kpm Die norwegische Moderatorin Faten Mahdi Al HussainiWas unter Kopftüchern vorgeht, Teil 1/2

Klaus Philipp Mertens

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Das Kopftuch sei ein Ausdruck der Liebe zu Gott. Und diese sei größer als zu allem anderen auf der Welt. So schrieb eine Muslima in einem Brief, den die „Frankfurter Rundschau“ am 24. März veröffentlichte.

Ich hielt den Beitrag zunächst für eine Satire. Auch wegen des Hinweises, dass Frauen nicht den Männern dieser Welt untertan seien, sondern allein Gott. Doch beim wiederholten Lesen gewann ich zunehmend den Eindruck, dass die Dame von dem, was sie schreibt, tatsächlich überzeugt ist. Und ich war und bin noch immer darüber erschüttert.

Denn diese Zuschrift offenbart ein Religions- und Gottesverständnis, das von christlichen und jüdischen Gläubigen, die ernst genommen werden wollen, längst nicht mehr geteilt wird. Dies hängt mit der Aufklärung zusammen, die vor 300 Jahren in Europa für ein neues Bewusstsein sorgte. Die Infragestellung unreflektierter Gottesbilder lässt sich jedoch auch direkt auf die Bibel zurückführen. Denn es ist unerlässlich, ihre Mythen und Gleichnisse in den jeweiligen historischen Kontext einzuordnen. Für den evangelischen Theologen Rudolf Bultmann (1884 – 1976) war das Verstehen der Zusammenhänge eine Grundvoraussetzung für den Glauben. Eine religiöse Überzeugung, die auf einer schlichten Anschauung der Dinge basiert, tendiert zum inhumanen Fundamentalismus.

Sowohl das Christentum als auch der Islam fußen zu wesentlichen Teilen auf dem Judentum, das in der Hebräischen Bibel (dem Alten Testament der Christen) seinen sichtbarsten Ausdruck gefunden hat. Dessen erste schriftliche Glaubenszeugnisse, nämlich das Thronnachfolgebuch, lassen sich auf das Jahr 926 v.C. datieren und sie setzen die bis dahin üblichen mündlichen Überlieferungen fort. Letztere reichen zurück bis in die Zeit um 1200 v.C. Die Entstehungsgeschichte endet mit der Synode von Kamnia im Jahr 100 n. C., welche den Kanon der heiligen Schriften (der Juden) endgültig festlegte.

Während dieser Zeitspanne von mehr als 1000 Jahren hat sich das Gottesbild der Juden erheblich gewandelt. Findet man in den Schriften zunächst die Gottesbezeichnungen Elohim und Jahwe, so setzt sich nach dem Babylonischen Exil (ab 536 v. C.) der vierbuchstabige Gottesname JHWH durch, der zwar sprachlich auf die Bezeichnung Jahwe zurückgreift (also gemäß der hebräischen Schriftsprache lediglich die Konsonanten des Worts wiedergibt), aber nicht mehr gesprochen wird. Denn die Weisen Israels hatten erkannt, dass die Reduktion Gottes auf menschliche Denk- und Sprachmuster das Wesen des einzigen (geglaubten) Gottes infragestellen würde. Im 2. Buch Mose (Exodus), Kapitel 3, Vers 14, bezeichnet sich Gott auf dem Berg Sinai gegenüber dem nachfragenden Mose als der „Ich bin der Ich-bin-da“, was die nahezu einzigartige dynamische Entwicklung einer Gottesvorstellung bedeutet. Nämlich die Wandlung vom archaischen Übervater zum namenlosen Gott jenseits menschlicher Vorstellungen. Martin Luther übersetzte das mit „Ich bin der, der ich sein werde“, was ebenfalls der Absicht der ursprünglichen Verfasser entsprechen dürfte. Bei der Schriftlesung und im Gebet sind statt eines Gottesnamens nunmehr die Anreden Haschem (Hebräisch: der Name) und Adonai (Hebräisch: mein Herr) üblich.

Diese Entwicklung ist in der jüdischen und christlichen Religions- und Wirkungsgeschichte nicht mehr umkehrbar; auch wenn es von Orthodoxen regelmäßig versucht wird. Und sie beinhaltet vor allem, dass die Verehrung des namenlosen und gestaltlosen Gottes, der in letzter Konsequenz nur noch gedacht, aber in konkreten Bildern nicht mehr erfassbar ist, im Gebot der Nächstenliebe ihre Anwendung findet. Der evangelische Theologe Herbert Braun (1903 - 1991) formulierte diese Erkenntnis so: „Gott ist das Woher meines Umgetriebenseins; ist das Woher meines Geborgen- und Verpflichtetseins vom Mitmenschen her ... Der Mensch als Mensch impliziert Gott“.
Was ist das für ein Unterschied zur Auffassung der eingangs zitierten Muslima, die unfähig ist, sich von archaischen und hierarchischen Denkmustern zu trennen und einen Gott verehrt, der die Eigenschaften eines weltlichen Diktators aufweist und vorrangig von Frauen Unterwerfung fordert!

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Foto:
Die umstrittene norwegische Fernsehmoderatorin Faten Mahdi Al-Hussaini, die mit Kopftuch auftrat
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