matku muslimischDavid Ranans Buch „Muslimischer Antisemitismus“ dementiert dessen Existenz, Teil 1/2 

Matthias Küntzel

Hamburg (Weltexpresso) - Vor einigen Wochen machte David Ranans Buch „Muslimischer Antisemitismus“ im deutschen Blätterwald Furore: Der „Spiegel“ widmete ihm eine zweiseitige Rezension, die „Frankfurter Allgemeine“ würdigte es in seiner Rubrik „Das aktuelle Buch“, der Autor kam in der „Süddeutsche Zeitung“ und den „Aachener Nachrichten“ ausführlich zu Wort, während die schweizerische jüdische Wochenzeitung „Tachles“ sein Werk als „sachlich, nüchtern, deeskalierend, unabhängig und unideologisch“ pries.[1]

Für mich handelt es sich um den abwegigsten Text, den ich bisher zum Thema Antisemitismus las. Er passt „perfekt zu vielen anderen Debattenbeiträgen, denen mit Karl Kraus zu bescheinigen wäre, so falsch zu sein, dass nicht einmal ihr Gegenteil richtig ist“, schrieb Martin Eimermacher, einer der wenigen kritischen Rezensenten, in der „Zeit“.[2]


Über Gehirnwäsche und Einflussagenten

Umfragen und Studien stellen ausnahmslos und übereinstimmend fest, dass Antisemitismus unter der muslimischen Bevölkerung Westeuropas signifikant stärker verbreitet ist, als unter der nicht-muslimischen Bevölkerung. Davon aber will Ranan nichts wissen. Seiner Überzeugung zufolge „(entspringen) Behauptungen über erhöhten Antisemitismus unter Muslimen ... einem antimuslimischen Vorurteil oder sind mitunter politisch-pragmatisch“ motiviert. Nicht der muslimische Antisemitismus sei eine Gefahr für den gesellschaftlichen Frieden, sondern „die Art, in der man ... sporadische antijüdische Eruptionen manipuliert.“[3]

Deshalb greift Ranan vornehmlich jene an, die vor dem muslimischen Antisemitismus warnen: Er wirft der Wochenzeitung „Jüdische Allgemeine“ „die Wirkung einer Gehirnwäsche“ vor. Er bezeichnet die Mitarbeiter/innen der „Anti-Defamation League“ und des „American Jewish Committee“ als „Einflussagenten, die geschickt politischen Druck ausüben“.

Ihm gilt, wer sich gegen Antisemitismus engagiert, von vornherein als verdächtig. So zweifelt Ranan die Unabhängigkeit der Mitglieder des vom Bundesinnenministerium beauftragten „Unabhängigen Expertenkreis Antisemitismus“ an, da sich diese dazu bekannt hätten, den Antisemitismus zu bekämpfen. Er fragt: „Sind es nun unabhängige Experten oder Kämpfer?“

Besonders aber schüre Israel das Vorurteil: „Auf israelischer Seite wird an einem muslimischen Antisemitismus gearbeitet. ... (Israel) bemüht sich ..., die Muslime als antisemitisch zu brandmarken.“ Er verfolgt deshalb das Ziel, „antiisraelische Äußerungen insbesondere von Muslimen vor pauschalisierten Bezichtigungen des Antisemitismus gleichsam zu schützen.“ [4]


Ranans Feldforschung

Ranan will aber nicht nur Behauptungen aufstellen, sondern diese mithilfe einer Befragung von Muslimen auch belegen. Bei der Auswahl der zu befragenden 70 Muslime ging er kein Risiko ein: „Ich wollte keinen 15-jährigen hormongeladenen Jungen interviewen, der am Vorabend gesehen hat, wie Israel Gaza bombardiert und unreflektiert Slogans wiedergibt“, erklärte der dem „Spiegel“.[5]

Stattdessen suchte er gezielt nach Muslimen, „deren Status sicher ist, die in Deutschland geboren sind, die schon seit längerer Zeit hier leben und ein besseres Gefühl dafür haben, was tabu ist und was man noch sagen kann.“ In die Endauswahl kamen ausschließlich Muslime, „die noch studieren oder schon ihren Abschluss gemacht haben“, darunter mehrheitlich Frauen.[6]

Das Ganze hat den Charakter einer unfreiwilligen Parodie: Renan hat seine Versuchsanordnung nicht nur so angelegt, dass das von ihm erhoffte Ergebnis dabei herausspringt; er hat sich auch offen dazu bekannt: „Hinter der Idee, sich auf Interviews mit Studierenden und Graduierten zu konzentrieren ..., stand der ... Gedanke, dass man in diesem Bevölkerungsteil keine Vorurteile oder Verschwörungstheorien finden würde.“[7]

Dieser Gedanke erwies sich jedoch als Vorurteil, wie Renan einräumt. Fast alle zitierten Gesprächspartner/innen phantasierten von jüdischer Weltherrschaft und wirtschaftlicher Allmacht. Juden besäßen Aldi, Starbucks, Rossmann, MacDonalds oder Coca-Cola; die Rothschilds zögen aller Ortens die Fäden, während die Israelis getöteten Palästinensern Organe raubten und „(Israel) die Welt in der Hand“ habe. Die Protokolle seiner Befragungen, die Renan ausführlich dokumentiert, gehören zum interessanten Teil seines Buchs.[8]

ANMERKUNGEN

1] Sven Becker und Dominik Peters, „Ich war fasziniert“, Spiegel 13/2018, 24. März 2018, S. 56-58; Rainer Hermann, Ein entschiedenes Ja, aber, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 24. April 2018; Sonja Zekri, Jude, Israeli, Zionist, in: Süddeutscher Zeitung, 1. April 2018; Politologe David Ranan: ,Die große Angst ist übertrieben‘, in: Aachener Zeitung, 6. April 2018; Yves Kugelmann, „Muslimischer? Antisemitismus?“, in tachles, 13. April 2018.

[2] Martin Eimermacher, Selektive Lesarten, in: Zeit, 26. April 2018. Ebenfalls kritisch: Benjamin Dierks Rezension „Muslimischer Antisemitismus“ im Deutschlandfunk, 23. April 2018 sowie Alex Feuerherdts „Wie antisemitischer Wahn rationalisiert wird“, auf mena-watch.com, 18. April 2018.

[3] David Ranan, Muslimischer Antisemitismus. Eine Gefahr für den gesellschaftlichen Frieden in Deutschland?, Bonn 2018, S. 49 und S. 209.

[4] Ranan, a.a.O., S. 17, S. 20, S. 19, S. 25, S. 44.
[5] Sven Becker und Dominik Peters, „Ich war fasziniert“, Spiegel 13/2018, 24. März 2018.

[6] Renan, a.a.O., S. 91, S. 87, S. 90.

[7] Renan, a.a.O., S. 117.

[8] BILD hat einige der Aussagen von Ranans Gesprächspartnern dokumentiert: https://www.bild.de/politik/inland/muslime/so-hetzen-junge-muslime-in-deutschland-gegen-juden-55218416.bild.html; siehe Renan, a.a.O., S. 126-149.

Foto: 
Cover

Info:
David Ranan
MUSLIMISCHER ANTISEMITISMUS
Eine Gefahr für den gesellschaftlichen
Frieden in Deutschland?
224 Seiten
Klappenbroschur
Verlag J.H.W. Dietz Nachf.
19,90 Euro
ISBN 978-3-8012-0524-9
Erscheinungstermin: März 2018

Abdruck mit  freundlicher Genehmigung des Autors. Erstveröffentlichung in mena-watch am 22. Juni 2018