p iran zdfAllerortens begehren Iranerinnen und Iraner auf. Was sie eint, ist die Hoffnung auf einen Sturz des Regimes. Deutschland aber hört nicht nur weg, sondern geriert sich als dessen Helfer in der Not, Teil 2/3

Matthias Küntzel

Hamburg (Weltexpresso) - Der Absturz der iranischen Währung hat das Einkommen einfacher Bürger binnen eines Jahres um 80 Prozent reduziert – und dies in einem Land, in dem ohnehin schon 20-25 Prozent der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze leben.[8]

Überall im Iran finden täglich hunderte von Demonstrationen gegen Lebensmittelpreise, galoppierende Mieterhöhungen, Hungerlöhne, Wasser- und Energiemangel, Nepotismus und die Diskriminierung von Minderheiten statt. Aufgrund des Währungsverfalls musste allein die Autoindustrie 14.000 Arbeiter entlassen.[9] Im Juli traten Tausende von Last – und Tankwagenfahrer in den Streik, was zum Chaos an den Tankstellen führte.

Allerortens kämpft die Bevölkerung mit vom Energieministerium angeordneten Wasser- und Stromausfällen.[10] Selbst in Großstädten wie Mashhad, Isfahan, Rasht und Karaj, die stets als regimetreu galten, wurden Polizisten eingesetzt, um Streiks zu zerschlagen.[11]


Antiklerikaler Furor

Parallel zur Währung befindet sich das Ansehen der religiösen Führung im freien Fall. Für den Zusammenbruch der Wirtschaft werden nicht die USA oder Israel verantwortlich gemacht, sondern die sich schamlos bereichernde religiöse Elite und das politische System. „Der Feind ist hier!“, lautete eine der Parolen in Isfahan, „Sie lügen, wenn sie sagen, es sei Amerika!“[12]

40 Jahre Tugenddiktatur hatten einen heilsamen Effekt: „Heute sind die Iraner das am meisten säkularisierte Volk im Mittleren Osten, dessen Moscheen selbst an religiösen Gedenktagen leer bleiben. Junge Männer wollen dem Klerus nicht beitreten und Frauen keinen Mullah heiraten. ... Das klerikale Regime steht heute merkwürdig nackt da, ohne überzeugende Ideologie oder eine zuverlässige Anhängerschaft.“[13]

Während in Deutschland die Herzen weiter für sogenannte „Reformer“ schlagen, die man im Kampf gegen iranische „Hardliner“ zu unterstützen habe, hat sich im Iran das good cop – bad cop – Spiel weitgehend erledigt, wie die Demonstrationsparolen „Reformisten, Konservative, eure Zeit ist vorbei!“ „Rohani, schäme dich, verlasse den Iran“, „Wir wollen weder schlecht, noch schlechter!“ belegen.

Zusätzlich macht sich die Wut über die kostspielige Kriegsführung in der Region mit Sprechchören wie „Zur Hölle Palästina!“ und „Nein zu Gaza, Nein zum Libanon“ Luft. Poster von Qassem Soleimani, dem Führer der Al Quds-Brigaden, werden heruntergerissen, Bilder von Khamenei verbrannt, Dutzende von Büros von Imamen geplündert, religiöse Schulen angegriffen und Freitagsgebete gestört.[14]


Mut der Verzweiflung

Würden die Machthaber Demonstrationen erlauben, wären vermutlich Millionen auf der Straße. Derzeit aber ist jeder offen Opponierende mit Gefängnis oder Schlimmerem bedroht.

Bei der Revolte zu Beginn dieses Jahres wurden zwischen 5.000 und 8.000 Menschen inhaftiert und zwischen 22 und 50 Demonstranten getötet – einige von ihnen in Gefangenschaft.[15]
Vor diesem Hintergrund ist der Mut der Akteure zu bewundern.

