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Kategorie: Zeitgeschehen
p angriff auf polenDie Polen und der Zweite Weltkrieg, Teil 1/2

Elvira Grözinger

Berlin (Weltexpresso) - Im nächsten Jahr jährt sich der Ausbruch der Zweiten Weltkriegs mit Hitlers Überfall auf Polen zum 80. Mal, aber auch jetzt schon kann man aus den damaligen Reaktionen die heutigen Probleme im Verhältnis zu Polen herausfiltern.

Zur Erinnerung: Nach dem Überfall auf Polen am 1. September 1939 hielt Hitler vor dem Deutschen Reichstag in Berlin eine Rede mit der bekannten Lüge „seit 4.45 Uhr wird jetzt zurückgeschossen“. Vergessen und seit Ende April 1939 aufgekündigt war der völkerrechtliche Vertrag zwischen Hitler-Deutschland und Polen (der deutsch-polnische „Freundschaftspakt“). Diesen hatte Adolf Hitler mit dem polnischen Regierungschef Marschall Józef Piłsudski im Januar 1934 geschlossen. Der Zweck des Vertrages war ein auf zehn Jahre befristeter Nichtangriffspakt. Er sollte eine friedliche Lösung der seit dem Versailler Vertrag bestehenden strittigen territorialen Fragen bezüglich der Stadt Danzig, der Grenze in Oberschlesien sowie des Polnischen Korridors ermöglichen. Hitler wollte Danzig zurückhaben.

Es kam öfter zu Auseinandersetzungen zwischen den beiden Ländern und die Spannungen verschärften sich. Die 1918 unabhängig gewordenen Polen befürchteten stets eine neue Teilung und waren auf der Hut. 1935 starb Piłsudski, den Ton gab fortan der den Faschisten nahestehende Ryszard Dmowski, unter dem es sogar verboten war, Beleidigendes gegen den Freund Hitler zu sagen. Dennoch schürten die Nationalsozialisten zunehmend Misstrauen gegen die Polen und vier Wochen nach der britisch-französischen Garantieerklärung für Polen kündigte Hitler den Pakt mit Polen und das seit 1935 bestehende deutsch-britische Flottenabkommen auf. Der Weg zur Eroberung des „Lebensraums im Osten“, zur „Rettung der deutschen Minderheit“ und zur „Vernichtung des jüdischen Bolschewismus“ war geebnet.

Der geplante Überfall auf Polen sollte als „gerechte Strafaktion“ getarnt sein. Der Krieg kam nicht unerwartet, als Vorwand diente der von der SS fingierte polnische Überfall auf den Sender Gleiwitz vom 31. August 1939. Ohne Kriegserklärung und mit dem Beschuss des auf der Halbinsel Westerplatte befindlichen polnischen Munitionslagers durch das deutsche Kriegsschiff „Schleswig Holstein“ begann am 1. September 1939 der 2. Weltkrieg und der Überfall auf Polen. Die Westerplatte wurde am 7. September erobert.

Am 17. September marschierte im Osten Polens die Rote Armee Stalins ein. Stalin und Hitler waren durch den von den Außenministern Molotow und Ribbentrop ausgehandelten deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt vom 23. August 1939 Verbündete. Nun war Polens Schicksal besiegelt, denn die Garantiemächte Großbritannien und Frankreich konnten die Invasion nicht verhindern. Seither sehen sich die Polen als Opfer der Geschichte, wiewohl in den letzten Vorkriegsjahren Dmowskis Nationaldemokraten sehr eifrig das deutsche faschistische Vorbild auch für ihre antisemitische Innenpolitik kopierten.

Der kaum bekannte inoffizielle Kriegsbeginn fand jedoch bereits am 25. August, wie der Direktor der letzten polnischen Internatsschule in Ostpreußen in einem wenig bekannten Bericht in einer Anthologie von 1964 mit Erinnerungen an die Jahre 1939-1945 beschrieben hat. An dem Tag wurden die zu der polnischen Minderheit zählenden Schüler und Lehrer von der Gestapo interniert, feindselig behandelt, in temporäre Lager deportiert und am 18. September, mitten im Kriegsgeschehen, am 17. September, entlassen. Am Morgen des 1. September wurden die Bewohner Warschaus durch deutsche Bombendetonationen geweckt.

Alle Schriftsteller, die Zeitzeugen waren, haben diese Katastrophentage beschrieben, sie brannten sich in das individuelle und kollektive Gedächtnis der Menschen ein. Der bekannte Autor Melchior Wańkowicz verlor seine Tochter Krystyna 1944 im Warschauer Aufstand. Er schildert den Kriegsausbruch und die folgenden Tage in seinem Buch „Das Grün auf dem Krater“ (Ziele na kraterze, 1960). Die Warschauer flohen gen Osten, Richtung Litauen, Weißrussland und die Ukraine, hin zu den Flüssen Bug und Dniester, häufig vergeblich auf Rettung von der sowjetischen Seite hoffend. Etliche, wie Wańkowicz, zogen weiter. Flüchtlingtrecks zogen überstürzt mit Pferdefuhren, Autos und zu Fuß, doch auch hier ereilten sie die Bomber und entlang der Straßen lagen viele Opfer der Sturzkampfflugzeuge, Stukas, deren Piloten gerade zu Kriegsbeginn nicht nur Militärkonvois, sondern auch zivile Ziele aus unmittelbarer Nähe beschossen. Wańkowicz gelang die Flucht über den Dniester nach Rumänien und diente in der polnischen Exil-Armee des Generals Anders vom Nahen Osten bis Italien, wo er 1944 an der berühmten blutigen Schlacht um das Kloster am Monte Cassino als Berichterstatter teilnahm, bei der auch ein Onkel von mir, nach einem ähnlichen Fluchtweg, als Arzt schwer verwundet wurde. Der aus dem Exil 1958 nach Polen zurückgekehrte Autor war den kommunistischen Machthabern ein Dorn im Auge.

Fortsetzung folgt

Foto:
Polnische Kriegsgefangenen 1939 © dhm.de

Info:
Mit freundlicher Genehmigung der Autorin und der Redaktion der J.R. Abdruck aus „ Jüdische Rundschau“ Nr. 9 /49) September 2018.