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Kategorie: Zeitgeschehen
p ueberwachung sicherheitNicht in der DDR, sondern in der Bundesrepublik

Constanze Weinberg

München (Weltexpresso) - Gestern begann vor dem nordrhein-westfälischen Oberverwaltungsgericht in Münster die Berufungsverhandlung in einem Verfahren, das über den konkreten Fall hinaus allergrößtes Interesse verdient. Gegenstand ist das erstinstanzliche Urteil des Verwaltungsgerichts Köln, das 2011 die fast vierzigjährige Dauerüberwachung und Ausforschung des Rechtsanwalts, Publizisten und Bürgerrechtlers Dr. Rolf Gössner für unverhältnismäßig und grundgesetzwidrig erklärt hat.

Gegen dieses Urteil hatten die Bundesregierung und das Bundesamt für Verfassungsschutz Berufung eingelegt. Der Freiburger Rechtsanwalt Dr. Udo Kauß schildert im Folgenden Einzelheiten dieses unglaublichen Vorgangs: Rolf Gössner ist seit 1970 ununterbrochen vom Bundesamt für Verfassungsschutz geheimdienstlich beobachtet und ausgeforscht worden - schon als Jurastudent, dann als Gerichtsreferendar und seitdem ein Arbeitsleben lang in allen seinen beruflichen und ehrenamtlichen Funktionen als Publizist, Rechts­anwalt, parlamentarischer Berater, später auch als Präsident der Internationalen Liga für Menschenrechte und seit 2007 zudem als stellvertretender Richter am Staatsgerichtshof der Freien Hansestadt Bremen. Es dürfte die läng­ste Dauerbeobachtung einer unabhängigen, parteilosen Einzelperson durch den Bundesinlandsgeheimdienst „Verfassungsschutz“ sein, die bislang dokumentiert werden konnte.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz legt meinem Mandanten zur Last, berufliche und ehrenamtliche Kontakte zu angeblich „linksextremi­stischen“ und „linksextremistisch beeinflussten“ Gruppen und Veranstaltern unterhalten zu haben, bei denen er referierte und diskutierte, aber auch zu bestimmten Presseorganen, in denen er - neben vielen anderen Medien – veröffentlichte, denen er Interviews gab oder in denen über seine Bürgerrechtsaktivitäten berichtet wurde. Mit seinen Kontakten, publizistischen Beiträgen, Vorträgen und Diskussionen soll er, so die Unterstellung, besagte - nicht verbotene - Gruppen und Organe „nachdrücklich unterstützt“ haben; er soll sie – so wörtlich – als „prominenter Jurist“ aufgewertet und gesellschaftsfähig gemacht haben. Aus vollkommen legalen und legitimen Berufskontakten hat der „Verfassungsschutz“ also eine Art von ‚Kontaktschuld’ konstruiert.

Im Laufe des Klageverfahrens schob der „Verfassungsschutz“ dann neue Vorwürfe gegen Gössner nach - Vorwürfe, die zuvor keinerlei Rolle gespielt hatten, die aber nun nachträglich die unglaubliche Überwachungsgeschichte zusätzlich rechtfertigen sollten: Jetzt zog der „Verfassungsschutz“ auch seine Bücher, Schriften und Interviews in Misskredit und setzte seine inhaltliche und begründete Kritik an bundesdeutscher Sicherheits- und Antiterrorpolitik sowie an den Sicherheitsorganen, insbesondere den Geheimdiensten, einem Extremismusverdacht aus. Wie sich nach den NSU-, NSA- und Vertuschungsskandalen deutlich zeigte, war seine Kritik mehr als berechtigt.

Das Verwaltungsgericht Köln hatte das Bundesamt verpflichtet, die gesamte Personenakte über meinen Mandaten vorzulegen. Dies ist auch geschehen - aber nur sehr eingeschränkt: Im Laufe der Jahrzehnte war eine Akte zu seiner Person von weit über 2.000 Seiten entstanden. Die erst nach Monaten vorgelegte Akte besteht aufgrund einer Sperrerklärung des Bundesinnenministeriums überwiegend aus entnommenen Seiten und Seiten mit geschwärzten Textstellen. Um die Akte ganz freizubekommen haben wir ein Parallelverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht anstrengen müssen, ein sog. In-Camera-Verfahren, also ein rechtsstaatlich zweifelhafter Geheimprozess, auf das der Kläger keinerlei Einfluss hatte. Entsprechend fiel das Urteil aus: Alle gesperrten Aktenteile müssen weiterhin geheim bleiben – und zwar aus Gründen des Quellenschutzes (Informanten, V-Leute, Agenten), der Ausforschungsgefahr und des Staatswohls! Die Folge: Nur auf dieser eingeschränkten Beweislage konnte das Verwaltungsgericht Köln über die Rechtswidrigkeit der Überwachung urteilen.

Die gesamte Überwachungsgeschichte, der Prozess und der Ausgang des Verfahrens haben über den Einzelfall hinaus grund­sätzliche Bedeutung - besonders auch für andere Publizisten, Anwälte und Menschenrechtler: Denn Berufsgeheimnisse wie Mandatsgeheimnis und Informantenschutz sind unter den Bedingungen geheimdienstlicher Überwachung nicht zu gewährleisten, die verfassungsrechtlich geschützten Vertrauensverhältnisse zwischen Anwalt und Mandant sowie zwi­schen Journalist und Informant werden erschüttert, die Berufsfreiheit und berufliche Praxis damit mehr als beeinträchtigt. So sah es auch das Verwaltungsgericht Köln in seinem Urteil von 2011: Die Sammlung von Daten zu Gössners Person im Hinblick auf seine journalistische Arbeit, aber auch seine rechtsberatende Tätigkeit im parlamentarischen Raum sei „als schwerwiegender Eingriff in verfassungsrechtlich geschützte Positionen zu bewerten". Als erschwerend komme hinzu, dass vor allem bei Recherchen in seinem Haupttätigkeitsfeld 'Innere Sicherheit' eine „besondere Vertrauensbasis zu Auskunftspersonen nötig ist, die durch eine Beobachtung seitens des Verfassungsschutzes erheblich tangiert wird". Das Gericht billigte dem Kläger daher ein "Rehabilitierungsinteresse" zu.

Das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen hat nun die Aufgabe, über den Bestand des erstinstanzlichen Urteils zu entscheiden. Ziemlich sicher dürfte sein, dass diese unendliche Geschichte auch in die nächste Instanz, also in Revision vor das Bundesverwaltungsgericht gehen wird.

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