Bildschirmfoto 2018 05 06 um 06.01.10Eine notwendige Debatte über Wege und Ziele der Emanzipation; Unrast-Verlag 2018, Teil 2/2

Thomas Adamczak

Darmstadt (Weltexpresso) - Wie aber hat man sich diese »befriedigende Beziehungsweisen« vorzustellen? Das Streben nach Autonomie und das nach Bindung und vielfältigen Beziehungen müsste so ausbalanciert werden, dass unvermeidliche Abhängigkeiten und unbedingter Freiheitswille sich nicht ausschließen, sondern »differente Positionalitäten« so weit wie irgend möglich »egalitär« gestaltet würden.

Na, was meinen Sie, sind diese Stichworte zu einer besseren, »befreiten« Welt eine geeignete Grundlage für Gespräche über wünschenswerte Veränderungen in dieser unserer Welt?

An der vorliegenden »Debatte« imponieren Ernsthaftigkeit und Engagement der Beteiligten, ganz grundsätzlich über die Frage eines gedeihlichen Zusammenlebens aller Menschen in der Welt nachzudenken.

Kontrovers verläuft die Debatte an den Stellen, wo es um »subjektive und objektive Voraussetzungen« und denkbare Schritte auf dem Weg zu einer emanzipierten Weltgesellschaft geht. Natürlich wird die Diskrepanz im Entwicklungsstand in den verschiedenen Weltregionen gesehen wie auch die oft zerstörerische Konkurrenz zwischen den Machtblöcken. Die tiefe Krise des EU-Machtblocks mit einem europaweiten Aufschwung reaktionär-konservativer Formationen ermutigt nicht dazu, die EU als möglichen Vorreiter weltweiter revolutionärer Veränderungen zu sehen.

Die Weltlage kompliziere sich zudem durch die Elends-und Kriegsflüchtlingswellen, die als Folge US-amerikanischer sowie europäischer gescheiterter Großmacht-und Regime-Change-Politik gesehen wird.

Je umfassender in der Debatte die Komplexität der gegenwärtigen weltweiten Probleme angesprochen wird, desto gravierender erscheinen die eingestreuten Bedenken, dass die Zeit für all die Vorstellungen einer positiven gesellschaftlichen Utopie bei weitem noch nicht gekommen sei.

Aber an solchen Stellen, an denen ja eine gewisse Skepsis durchschlägt, wird die Debatte besonders lesenswert, weil Einwände, die man selber hat und, wäre man dabei gewesen, eingebracht hätte, angesprochen werden.

Können wir, das ist zum Beispiel einer dieser Gedanken, auf das »Gute im Menschen« setzen? Gibt es das »anthropologisch Gute« überhaupt? Bräuchte es, um die Anlage zum »Gutsein« im Menschen zu entwickeln, so etwas wie Training im Empathie als Grundlage für die Möglichkeit eines solidarischen Miteinanders in einer künftigen Gesellschaft, die auf gegenseitige und wechselseitige Achtung und Unterstützung aus ist? Können wir Menschen von klein an solidarisches Verhalten lernen? Und wie?

Wäre zum Beispiel Abel mit dem Bruder solidarisch gewesen, dann hätte er seine permanente Privilegierung gegenüber Kain nicht hinnehmen dürfen und beide hätten deswegen den »Herrn« zur Rede gestellt und ihre Beziehung neu gestaltet, so dass es nicht zum Brudermord gekommen wäre.

Ein »autoritärer Ausweg« aus dem global vorherrschenden Kapitalismus wird infrage gestellt, weil entsprechende Versuche gescheitert sind. Gescheitert sei auch die Propagierung einer »Goldenen Zeit«, der entgegen gestrebt wird. Verkündigungen »weiser Führer« hätten ein für alle Mal ausgedient. Avantgarde-Parteien haben sich desavouiert, weshalb sich die »Organisationsfrage« völlig neue stelle. Eine Avantgarde sei nur dann vorstellbar, wenn diese von Beginn an von der Notwendigkeit der eigenen Aufhebung überzeugt sei und diese glaubwürdig verkörpere.

Vorteilhaft für die Debatte ist, wenn gelegentlich etwas kleinere Brötchen gebacken werden, wenn auf vielfältige Formen gelungener kollektiver Selbstverwaltung und partizipativer Demokratieformen eingegangen wird. Oder wenn die Rede kommt auf erfolgreiche gesellschaftliche Experimente, in denen versucht wurde und wird, »Herrschaft« überflüssig zu machen wie in Rojava und Chiapas. Gestreift werden auch Beispiele praktizierter Basisdemokratie in den »Neuen Sozialen Bewegungen« seit 1967. In dem Zusammenhang wird erinnert an Erfolge der Anti-Vietnambewegung, an die Umweltbewegungen, die Antiatombewegung und die Protestbewegungen gegen transstaatliche Verhandlungen. Erwähnt werden die Platzbesetzungen in mittlerweile immer mehr Ländern, auch Hausbesetzungen und sonstige Basisaktivitäten.

Eine weltweite fortschrittliche Bewegung in der globalen Welt sei aber, ist die ernüchternde Bilanz am Ende der Debatte, noch nicht auszumachen. Es fehlt eine antikapitalistische weltweite Bewegung, die die Selbstorganisation der Gesellschaften fordert. Eine solche globale Bewegung müsse aber letztlich das Ziel sein, demnach eine Internationalisierung sozialemanzipatorischer Basisinitiativen, unterstützt durch ein weltweites Netz linker Bewegungen neuen Typs.

Dieses Büchlein ist außerordentlich lesenswert. Es enthält viele Anregungen zum Nachdenken über die Frage, wie wir, zusammen mit all den anderen, die um uns herum und weltweit auf diesem Planeten doch eigentlich gern »gut« leben wollen, unser politisches Selbstverständnis überprüfen und eventuell revidieren können. Dabei hilft, dass in der Selbsthilfegruppe Denkverbote keine Rolle spielen und das Bilderverbot in Hinblick auf eine künftige Gesellschaft ausdrücklich außer Kraft gesetzt wird.

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Karl Marx ist einer der Säulenheiligen im Titel von Weltexpresso © Unser Zeichner 

Info:
Erneuter Versuch über die Befreiung. Eine Debatte über Wege und Ziele der Emanzipation; Selbsthilfegruppe Ei des Kommunismus (Hg.); Münster 2018
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