Ebern WutWas unter Kopftüchern vorgeht, Teil 2/2

Klaus Philipp Mertens

Frankfurt am Main (Weltexpresso) –Zugegeben: Es war auch für die Christen ein weiter Weg, bis ihre Theologie Erkenntnisse wie jene von Rudolf Bultmann, Paul Tillich oder Herbert Braun hervorbrachte. Ein erster wichtiger Schritt dazu war die Leben-Jesu-Forschung, die mit der Aufklärung einsetzte.

Jesus hat die Kirche, die sich nach ihm nennt, nachweislich nicht gegründet. Sein Wirken geschah im Kontext einer innerjüdischen Auseinandersetzung um den richtigen Weg des Menschen im Horizont der heiligen Schriften. Die Urgemeinde verstand ihn vor allem als Propheten. Nicht zuletzt unter dem Einfluss altgriechischen Denkens wurde er allmählich in eine gottgleiche Position gerückt. Dafür ist das Johannes-Evangelium ein typisches Beispiel.

Die Konzile von Nicäa (325) und Konstantinopel (381) sehen in Jesus schließlich sowohl den wahren Menschen als auch den wahren Gott. Seine heilsgeschichtliche Rolle wird aus missverstandenen Stellen der Bibel abgeleitet. In Johann Sebastian Bachs H-Moll-Messe findet diese Fehlinterpretation ihre sprachliche Vollendung: „Licht vom Lichte, wahrer Gott vom wahren Gotte, gezeugt, nicht erschaffen“. Doch die Ästhetik ist kein Kriterium für den Wahrheitsgehalt. Diesem unreflektierten Glauben ist der geschichtliche Jesus samt seiner Absichten für lange Zeit zum Opfer gefallen.

War der theologische Irrtum der frühen Christenheit bereits verhängnisvoll, so stellt die Adaption jüdischer und christlicher Vorstellungen durch den Islam und deren Einbettung in andere, sehr unterschiedliche kulturelle Rahmenbedingungen eine besondere Entfremdung der ursprünglichen Ideen dar. Der Prophet Mohammed wollte den unterschiedlichen Göttern, die auf der arabischen Halbinsel verehrt wurden, einen einzigen Gott entgegensetzen, der unverkennbar Züge der jüdischen Gottesvorstellungen aufweist (Monotheismus). Parallel dazu wird Jesus als Prophet verehrt, der die Menschen zur Erkenntnis und Verherrlichung dieses alleinigen Gottes aufgerufen hatte. Dennoch will der Islam seinen arabischen Hintergrund nicht verleugnen. Er nimmt sowohl die positiven als auch die negativen Traditionen dieses Kulturraums auf und er stellt weder die überkommenen Herrschaftsverhältnisse grundsätzlich infrage noch die Praxis, in der Herrschaft ausgeübt wird. Folglich spiegeln sich in den religiösen Vorschriften des Korans die realen Verhältnisse, die nicht infrage gestellt werden. Eine künftige Ordnung, in der die Menschen mit Gott versöhnt existieren, wird auf das Jenseits verschoben. Auch hier lassen sich Übereinstimmungen mit einem unhistorischen jüdischen und christlichen Fundamentalismus nachweisen.

Während die Hoffnungen der Juden auf einem Messias ruhen, der als geistlicher und weltlicher Befreier erwartet wird und die christliche Theologie der Neuzeit mehrheitlich ein Reich Gottes auf Erden entwirft, in dem die Ethik des Neuen Testaments, die sich aus dem Alten Testament ableitet (Nächstenliebe), die herrschende wird sein müssen, ist die Haltung des Islam bis heute zwiespältig geblieben.

Die durchaus vorhandenen hohen ethischen Maßstäbe in Alltagsdingen (z.B. Barmherzigkeit, Gastfreundschaft) haben zu keinem allgemeinen Paradigmenwechsel geführt. Das liegt auch daran, dass die feudalen Strukturen aus der Zeit Mohammeds in den islamischen Ländern weiter fortbestehen. Obwohl die Völker Arabiens sowie auch die übrigen muslimischen Länder zu den geschundenen Nationen dieser Welt zählen, ausgebeutet von den eigenen Autokraten und vom globalen Kapitalismus, sind sie bis heute nicht zu einer sozialen Befreiung in der Lage. Wo das wie im Iran während der Zeit Mossadeghs gelang, sorgten die USA für die Wiederherstellung alter Machtstrukturen, sahen auch dem Niedergang des Schah-Regimes unbeteiligt zu und nahmen dadurch die Islamisierung des Staats durch Chomeini inkauf. Dort, wo mittlerweile neuer Widerstand entsteht, schlägt er allzu häufig um in Terrorismus, der sich weniger gegen die Ausbeuter als gegen Unbeteiligte in Europa und den USA richtet.

Die islamistischen Attentate in Frankreich, Deutschland oder Großbritannien, aber auch in Arabien und Asien, dokumentieren, dass der offizielle Islam bis heute weder theologisch noch politisch an Reife gewonnen hat und dass er dringend einer Reform bedarf. Ja, er erfüllt objektiv sogar die Funktion einer fünften Kolonne des Neoliberalismus. Seine herrschenden Clans sind auf die Wallstreet eingeschworen und sein Proletariat hasst Demokratie, Sozialismus und internationale Solidarität. Die inneren Strukturen dieser Gottesstaat-Ideologien sind den Konzepten des europäischen Rechtsextremismus und Rechtspopulismus zum Verwechseln ähnlich. Die Rechtsextremismusforscherin Julia Ebner hat das in ihrem jüngst erschienenen Buch „Wut – Was Islamisten und Rechtsextreme mit uns machen“ nachgewiesen.

Es ist an der Zeit, dass der Islam den Weg zu den Menschen findet. Dann würde er auch von anderen Religionen und Weltanschauungen akzeptiert werden. Eine bedingungslose Toleranz durch den Westen, die das nicht Tolerierbare stillschweigend akzeptiert, wird jedoch der falsche und weiterhin verhängnisvolle Weg sein.

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Info:

Julia Ebner
Wut
Was Islamisten und Rechtsextreme mit uns machen

320 Seiten. Paperback
Ladenpreis 19,95 Euro
Konrad Theiss Verlag
ISBN 3 9783806237016
Erschienen im Februar 2018