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Kategorie: Zeitgeschehen
Bildschirmfoto 2018 09 27 um 02.03.00Kauders Fall - normaler Vorgang oder Kampfansage?

Kurt Nelhiebel

Bremen (Weltexpresso) – Angela Merkel weiß, wie man jemanden aus dem Amt kippt, den eigentlich alle loswerden möchten, aber sich nicht trauen. Im Fall des ewigen Kanzlers Helmut Kohl genügte ein Leserbrief an die FAZ. Darin forderte Merkel die CDU auf, sich von ihrem Übervater zu lösen. Damals war sie von Kohls innerparteilichem Rivalen Wolfgang Schäuble gerade ins Amt der CDU-Generalsekretärin gehievt worden. Ziemlich alle Parteigrößen – so ein Chronist – blickten seinerzeit in die Abgründe einer Parteispendenaffäre. Nun schlägt auch für sie die Stunde.

Niemand hatte damit gerechnet, dass der langjährige Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und Merkel-Vertraute Volker Kauder bei der routinemäßigen Neuwahl durchfallen könnte. Dann kam alles ganz anders. Sie selbst fasste sich als eine der ersten und nannte den Vorgang „eine Stunde der Demokratie“, in der es auch Niederlagen gebe. Dass sie selbst eine Niederlage erlitten hatte, sagte sie nicht. Als sie vor der Unionsfraktion beredt für Kauders Wiederwahl geworben und ihr politisches Schicksal mit dem des Fraktionsvorsitzenden verbunden hatte, hielt sie einen schlechten Ausgang ganz offensichtlich für undenkbar.

Eine ungünstigere Situation für das Malheur konnte es gar nicht geben. Gerade noch hatte sie zugeben müssen, dass ihr in der Affäre um den Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, bedauerlicher Weise Fehler unterlaufen seien, da musste Angela Merkel eine neue Pleite als Erfolg verkaufen, als „Stunde der Demokratie“, so als hätten alle gemeinsamen eine Bewährungsprobe bestanden. Schuld an der Misere ist der Realitätsverlust aller Akteure des traurigen Schauspiels, das seit der Bundestagswahl vor genau einem Jahr aufgeführt wird. Sie wollen nicht wahr haben, wie die Menschen über sie denken und was sie von ihrer Untätigkeit in wichtigen Fragen halten.

Nur eins hält die Große Koalition zusammen, die Angst vor Neuwahlen. Besonders stark ausgeprägt ist sie bei der bayerischen CSU, die am 14. Oktober eine Landtagswahl bestehen und den Verlust ihrer 70jährigen Alleinherrschaft gewärtigen muss. Deshalb führt sie sich auf wie die AfD, umgetrieben von einem bösen Omen: Zum ersten Mal ist die Alternative für Deutschland bei einer Umfrage zweitstärkste Kraft im Lande geworden

Welche Rolle die CSU-Landesgruppe im Bundestag bei der Abwahl Volker Kauders gespielt hat, wissen wir nicht. Dass all ihre 46 Abgeordneten der Empfehlung Horst Seehofers gefolgt sind, den bisherigen Fraktionsvorsitzenden wiederzuwählen, ist kaum anzunehmen. Schließlich lautet der heimliche Schlachtruf der CSU: Merkel muss weg. Andererseits käme ein Auseinanderbrechen der Großen Koalition zwei Wochen vor der Landtagswahl in Bayern höchst ungelegen. Dass der langjährige Parteivorsitzende Seehofer sein Amt nach der Landtagswahl so oder so wird aufgeben müssen, scheint ausgemachte Sache zu sein, auch wenn Bayern weiterhin von einem Ministerpräsidenten aus den Reihen der CSU regiert werden wird. Wie es nach der Bayernwahl in Berlin weiter geht steht in den Sternen. Wenn schon nicht auf Horst Seehofer, so kann sich die Bundeskanzlerin auf zwei Leute immer verlassen: Auf Andrea Nahles und Olaf Scholz, die besten Ärzte am Krankenbett des Kapitalismus seit der Genosse der Bosse, Gerhard Schröder, als Bundeskanzler amtiert hat.

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