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Kategorie: Zeitgeschehen
tach lauderRonald S. Lauder in der New York Times zur Situation Israels und dem weiteren Weg

Jacques Ungar

New York (Weltexpresso) -  Nach den Äusserungen von Ronald S. Lauder in der «New York Times» wird vor allem eines deutlich – die innerjüdische Kluft scheint immer tiefer zu werden. 

Wenn Gefahr von aussen droht, schliessen sich in Israel unter Juden und Jüdinnen die inneren Reihen, man vergisst Querelen und tritt der Gefahr geeint und entschlossen entgegen.

Während Jahrzehnten funktionierte dieser Grundsatz, der den Staat und das jüdische Volk generell mehrmals schon aus unbequemen Situationen gerettet und in Kriegsfällen sogar das physische Überleben gesichert hat.


Interne Klüfte

Heute aber, da der Staat Israel seinen Kinderschuhen mit fast 70 Jahren entwachsen ist, mehren sich die Anzeichen dafür, dass im Staat und im jüdischen Volk überhaupt die internen Klüfte derartige Ausmasse angenommen haben, dass das Funktionieren des eingangs genannten Prinzips nicht mehr automatisch gegeben ist. Das manifestierte sich dieser Tage besonders krass in einem Kommentar, den Ronald S. Lauder, Präsident des Jüdischen Weltkongresses (JWK), in der «New York Times» (NYT) veröffentlichte.

Lauder kommt dabei zum Schluss, dass Israels Existenz ohne Zweistaatenlösung und religiösen Pluralismus gefährdet sein könnte. Lauder spricht in diesem Zusammenhang von «zwei gravierenden Gefahren», mit denen Israel konfrontiert sein könnte: dem Ende einer Zweistaatenlösung und einem religiösen Pluralismus. «Ich bin konservativ und Republikaner, und ich unterstütze den Likud seit den 1980er-Jahren. Es ist aber eine Tatsache, dass zwischen dem Jordanfluss und dem Mittelmeer 13 Millionen Menschen leben. Von ihnen sind fast die Hälfte Palästinenser.» In seinem Kommentar meinte Lauder ferner, Israel werde vor eine klare Alternative gestellt werden: Entweder den Palästinensern die vollen Rechte zu gewähren und aufzuhören, ein jüdischer Staat zu sein, oder die Rechte der Palästinenser einzuschränken und aufzuhören, eine Demokratie zu sein.

Die einzige Möglichkeit, einer der beiden Alternativen aus dem Weg zu gehen, sei, wie Lauder bekräftigte, die Zweistaatenlösung. Der JWK-Präsident wies auf eine weitere Gefahr für Israel hin, die Kapitulation vor den religiösen Extremisten und die wachsende Unzufriedenheit der jüdischen Diaspora. «Die meisten Juden ausserhalb Israels», so schrieb Lauder, «werden von der israelischen Ultraorthodoxie, die das rituelle Leben und die heiligen Stätten im Staat kontrolliert, nicht akzeptiert.» Viele nicht orthodoxe Juden, zu denen ich mich selber zähle, fühlen, dass die Ausdehnung der staatlich erzwungenen Religiosität in Israel eine moderne, liberale Nation zu einer semitheokratischen macht.» Man müsse einen Kurswechsel vornehmen, sich für eine Zweistaatenlösung starkmachen und einen gemeinsamen Grund innerhalb der Nation finden, damit man den Erfolg «unserer geliebten Nation» sichern könne.