Das gilt besonders für die Frauen, die seit Monaten in unzähligen Einzelaktionen deutlich sichtbar ihr Haupt entblößen und ihr Kopftuch wie eine Fahne schwenken. Nachdem die bisherige Strafe für Kopftuchverstöße – 10 Tagen bis zwei Monate Gefängnis! – nicht länger verfing, begannen die Machthaber, derartige Aktionen als „Anstiftung zu Sittenverderbnis und Prostitution“ zu bewerten, ein Delikt, das mit bis zu 10 Jahren Gefängnis bestraft werden kann. Dennoch setzten die Iranerinnen ihren Freiheitskampf fort.[16]


Die Mullahs in Aufruhr

Das Ausmaß der Krise schreckt die korrupten Herrscher auf. In einer landesweit übertragenen Rede erklärte Revolutionsführer Khamenei, „dass all diese Probleme nicht durch Sanktionen verursacht seien, sondern durch einheimische Management- und politische Planungsfehler.“ Khamenei machte klar, wen er dafür verantwortlich macht: Er bedauerte, das „Experiment“ des Atomdeals mitgetragen zu haben; Präsident Rohani habe hier „rote Linien überschritten“.[17]

Auf Veranlassung seines Justizchefs Ayatollah Sadegh Larijani stimmte Khamenei einem beschleunigten Feldzug gegen Korruption zu. Binnen kurzer Frist wurden 67 Mitglieder der Elite aufgrund von Korruptionsvorwürfen inhaftiert und vor eigens neu etablierte „Revolutionsgerichte“ gestellt. Mehr als hundert hohen Regierungsangestellten, denen man vorwarf, das sinkende Schiff verlassen und sich ins Ausland absetzen zu wollen, wurde die Ausreise untersagt.[18]

FORTSETZUNG FOLGT

ANMERKUNGEN

[8] Thomas Erdbrink, Ordinary Iranians on Trump Talks Offer:,Why Not Try the Americans?‘, in: New York Times (NYT), 31.07.2018, sowie Fathollah-Nejad/Sarkohi, a.a.O. .
[9] Radio Farda, Economic Crisis In Iran Leading To Job Cuts And Inflation, August 15, 2018.
[10] Jerusalem Center – Iran Desk, What Stands behind Iran’s War Threats?, Jerusalem Center for Public Affairs, 13.08.2018 auf: http://jcpa.org/article/what-stands-behind-irans-war-threats/
[11] Dennis Ross, Iran is Throwing a Tantrum but Wants a Deal, Foreign Policy, 15.08.2018.
[12] TOI Staff and Agencies, Iranian protesters blame their government, not US, for failing economy, Times of Israel, 04.08.2018.
[13] Reuel Marc Gerecht and Ray Takeyh, The Preeminent Challenge, Weekly Standard, 03.08.2018, auf: http://www.defenddemocracy.org/media-hit/the-preeminent-challenge/
[14] Rainer Hermann, Nicht mehr zu stoppen, Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), 02.01,2018; „Nieder mit derRepublik der Akhunds“ – Notizen über die Proteste gegen die „Islamische Republik“, 13.01.2018, auf: https://jungle.world/blog/von-tunis-nach-teheran/2018/01/nieder-mit-der-republik-der-akhunds, Dr. Doron Itzchakov, Between Kazerun and Tehran: Iranian Protests in Peripheral Cities, The Begin-Sadat Center For Strategic Studies (BESA), 05.06.2018; TOI Staff and Agencies, Iranian protesters blame their government, not US, for failing economy, Times of Israel (ToI), 04.08.2018.
[15] Ivan Sascha Sheehan, a.a.O..
[16] Amnesty International, Iran: Dozens of women ill-treated and at risk of long jail terms for peacefully protesting compulsory veiling, 26.02.2018, auf: https://www.amnesty.org/en/latest/news/2018/02/iran-dozens-of-women-ill-treated-and-at-risk-of-long-jail-terms-for-peacefully-protesting-compulsory-veiling/
[17] Mehdi Khalaji, Khamenei Attacks Moderates as Source of Iran’s Problems, The Washington Institute for Near East Policy, Policy Watch 3002, 15.08.2018.
[18] Al Arabiya, !ran arrests 67 in corruption crackdown approved by Khamenei, 15.08.2018.


Foto:
© zdf.de

Info:
Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors. Der Beitrag erschien erstmals in mena-watch.com, 19. August 2018
Der Autor dankt Michael Mobasheri für Übersetzungshilfen