p Podium 2Weilburger Jugendparlament fördert Erinnerungskultur, Teil 1/2

Jürgen Weil

Weilburg (Weltexpresso) - Provozierende Fragen hat das Weilburger Jugendparlament rund 50 Diskussionsteilnehmern im Weilburger „Komödienbau“ gestellt. Könnten sich Krankenmorde an Behinderten wie in der NS-Zeit wiederholen? Haben wir generell etwas aus der Geschichte gelernt? Wie muss zeitgemäßes Handeln für eine friedliche Zukunft aussehen?

p Podium 1Die Vorstandsmitglieder des Jugendparlaments, Angelika Klaus, Stephanie Kleiber und Markus Huth, haben nicht nur die Euthanasieausstellung „Erfasst, verfolgt, vernichtet“ ins Bergbau- und Stadtmuseum geholt, sondern auch im Rahmen ihres Begleitprogramms ein kompetent besetztes Podium über die „Zukunft der Vergangenheit“ diskutieren lassen. Moderator Markus Huth forderte die acht Teilnehmer zum Statement: „Geschichte ist für mich...“

...Anlass zum Tun, „wenn die Grenzen der Meinungsfreiheit überschritten werden“, sagte Irmela Mensah-Schramm, Menschenrechtsaktivistin und, wie sie sich selbst nennt, „Politputze“ aus Berlin, die seit über 30 Jahren Hakenkreuze und Hassparolen von Mauern und Laternen kratzt oder mit Friedensbotschaften deutschlandweit übermalt. „... immer auch regional fassbar“, so Martina Hartmann-Menz, Historikerin aus Elz und Lehrerin in Hadamar. „... das Aufeinandersetzen von Bodenschichten“ (Bürgermeister a. D. Hans-Peter Schick), „...Herausfinden, wer hinter dem Geschehenen steht“ (Monika Graulich aus Gießen, Regionalsprecherin von „Gegen Vergessen – für Demokratie e. V.“), „...was davon in unserem Bewusstsein ist“ (Thomas Auner vom „Limburger Gesprächskreis“), „... für mich zum Beispiel ein Gang durch die Ausstellung, die mir zeigt, wie opportunistische Berufsgruppen, hier vor allem Ärzte bedenken- und gewissenlos zu Trägern des NS-Vernichtungsprogramms werden konnten“, (Joachim Warlies, Heimatforscher und Schulleiter a. D.).


Diktat des Ökonomischen

„Geschichte ist für mich Wissen als Voraussetzung für Erinnerung“, sagt Regine Gabriel, pädagogische Leiterin der Euthanasie-Gedenkstätte Hadamar, „identitätsbildend und notwendig für jede politische Teilhabe.“ „...ein Zusammenspiel von Vergangenem mit dem Gegenwärtigen, das in die Zukunft wirkt“, sagt Franz Bossong, stellvertretender Direktor der Vitos Klinik für Psychiatrie, Hadamar. Er fürchtet, dass im Bewusstsein der Menschen die Ideologie von der „Erbgesundheit“ und das rechnerische Denken bei der Behandlung psychisch Kranker fortbestehen. „Die NS-Ideologie von der ‚Rassenhygiene‘ hat Restbestände“, sagte Warlies. Die Nationalsozialisten konnten auf die insgeheime Zustimmung in der Bevölkerung bauen, viele psychiatrische Anstalten gingen grenzwertig mit ihren Patienten um, auch wenn es wie in Weilmünster nach Meinung von Hartmann-Menz reformpsychiatrische Ansätze gab. Ganz offen wollten die Nazis das nach ihrer Ansicht „unwerte Leben“ ausmerzen, aus Kostengründen Kranke aussortieren, „damit sie der Gesellschaft nicht zur Last fallen“, durch Zwangssterilisationen und Tötungen. Alleine in Hadamar folgten etwa 10 000 Morden durch Vergasung fast 5000 weitere Krankenmorde durch Essensentzug, Medikamentenüberdosierung oder Todesspritzen.

FORTSETZUNG FOLGT

Fotos: 
Titel: Podium sitzend © Jürgen Weil
Text: v.li.: Thomas Auner, Martina Hartmann-Menz, Hans-Peter Schick, Irmela Mensah-Schramm, Monika Graulich, Stephanie Kleiber und Markus Huth (Jugendparlament), Regine Gabriel, Franz Bossong, Joachim Warlies © Jürgen Weil