800px Afrinsouth1Außenamt, Bundeskanzlerin, ja die gesamte Regierung, legen in der Sache Afrin einen fulminanten Ausfall in der Menschenrechtsangelegenheit hin

Heinz Markert

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Wie auch nicht anders zu erwarten war: Nichts sehen, nichts Genaues wissen wollen, nichts offen sagen, sich bloß nicht einmischen, das kennen wir von seiten der Regierung, sobald mächtige Interessen stiernackiger Klienteln, die über uns zu befinden beanspruchen, im Spiel sind.

„Wo ist die Weltgemeinschaft...!“

Die Tagesschau vom 17.03 2018 zeigte einen Ausschnitt von den Verheerungen und Zerstörungen, die eine losgelassene türkische und dschihadistische Soldateska in und um Afrin anrichtete. Zivile Ziele, wie auch ein Krankenhaus wurden ‚selbstverständlich‘ getroffen. Das Handeln der Türkei in Afrin ist ein Verbrechen an einem anderen Volk, aber auch an der Menschheit, die den Religionen sonst angeblich so viel wert, aber doch nur Spielball ist.

Einen Vater, dem kurz zuvor seine beiden Söhne von Erdogan totgebombt wurden, sah man die Hände gen Himmel recken und ausrufen: „Wo ist die Weltgemeinschaft, wo unsere Rechte, wo bleibt die Menschlichkeit!“ (tagesschau 17.03.2018 20.00 Uhr, 2.57). 90 000 Menschen sind aus Afrin geflohen, wurden aus ihrer Heimatstadt vertrieben. Es ist der Auszug eines kurdischen Volkes, das wir im zivilen Europa als irgendwie vernünftiger geprägt ausmachen als andere, die dem Fanatismus, dem Religionswahn und oder Selbstüberhöhung ihres vermeintlich Eigenen verfallen sind und verachtungsvoll auf andere herabblicken. Das gibt es so bei den Kurden nicht. Sunniten contra Schiiten und vice versa. Eine völlig absurde Gegeneinanderstellung.

Kein Aufschrei geht durchs Land ob der Gewalttat der Türkei in Afrin

Und wäre es bloß auch ein im Freizeitlook sich vor der Glotze lümmelndes deutsches Spießbürgertum, das die Regierung auf Niedriglohn gesetzt hat und dem deswegen nun aber fast alles so ziemlich egal ist. Im Hintergrund werkeln die bei Völkermord und Vertreibungen zu allen Zeiten mitmischenden Rüstungsunternehmen mit Rheinstahl und Heckler & Koch (im Jemen sind sie beteiligt, wo ein ganzes Land in Schutt und Asche gelegt wird). Auf Messen kokettieren diese Herren locker und entspannt mit den Auswirkungen ihrer knallhart besitzstandswahrenden Verkaufsmethoden.

Diese verschwiegene Heimlichtuer-Industrie ist eine per Tradition einflussreiche, seit die Fronterfahrungen der Deutschen Wehr 1983 (‚Atombomben in Deutschland“, ARD 19.03.2017) rehabilitiert wurden und seitdem wieder geachtet sind. Zu dem letzten Punkt kam durch TOP-SECRET-Dokumente nun gerade heraus, dass wir 1983 sekundenknapp am Atomkrieg vorbeigeschlittert sind, bloß weil ein Sowjet-General Nerven hatte.

Zum Einfall der Türkei in Afrin hatten wir uns bereits eingeschaltet und ergingen uns am 5. Februar 2018 noch in der Illusion, die Groko sei noch nicht gesammelt genug, um sich eine politische Moral zu eigen zu machen und den Überfall der Türkei auf ein Nachbarvolk - die YPG-Kurden - konsequent als Völkerrechtsbruch und Mord zu verurteilen. Die YPG-Kurden sind in Deutschland keine verbotene Organisation, im Gegenteil, sie wurden 2014 belobigt, weil sie viele Christen und Jesiden gerettet hatten. Wer allerdings einen Post unter einen Artikel von br-online zu ihnen schreibt, kann ins Visier des Verfassungsschutzes geraten. Nur weil der Artikel auch die Fahne des YPG zeigt – die aber auch nicht verboten ist – wird der Post zur strafbaren Handlung (Monitor berichtete hierüber am 15.03.2018). Das hat Horst Seehofer mit dem bayrischen ‚Polizeiaufgabengesetz‘ ermöglicht, das er gern verschärfen und auf die gesamte Bundesrepublik übertragen möchte. Na, da bahnt sich Zoff an in Berlin. Politische Sprengsätze hat's dort genug. 