Kritik aus Israel

Die Antwort von israelischer Seite liess nicht auf sich warten. An dem in Jerusalem vom israelischen Aussenministerium gesponserten 6. Globalen Forum zur Bekämpfung des Antisemitismus kritisierte Bildungs- und Diasporaminister Naftali Bennett den JWK-Präsidenten sachlich, deswegen aber nicht weniger eindeutig. Vor allem wollte Bennett es nicht gelten lassen, dass Israel die Verantwortung trage für die Assimilation von Tausenden von Juden in den USA. «Ron», sagte Bennett zum JWK-Präsidenten, «ich habe Ihr Stück in der NYT gelesen – kein grossartiges Stück.» Er respektiere ihn ausgesprochen, fuhr der israelische Minister fort, doch er stimme nicht mit ihm überein. «Die Assimilation in Amerika ist nicht das Resultat der israelischen Politik, Assimilation ist das Ergebnis des Wohlstands in den USA, und sie ist älter als der Sechs­tagekrieg, älter als die Intifada. Es handelt sich um einen fortlaufenden Trend, gegen den wir anzukämpfen haben.» Bennett vewahrte sich ferner dagegen, dass Lauder in der NYT die palästinensische Hetze mit dem israelischen Siedlungsbau «in den gleichen Topf» werfe. «Es gibt kein moralisches Gleichgewicht zwischen dem Siedlungsbau, den ich ‹das Bauen in unseren Gemeinden in unserer Heimat› nenne, und der palästinensischen Hetze.» Er werde Lauder weiter zutiefst respektieren, fasste Bennett seine Worte zusammen, und man werde die Debatte fortsetzen, denn das sei es, was das Wesen Israels ausmache.


Krise der jüngeren Generation

Lauders Replik am Jerusalemer Forum machte klar, wie tief und grundsätzlich die Kluft zwischen Leuten wie ihm und Politikern wie Bennett­ ist, die heute die ideologische Linie des Staates formen. Zuerst meinte er zwar, dass er und Bennett auf die gleichen Ziele hinarbeiten würden. Wer aber seine Ausführungen in dem NYT-Kommentar weiter verfolgt, dem wird klar, dass Ronald S. Lauders Worte an Bennett kaum mehr als eine höfliche Floskel waren. Einerseits, so schrieb er, sei die palästinensische Hetze und Intransigenz «destruktiv». Das gelte aber auch für Annektierungspläne, die von der Rechten vorangetrieben würden, sowie für extensive jüdische Siedlungsaktivitäten jenseits der Trennungslinie.

Dann wiederholte der JWK-Präsident seinen Hinweis auf die zweite Gefahr: «Israels Kapitulation vor den religiösen Extremisten und die wachsende Entfremdung der jüdischen­ Diaspora.» Lauder präzisierte: «Viele der nicht charedischen Juden in der Diaspora fühlen vor allem in den letzten Jahren, dass die Nation, die sie politisch, finanziell und spirituell unterstützen, ihnen den Rücken zuwendet.» Durch das Nachgeben dem Druck gegenüber, den eine Minderheit in Israel ausübe, entfremde der jüdische Staat ein grosses Segment des jüdischen Volkes. «Besonders ausgeprägt ist die Krise unter der jüngeren Generation, die vorwiegend säkular ist», betonte Lauder. Die Resultate würden nicht überraschen: Assimilation, Entfremdung und eine ernsthafte Erosion der Affinität der globalen jüdischen Gemeinde für die jüdische Heimat.


Kein gemeinsamer Nenner

Stellen wir die hier dargestellten Meinungen einander gegenüber, fällt es tatsächlich schwer, einen gemeinsamen Nenner zwischen den von Lauder vertretenen Ansichten und Verteidigungsstrategien zu finden, wie Naftali­ Bennett sie, wahrscheinlich stellvertretend für die ganze heutige israelische Regierung, entwickelt hat. Natürlich respektiert der israelische Minister einen Mann wie Ronald S. Lauder.­ Allerdings dürfte dieser Respekt sich auf das Demonstrieren guter Tischmanieren an einem gemeinsamen Mittagessen beschränken. Im Kern der Sache dagegen driften die an Selbsteinschätzung kaum noch zu überbietende israelische Position und die des Diaspora-Judentums immer weiter auseinander. Die innerjüdische Kluft ist nicht nur unverändert tief, sie wird immer tiefer. Wollen Israeli und ihre Freunde in aller Welt tatsächlich warten, bis externe Gefahren ihre Existenz bedrohen, bevor man versucht, das Steuer noch herumzuwerfen?

Foto:
Ronald S. Lauder kommt in seinen Ausführungen zum Schluss, dass Israels Existenz ohne Zweistaatenlösung und religiösen Pluralismus gefährdet sein könnte © tachles

Info:
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 23. März  2018