o anschlusVor 80 Jahren: Der ANSCHLUSS Österreichs an Hitler-Deutschland im März 1938, Teil 1

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Wäre der Einmarsch der Deutschen in Österreich im Jahr 1938 nicht passiert, dann hätte meine Wiener Mutter nicht ihre Geburts- und Heimatstadt mit dem Koffer in der Hand entschlossen verlassen, nicht, weil sie verfolgt worden war, sondern weil sie das Gebaren der Wiener, deren Untertänigkeit Hitler und den Deutschen gegenüber nicht ertrug, dieses Bejubeln –

und auch nicht ertrug, daß Wiener Juden die Trottoirs mit den Zahnbürsten säubern mußten, was sie mit eigenen Augen sah, wie sie mir erzählte.

Sie hat also nach dem Anschluß – warum nehmen wir dieses Wort, daß doch eigentlich eine positive Konnotation hat, denn ‚sich anschließen‘ ist doch nichts Negatives, ein Einmarsch und Durchmarsch schon, und um einen solchen Zwangsanschluß handelte es sich, mögen auch noch so viele freiwillig gejubelt haben – meine Mutter hatte also nach den Märztagen 1938 ihre Geburts- und geliebte Heimatstadt verlassen, wie ich immer sage: aus ästhetischen Gründen, denn politisch war sie damals nicht. Das proletenhafte Getue der Kleinbürger, dies den Faschisten Zujubeln, der Umgang mit der jüdischen Bevölkerung war es, was sie ästhetisch verletzte.

Wäre sie nicht weggegangen, wäre ich ihn Wien zur Welt gekommen, was natürlich nicht stimmt, denn ‚ich‘ war dann das Ergebnis ihrer Heirat mit einem Reichsdeutschen, so wurden die Deutschen noch in den Fünfziger/Sechziger Jahren in Österreich genannt. Sicher ist die nähere Familiengeschichte ursächlich dafür, daß mich ein Leben lang DER ANSCHLUSS interessierte und auch politisierte.

Ich bin noch heute froh, daß ich im Winter 1988 die dritte Aufführung von HELDENPLATZ vom unvergessenen Grantler und politischen Spürer Thomas Bernhard auf der Bühne des Burgtheaters miterleben durfte, mitsamt kräftigen Buhs und den, die Abscheu längst überstimmenden Jubelrufen. Denn die Premiere war beim damaligen Premierenpublikum noch zwiespältig aufgenommen worden, publizistisch zum abgelehnten Skandal ausgeartet und auch die zweite Vorstellung wurde noch ausgebuht. Aber in der dritten kam die Kräfteverschiebung: sehr viel mehr Beifall als Buhs und ab dann war das Stück ein außerordentlicher Erfolg. Überall. Das waren noch Zeiten, wo ein Theater stärker politisierte als jegliches Politikgebaren und wo man sich selber dann auf längere Sicht auf der Seite der geschichtlichen Sieger empfand.

Das war für Österreich etwas Neues, denn seit ich als Bundesdeutsche erst nach der Unabhängigkeit Österreichs infolge des Staatsvertrag vom 15. Mai 1955 in alle Teile des Landes reisen durfte – zuvor war der russische Sektor für Deutsche verboten, nur Wirtschaftsreisenden zugänglich – hatte ich zum Thema Anschluß an Deutschland in Österreich nur verlogenes Zeug gehört, mal eher zustimmend, selten ablehnend – und die Literatur schwieg dazu.

Dann erhielt im Jahr 2005 Arno Geiger den ersten Deutschen Buchpreis für ES GEHT UNS GUT aus dem Hanser Verlag, wo ein Enkel Philipp, den Namen habe ich bis heute behalten, von seiner Großmutter ein Haus nahe Wien erbt und mit ihm die Geschichte seiner Bewohner, was unweigerlich auch 1938 miteinschließt. Ich war empört, wie dieser Enkel kommentarlos das Jahr 1938 unter den Tisch fallen läßt und das Ganze geschichtsklitternd nur kurz erwähnt, aber nicht wertet, noch sonst als aufzuarbeiten brandmarkt. Wenigstens aufmerken hätte dieser Philipp müssen und wenn der Autor den jungen Mann schon nicht als kritischen Zeitgenossen schildern mag, dann hätte er ihm eine literarische Figur dazu erfinden müssen, die Philips Haltung, bzw. die seiner Familie problematisiert. Zumindest das. Aber nein.

Dieser brave, verharmlosende Roman wurde dann auch noch ausgezeichnet und Daniel Kehlmanns DIE VERMESSUNG DER WELT aus dem Rowohlt Verlag vorgezogen, eine so literarische wie politische Dummheit, die ihre Jury-Gründe hat, über die wir hier jetzt schweigen. Aber, so dachten wir beim Niederschreiben des Namens DANIEL KEHLMANN, eigentlich hätte ihm, dem in Wien Lebenden, ein ANSCHLUSSROMAN auch gut angestanden, aber der Dreißigjährige Krieg, sein neuestes Werk mit TYLL, ist ja ebenfalls noch immer ein Thema, das unsere heutige Welt erklärt. Und was Arno Geiger angeht, erscheint ihm das Österreich des 20. Jahrhunderts jetzt auch differenzierter und politischer, wie der neue Roman UNTER DER DRACHENWAND zeigt.

Welche Romane über den Anschluß gibt es? Sicher sind sie vorhanden. Aber uns fiel ein anderer Roman in die Finger, gerade erschienen, von dem wir nun überhaupt nicht erwartet hätten, daß er uns mit dem Anschluß Österreichs konfrontiert: Haruki Murakami, DIE ERMORDUNG DES COMMENDATORE, Teil 1. Und tatsächlich wird der auktoriale Erzähler, der japanische Kunstlehrer, der von seiner Frau hinausgesworfen, im Haus des weltberühmte Malers Tomohiko Amada unterkommt, dann derjenige, der uns über die Rolle des in Wien als Künstler ausgebildeten Amada aufklärt. Dieser mußte nämlich Wien nach dem Anschluß verlassen, da er an einem Attentat gegen Nazis beteiligt war, ja sogar der Haupttäter sei.

Natürlich ist beim Thema Anschluß sehr viel wichtiger, das imposante Buch STADT OHNE SEELE. WIEN 1938 von Manfred Flügge, in die Hand zu nehmen und zu lesen, bei Aufbau erschienen, das wir nicht Sachbuch nennen möchten, da auch mit Gefühl, Herz, ja und eben Seele niedergeschrieben, das wir im Folgenden ebenfalls besprechen. Erst aber sollen das, was man Fakten nennt, also die historische Begebenheit als Ablauf des Geschehens im Mittelpunkt stehen, wobei klar ist, daß es niemals ‚sachneutrale‘ Fakten geben kann, denn alles, auch Termine sind interessegeleitet. Notwendig also zu sagen, daß wir gegen den Anschluß waren und sind, den es weiterhin aufzuklären gilt und von dem gesprochen werden muß, damit daraus gelernt wird.

FORTSETZUNG FOLGT

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Info:
Manfred Flügge, Stadt ohne Seele. Wien 1938, 479 Seiten, Aufbau Verlag 2018

Haruki Murakami, Die Ermordung des Commendatore I Eine Idee erscheint, ungekürzte Lesung, 11 CDs, 781 Minuten, gelesen von David Nathan, Hörbuch Hamburg
Japanische Originalausgabe als Roman erschienen 2017, deutsche Übersetzung im Verlag DuMont Buchverlag