Heiko Maas wandelt hagestolz durch die Berliner Gänge des Regierungsviertels

Der neu inthronisierte Dressman im Außenamt bekommt auch die Klappe nicht auf, nicht mal, wenn, wie jetzt auf allen Kanälen gemeldet, türkische Soldaten und dschihadistische Milizen, mit denen die Türkei kooperiert – womit sie auch wieder den IS ins Spiel bringt – die Stadt Afrin brandschatzen, mit Raub überziehen und niedrig und gemein ihre menschlichen Artgenossen plündern. Verkommene Welt und unfähige eigene Regierung, Ausfall der Weltgemeinschaft, der UNO und besonders auch des NATO-Generalsekretärs, der beständig schweigt zum himmelschreienden Unrecht. Hat es denn die deutsche Regierung nötig, es einem fahrig bramarbasierenden, in wirren Wortkaskaden daher schwafelnden und mit heillosen Anschuldigungen gegen die Kurden Afrins um sich werfenden Despoten recht zu machen? Oder sind die Kurden Afrins etwa gar nur ein Opfer des deutschen Flüchtlingsdeals mit Erdogan? Einzig Carla del Ponte, bekannt als frühere Chefanklägerin am Internationalen Strafgerichtshof mit Sitz in Den Haag hat ihre Empörung in Anbetracht der Tatsache zum Ausdruck gebracht, dass niemand den Kurden hilft (carladelponte.com)

Wenigstens forderte der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion – wenn auch erst jetzt – die Bunderegierung auf, das türkische Vorgehen in Afrin als völkerrechtswidrig zu verurteilen. Seine Homepage wies bis vor kurzem noch etwas anderes auf. Erst seit dem 19. Februar 2018 ist sie auf dem neuesten und aktuellen Stand. Angela Merkel unterließ es in ihrer Regierungserklärung den Völkerrechtsbruch im Fall Afrin anzusprechen.

Erdogan verliert die Nerven, denn er steht unter Druck

Erdogan geht es mit seinem verderblichen Handeln gegen das irakische Afrin darum, eine leicht lenkbare und manipulierbare Anhängerschaft sowie die unentschlossene Wählerschaft mit nationalistischen Tönen und Taten anzuschärfen, da er unter Druck ist, denn das Land ist angeschlagen, die Wirtschaft steht auf tönernen Füßen, sie hat sich volatilen Finanzmärkten ausgeliefert, die das Land zu jedem geeigneten Zeitpunkt über die Klinge springen lassen können, indem sie den Daumen nach unten senken.

Man muss ihm allerdings – wenn auch nur in gewisser Weise - ‚zugutehalten‘, dass die Länder der Welt sich untereinander mehr und mehr belauern – wie schon so viele Male -, um gegebenenfalls gegenseitig sich doch wieder an die Gurgel zu springen und aufeinander loszudreschen. Eine pathologische Hysterie und der Ungeist des Kriegs aller ist wieder ‚in‘, nachdem die Pathologie in der Folge der Auflösung der bipolaren Welt und in Anbetracht des Endes des Kalten Krieges - unter dem sich auch Öffnung entwickelte - einige Jahre ausgesetzt war. Die Menschheit ist wieder in den Krankheitszustand übergegangen. Näheres zu diesem Thema, siehe bei Freud oder Erich Fromm.

Die neue, gesteigerte Problematik rührt daher, dass das Kapital, wenn ihm keine Grenzen gesetzt werden, wenn es losgelassen und digital aufgemotzt wird, die Menschheit zerstört. Es gibt keine wahren, echten Länder mehr. Es gibt nur Menschen, die sich im Guten wie im Schlechten einander sehr ähnlich sind und viele, wenn nicht alle ihre arttypischen Gemeinsamkeiten teilen. Die Illusion des echten Ländles können sich die völkisch Gesinnten abschminken, denn wir sind über 3,2 Millionen Jahre unter derselben Sonne sozialisiert, seit "Lucy". Der Norden lebt von der Umprägung der Hochkulturen des Mittelmeerraums und des Nahen Ostens. Er formte nur um, seine Leistung ist die Perfektionierung und der Rationalismus. Genuin aber ist die Erringung der Aufklärung gegen Widerstände, die heute von den Völkischen und von Erdogan widerrufen wird. Ein gänzliches Ausnahmephänomen ist die allseits übernommene große Musik. Der syrische Junge Neil Tarabulsi aus Homs ist ihr mitten im Krieg begegnet und hat sie zu seiner Leidenschaft gemacht (vergl. Youtube). Er lebt jetzt unter uns.

Das Dilemma, der Zustand der einen Welt unter der Herrschaft des globalisierten Kapitals und der Gier einer Handvoll, rechtfertigt jedoch keinen Angriff auf ein anderes Land, nur um sich selbst aus der Schlinge zu ziehen; um sich zu erhöhen und sich etwas besser zu fühlen und auf Kosten anderer die eigenen Schäfchen ins Trockene zu bringen. Das ist uncool, Mr. Erdo.

Foto: wikimedia.org · Bertramz

Info:
Der Buch-Tipp zu Freud: Hans Martin Lohmann, ‚Freud – zur Einführung‘, Junius, mehrfach neu aufgelegt.

Vorhergehender Artikel in WELTEXPRESSO:
Neue Tragödie der Weltgemeinschaft – Der Überfall auf Afrin https://weltexpresso.de/index.php/zeitgesehen/12125-neue-tragoedie-der-weltgemeinschaft-der-ueberfall-auf-asrin_556