / wer mein Schätzerl werden will, / der muss so sein wie ich.“

Svenja Schulze (SPD): Sie war neben Hannelore Kraft eine der Hauptverantwortlichen für die Wahlniederlagen der SPD in NRW. Denn sie hat die Zeichen der Zeit völlig missverstanden. Vor allem den überfälligen Strukturwandel im Ruhrgebiet hat die künftige Wissenschaftsministerin nicht in den Griff bekommen und einen großen Teil der traditionellen SPD-Wähler dadurch vergrätzt. Wer sich angesichts zahlreicher sozialer Brennpunkte im Ruhrgebiet, Spätfolgen einer misslungenen Integration vor allem türkischer Einwanderer, gemeinsam mit seiner Ministerpräsidentin auf das Phrasendreschen beschränkte, wird eher keine Hoffnungsträgerin sein können. Vor allem nicht in Sachen Bildung und Wissenschaft, von denen ein Teil der Zukunft dieses Landes abhängt.

Jens Spahn (CDU): Der neue Gesundheitsminister lässt gar keine Zweifel daran aufkommen, dass er der Statthalter der Gesundheits- und Pharmabranche im Kabinett sein wird. So hält er – wie auch bereits seine Vorgänger - fest an der Bevorzugung der privaten Krankenversicherung gegenüber der gesetzlichen. Dadurch werden die legitimen Interessen von neunzig Prozent der Bevölkerung weiterhin missachtet. In der Diskussion über die Essener TAFEL hat er deutlich gemacht, was er unter Sozialstaat versteht: nämlich Verelendung auf garantiertem Hartz IV-Niveau. Wer wie Jens Span zu den jüngeren Politikern zählt, muss nicht zwangsläufig auch klüger sein. Die Förderung von angepassten Frühvergreisten gehört zum System des CDU-Staats. Vielen Dank dafür, SPD.

Dorothee Bär (CSU): Die künftige Beauftragte für Digitales im Rang einer Staatsministerin im Bundeskanzleramt träumt öffentlich von autonomem Fahren und Lufttaxis. Vielleicht sollte ihr jemand erklären, dass Computer und Netzwerke bereits vor Jahrzehnten erfunden wurden, aber wegen fehlender und nicht ausreichend dimensionierter Kabelverbindungen ihren sowohl möglichen als auch notwendigen Wirkungsgrad weder im Privatbereich noch in Schule, Verwaltung und Wirtschaft bislang erreichen konnten. Dringend nötig wäre auch eine Nachhilfe zu den eigentlichen Kernfragen der Digitalisierung. Denn Datenspionage á la Facebook oder Google sowie rassistische Hasstiraden in kommerziellen (so genannten „sozialen“) Netzwerken berauben diese Technologie um ihre schöpferischen Möglichkeiten und verhindern eine positive Entwicklung. Zudem sollte ihr jemand einflüstern, dass es höchste Zeit ist, endlich die wünschenswerten Ziele elektronischer Arbeits- und Kommunikationsprozesse in einer demokratischen Gesellschaft zu definieren. Das sind eindeutig zu viele „eigentlich“, „hätte“, „müsste“: Doch vergessen wir nicht, dass die junge Frau von der CSU entsandt wurde. Und dass deswegen ihr Nichtwissen und ihr vermutetes Unvermögen die Zugangsvoraussetzungen für solche Ämter sind.

Monika Grütters (CDU): Die alte und neue Beauftragte für Kultur erweckte in der letzten Regierung den Eindruck, dem bildungsbürgerlichen Kulturverständnis des 19. Jahrhunderts anzuhängen und Kultur mit dem Lebensstil der Saturierten gleichzusetzen. Kultur als Reflektion gesellschaftlicher Zustände, als Kritik und Infragestellung, ja, sogar als Sand im Getriebe des allzu Selbstverständlichen, scheint außerhalb ihrer Überzeugung zu liegen.

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Das neue Bundeskabinett
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