c muslimantisem«Muslimischer? Antisemitismus?»

Yves Kugelmann

Berlin (Weltexpresso) - April 2018. Der Anschlag von Münster liegt drei Tage zurück und kurbelt die Debatte um Europas Muslime neu an. Mitten in die von allen Seiten emotional aufgeladene Diskussion präsentiert der Sozialwissenschafter David Ranan der Berliner Friedrich-Ebert-Stiftung den Debattenbeitrag «Muslimischer Antisemitismus – eine Gefahr für den gesellschaftlichen Frieden in Deutschland?» (Dietz Verlag).

In Deutschlands Medien werden seit Wochen Antisemitismus unter Muslimen, religiöses Mobbing an Schulen, brennende Israelfahnen oder etwa «importierter» Antisemitismus debattiert. Sachlich, nüchtern, deeskalierend, unabhängig und unideologisch rückt Ranan im direkten Gespräch und im Buch vieles zurecht, was nach seiner Einschätzung in den letzten Jahren vollends durcheinander gekommen ist. Sein methodischer Ansatz ist streng wissenschaftlich, seine Ausführungen unaufgeregt.

Ein Buch, so sagt er im direkten Gespräch, hatte er zuerst nicht geplant. Er wollte wissen, ob die gängige Behauptung stimme, dass Antisemitismus unter Muslimen verbreiteter und stärker ist als in der Gesamtgesellschaft. Ranan hat sich aufgemacht und über 70 Interviews mit Muslimen in Deutschland geführt, ist Verschwörungstheorien, antijüdischen Haltungen und der Erkenntnis begegnet, dass die aktuelle Debatte in Form und Inhalt falsch ist, und er begann zu schreiben.

«Unbestritten sind antijüdische Einstellungen unter Muslimen weit verbreitet», setzt Ranan vor seine Überlegungen. Dann kommt er zu spannenden Schlussfolgerungen etwa zu Fragen, ob antijüdische Einstellungen unter Muslimen im Vergleich zur Gesamtbevölkerung signifikant höher seien oder ob jede antijüdische Haltung Antisemitismus ist. Für Ranan ist Letzteres mehr als eine semantische Definitionsfrage: «Wenn Definitionen nicht klar oder richtig sind, werden Resultate etwa von Umfragen unklar – und sogar gefährlich.»

Ranan kritisiert Lobbygruppierungen auf allen Seiten, auch jüdische: «Mit Antisemitismus wird viel Politik gemacht – teilweise auch von Juden.» Ranan spricht langsam und ruhig. Er bricht theoretische Debatten auf Beispiele und Realitäten runter. Der in London und Berlin lebende Israel-Deutsche und in Oxford promovierte Wissenschaftler denkt unabhängig, hinterfragt etablierte Diskussionsschemata, plädiert für eine offene und zugleich differenzierte Debatte, wenn er sagt: «Die Gefahr sehe ich in der nicht sachlichen Behandlung des Judenhasses. Zuerst für die Juden selbst, wenn von diversen Seiten Panik vor Muslimen geschürt und kein reales Bild gezeigt wird.»

Ranan verwirft gängige Antisemitismusdefinitionen, findet Judenhass als Ausgangsterminologie besser und führt eine Formulierung des englischen Philosophen und tachles-Kolumnisten Bryan Klug als geeigneter an: «Antisemitismus ist die Feindseligkeit gegen ‹Juden›». Die Ausgrenzung also gegen Menschen, weil sie Juden sind. Dort beginnt auch der analytische Teil zur Judenfeindlichkeit unter Muslimen und eine spannende Lektüre, der zum Teil sein universitäres Seminar «Muslimischer? Antisemitismus?» vorangegangen ist. «Oft ist der Ausgangspunkt für Judenfeindlichkeit bei Muslimen der Nahostkonflikt und nicht die Ausgrenzung von Menschen, weil sie Juden sind.»

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Yves Kugelmann ist Chefredaktor der JM Jüdischen Medien AG.
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 13. April 2018