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Kategorie: Zeitgeschehen
Bildschirmfoto 2018 10 07 um 08.37.34Standen vor den Hohen Feiertagen internationale Themen im Vordergrund, wenden sich Israels Politiker nun innenpolitischen Themen zu

Jacques Ungar

tel Aviv (Weltexpresso) - Während der mehrwöchigen jüdischen Feiertagsperiode rührten die israelischen Medien, wie die Tradition es seit Jahrzehnten schon will, mit Vorliebe mit der großen, fast immer internationalen Kelle an. Man erinnert sich jetzt aber wieder daran, dass nicht nur Themen wie Iran im Vordergrund stehen, sondern erneut und immer dringender solche zu den bedrohlichen Zuständen im und am Gazastreifen im Süden oder den Entwicklungen beim libanesischen Nachbarn im Norden. Ganz zu schweigen von den innenpolitischen Querelen. Kurz: Man hat in Jerusalem wieder­ Zeit fürs Hausgemachte. Und wenn man hier genauer hinhört und -sieht, kommt man nicht umhin, zum wiederholten Male von den offenbar in nicht mehr so weiter Ferne liegenden vorgezogenen Knessetwahlen zu sprechen.


Zentrale Rolle Liebermans

Genau hier scheint Verteidigungsminister Avigdor Lieberman, zumindest verbal, eine immer zentralere Rolle zu spielen. So führte er am Dienstag dieser Woche die bereits zu
vor von Premier Netanyahu an der Uno-Vollversammlung eingeschlagene Linie weiter. Während einer Besichtigungstour in der Westbank deutete der Verteidigungsminister an, Israel besitze Informationen über andere geheime Einrichtungen der Iraner und der Hizbollahmiliz in Iran und Beirut. Man werde sie enthüllen, «wenn die Zeit reif ist». Netanyahu hatte in New York von drei Raketendepots der Hizbollah mitten in zivilen Bevölkerungszentren von Beirut gesprochen. Lieberman wiederum tat die vom Beiruter Aussenministerium mit dreitägiger Verzögerung für Diplomaten und Journalisten organisierte Besichtigung der angeblichen Raketenstätten als «pure Manipulation» ab und meinte spöttisch, die Libanesen hätten die Aktion sofort und nicht erst 72 Stunden nach der Beschuldigung durch Netanyahu abhalten sollen. Für diesen stand übrigens heute Freitag die zwölfte Verhörrunde zu diversen Verdachtsmomenten auf dem Programm, in die der Premierminister laut Vermutungen der Untersuchungsbeamten verwickelt sein soll.


Angriff von Naftali Bennett

Mit ungewöhnlicher Schärfe griff er diese Woche wieder einmal Bildungsminister Naftali­ Bennett (Das Jüdische Haus) an, den er einen «messianischen und eifernden Rechtsextremen» schimpfte. Die innen­politische Komponente brachte Lieberman ins Spiel, nachdem Bennett ihm vorgeworfen hatte, den Süden des Landes preiszugeben und eine «schwache Linkspolitik» zu betreiben. Bennett würde Israels Sicherheit und Bildung opfern, wenn er dafür auch nur ein zusätzliches Knessetmandat gewinnen könnte, konterte Lieberman.

Yair Lapid von der oppositionellen Zu
kunftspartei interpretiert Netanyahus hart­näckiges Schweigen zu diesem recht unkollegialen Schlagabtausch zwischen Lieberman und Bennett als Schwäche des Regierungschefs und als erste Anzeichen für den Verlust der Kontrolle über das Kabinett. Das ist legitim, sitzt Lapid derzeit doch auf der Oppositionsbank und sieht es als seine Aufgabe an, der Koalition das Leben so unangenehm wie nur möglich zu machen. Aber auch innerhalb der Koalition macht sich, vor allem in der ultra­orthodoxen Ecke, zunehmende Unzufriedenheit bemerkbar. Vor dem Hintergrund der bissigen Wortgefechte steigt die koalitionsinterne Nervosität im Vorfeld des baldigen Beginns der parlamentarischen Wintersession­ zusehends. Laut Pressemeldungen sollen prominente Koalitionsmitglieder Netanyahu
dazu drängen, noch vor der Eröffnung der Wintersession seine Position bezüglich vorgezogener Wahlen darzutun. Die bisherige­ Ambivalenz des Premiers soll mit ein Grund dafür sein, dass die ultraorthodoxen Parteien und Lieberman bis jetzt keine Einigung hinsichtlich des neuen Rekrutierungsgesetzes erzielt haben. Netanyahu wiederum scheint seiner Politik treu zu bleiben, die darin besteht, die Koalitionspartner so lange wie nur möglich im Ungewissen zu belassen. Aus seiner Umgebung verlautete diese Woche nämlich, der Premier werde «in etwa zwei Wochen» entscheiden, ob das Volk vorzeitig an die Wahlurnen zu rufen sei oder nicht. – Wie eingangs bereits gesagt: In der israeli­schen Politik geniesst das Hausgemachte wieder­ eindeutig die höchste Priorität.

Foto:
Verbale Kampfhähne: Avigdor Lieberman (l.) und Naftali Bennett
© tachles

Info:
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 5. Oktober 2018