p Mensah Schramm Huth GraulichWeilburger Jugendparlament fördert Erinnerungskultur, Teil 2/2

Jürgen Weil

Weilburg (Weltexpresso) - Für Regine Gabriel ist es unvorstellbar, dass sich diese grausigen Ereignisse wiederholen, ihre Aufarbeitung seien in Deutschland, wenn auch mit Verzögerung „sehr besonders“, also letztlich gut verlaufen. Trotzdem sei auch in der stabilen Demokratie der Sozialstaat gefragt, er fange viele „randständige Menschen“ nicht auf. Martina Hartmann-Menz legte ergänzend die Finger in die Wunde der „unwürdigen Bedingungen“, unter denen Alten- und Krankenpfleger vielfach arbeiten müssten. Und Hans-Peter Schick nannte Verrohungen im Verhalten vieler gegenüber Rettungssanitätern, Feuerwehrleuten und Polizisten. Thomas Auner beklagte diese fehlende Wertschätzung in der Gesellschaft und forderte ein Klima der Achtung schon in der Erziehung.

Medizinische Versuche, ins Erbgut einzugreifen und zu verändern, werden auch aus dem Publikum problematisiert. Gisela Voss spricht von „Druck auf Schwangere“, wenn Ärzte ihnen pauschal pränatale Untersuchungen empfehlen. Hartmann-Menz allerdings sieht darin eine Option, keinen Zwang, und bittet um eine differenzierte Betrachtung der Pränataldiagnostik. Grundsätzlich gibt es Warnungen vor dem Missbrauch von auf Chipkarten gespeicherten Gesundheitsdaten. Schon die Umbenennung von „Krankenkassen“ in „Gesundheitskassen“ beinhalte ein Denken, Kosten für nachweisbares nicht gesundheitsförderndes Verhalten eventuell nicht übernehmen zu müssen. „Der Wert des Einzelnen“, sagt Bossong, „ist etwas Unschätzbares.“


„Was können wir heute tun“, fragt Markus Huth, „dass sich Geschichte nicht wiederholt?“

p Kleiber HuthAngele Müller sieht Gefahren in der sich verändernden politischen Stimmung im Land, die sich Populisten zunutze machen könnten. Irmela Mensah-Schramm bestätigt die Zunahme der anonymen Hassparolen auf Facebook oder die Verbreitung von Aufklebern wie „Dringend neuer Adolf gesucht“. Sie findet es unerträglich, dass sie nicht entfernt werden, sie aber Strafverfahren durch die Justiz ausgesetzt sei, „wenn ich meine staatsbürgerliche Pflicht tue.“ Martin Frömel nennt den gleichgelagerten Fall der Brüder Bender: „Sie werden aber im Stich gelassen.“ Und die Justiz greife nicht ein, wenn ein Internetblogger, ein bekannter Unternehmer, nach einem „kleinen Holocaust“ für Gewalttäter rufe. „Wo ist der Aufschrei im Kreis Limburg-Weilburg?“, fragt Frömel, „gerade mal zwei Leserbriefe im Tageblatt dazu.“

„Aktivisten und Rathäuser sollten zusammenarbeiten“, sagt Schick, auf andere zugehen, niemanden ausgrenzen, Inklusion leben, achtsam sein in der Nachbarschaft, damit Gesellschaft nicht auseinanderbricht, sei wichtig, und „Gedenktage sinnvoll nutzen.“ Das geschehe schon am 27. Januar, dem Holocaust-Gedenktag, kündigt Martina Hartmann-Menz an, wenn in der Heilig-Grab-Kapelle die Namen von Euthanasieopfern aus dem Raum Weilburg, die sie bei Nachforschungen im Bundesarchiv gefunden hat, verlesen und ihre Lebenslinien vorgestellt werden.

„Wir brauchen neue Wege der Erinnerung“, sagt Warlies und dankt dem Jugendparlament ausdrücklich für seinen Beitrag mit der Wanderausstellung, einer Lesung am 25.1. und einer Filmvorführung am 6.2.. „Die Jugend erreicht man mit geschichtlichen Anknüpfungspunkten vor Ort“, sagt Monika Graulich, „und wie bei ‚Anne Frank‘ mit Altersschicksalen.“ Vor allem mit wirksamen Schulprojekten wie der ‚Aktion Stolpersteine‘ der Leo-Sternberg-Schule in Limburg. „85 sind bereits verlegt, 75 davon erinnern an jüdische Opfer, sechs an Euthanasieopfer, sechs weitere Stolpersteine für Euthanasieopfer folgen“, berichtet Christoph Waldecker, Stadtarchivar in Limburg. Auch wenn zwei angekündigte Schulklassen mit ihren Lehrern doch nicht zur Podiumsdiskussion gekommen sind, bleibt Regine Gabriel optimistisch: „Es gelingt uns in der Euthanasiegedenkstätte gut, die Jugendlichen zu interessieren. 20 000 Besucher jährlich, 70% davon Schulklassen, sind ein positives Zeichen für eine wirksame Erinnerungskultur.“

Fotos:
Titel: v. li. Mensah-Schramm-Huth-Graulich © Jürgen Weil 
Text: Kleiber-Huth © Jürgen Weil