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Kategorie: Zeitgeschehen
kpm Tarek Al Wazir bejubelt das Abschneiden der GrunenGrüne Grabsteine, schwarze Personalspiele und rote Abstürze

Klaus Philipp Mertens

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Die Zweitplatzierten sind die eigentlichen Gewinner der hessischen Landtagswahl: Bündnis 90/Die Grünen.

Ihr Erfolg ist das Ergebnis einer systematisch betriebenen Bauernfängerei. Einem beträchtlichen Teil der Wähler gelten sie als fortschrittlich, multikulturell und einer lebenswerten Zukunft zugewandt. Tatsächlich aber handelt es sich beim Führungspersonal, bei den Strukturen und dem Programm dieser Partei nur noch um die Grabsteine einer Ökologiebewegung, die sich freiwillig vom Kapitalismus okkupieren ließ und sich ihrer einstigen Inhalte selbst entleert hat. Die von Anfang an bewusste Weigerung, die soziale Frage zu stellen, trägt nun ihre fragwürdigen Früchte.

Am Beispiel von Frankfurt am Main lässt sich das besonders belegen. Der ungehinderte Ausbau des Flughafens erweist sich sowohl als Sargnagel für das Weltklima als auch als regionaler Lärm- und Giftangriff auf die Gesundheit der Bevölkerung. Die Antwort des grünen Wirtschaftsministers Tarek Al-Wazir auf diese existentiellen Herausforderungen bestand in der Verordnung eines regelmäßigen Wechsels der An- und Abflugrouten und Flughöhen.
Gegen die Entscheidung des Wiesbadener Verwaltungsgerichts, das wegen der von Dieselmotoren verursachten Stickoxydbelastung ein Fahrverbot für Frankfurt im nächsten Jahr anordnete, legte die schwarz-grüne Landesregierung Widerspruch ein; die grünen „Lebensschützer“ entschuldigten sich noch nicht einmal dafür.

Der frühere grüne Frankfurter Planungsdezernent Olaf Cunitz ermunterte internationale Finanzheuschrecken, in den Bau von Hochhäusern mit Luxuswohnungen zu investieren, was weitere Nachahmer auf den Plan rief und die Verfügbarkeit bezahlbarer Wohnungen nunmehr drastisch reduziert hat. In der auf städtischem Grund errichteten neuen Altstadt, die nach ursprünglichen grünen Plänen eine soziale Mischung aufweisen sollte, kann sich ein Normalverdiener keinen Wohnraum leisten. Es ist auch eine grüne Leistung, dass Frankfurt am Main nun auch zu den Metropolen mit der größten Gentrifizierung gehört. Der gepriesene angeblich multikulturelle Charakter der Stadt beschränkt sich auf Tagestouristen aus vielen Ländern und auf die Eigentümer der Luxusetablissements, die sich zu großen Teilen aus Kapital- und Steuerflüchtlingen zusammensetzen, die ihre Heimatländer in Arabien, Asien und in den Staaten der ehemaligen Sowjet-Union verlassen haben.

Das Grün der Grünen hat nichts mehr mit einer lebendigen und gesunden Welt zu tun; vielmehr scheint es vom Grün der amerikanischen Dollar-Noten bestimmt zu sein und bedeutet im Klartext: Geld regiert die Welt.

Die hessische CDU konnte sich trotz erheblicher Verluste (11 Prozent gegenüber 2013) ihren ersten Platz sichern; Volker Bouffier wird mutmaßlich auch einer künftigen (schwarz-grünen) Landesregierung vorstehen. Veränderungen bewirkt das hessische Ergebnis anscheinend vor allem bei der Bundes-CDU und speziell in der Berliner Regierung.

Bundeskanzlerin Angela Merkel will auf dem Bundesparteitag im Dezember nicht mehr für den Parteivorsitz kandidieren. Mögliche Nachfolger bringen sich bereits in Stellung, darunter auch Vertreter der Untoten-Riege wie Friedrich Merz. Derzeit ist er Repräsentant einer US-amerikanischen Investorengruppe der Marke „Heuschrecke“. Die größten Chancen werden jedoch Annegret Kramp-Karrenbauer eingeräumt, der Generalsekretärin und früheren saarländischen Ministerpräsidentin. Vermutlich würde sie jene gemäßigt-konservative Wende in der Partei einleiten, von der manche vom rechten Flügel mit Blick auf die AfD träumen. Aber es ist auch nicht auszuschließen, dass ein vergleichsweise liberaler Mann wie Armin Laschet das Rennen machen könnte. Der hat nicht nur den größten Landesverband, nämlich den von NRW, hinter sich, sondern genießt auch die Zustimmung von anderen, die über den Tellerrand hinausblicken können, beispielsweise die von Daniel Günther, Ministerpräsident von Schleswig-Holstein.

Ob Angela Merkels Entschluss, bis zum Ende der Legislaturperiode weiterhin Kanzlerin bleiben zu wollen, realistisch ist, hängt möglicherweise mehr von der künftigen inhaltlichen Arbeit der GroKo als von Querelen innerhalb der CDU ab.

Der tatsächliche Verlierer der Hessen-Wahl ist die SPD. Und wie kaum anders zu erwarten, suchen die Verantwortlichen den Grund für das neuerliche Desaster überall, nur nicht bei sich selbst. Sowohl der Landesvorsitzende Thorsten Schäfer-Gümbel als auch die Bundesvorsitzende Andrea Nahles schließen einen Rücktritt aus.

Schäfer-Gümbel wird nach einer Aussprache im Parteirat am Montagabend mit den Worten zitiert: „Es ist Balsam auf die Seele, zu sehen, wie solidarisch die Partei ist.“ Für die hessische SPD sei klar, dass die Verantwortung für die Wahlniederlage im Wesentlichen bei der Bundespartei liege. Dabei hätte der Spitzenkandidat und Wahlverlierer viele plausible Gründe, um sich aus der Fraktionsarbeit zurückzuziehen. Immerhin trägt er die politische Verantwortung für den Verlust von 10,9 Prozent der Stimmen gegenüber der Landtagswahl 2013. Fünf Jahre stand er der Fraktion vor, fünf Jahre wirkte er als Führer der stärksten Oppositionspartei merkwürdig blass, fünf Jahre vermochte er mit seinem Führungskreis keine programmatischen Pflöcke einzuschlagen, von denen Signale ausgegangen wären.

Für den typischen SPD-Wähler wirkte die Sozialdemokratie in Hessen genauso substanz- und orientierungslos wie die in der Berliner Großen Koalition. Dabei lagen die Themen geradezu auf der Straße: Eine von der Landesregierung geförderte Immobilienspekulation; unbezahlbare Mieten in den großen Städten; Schulgebäude, welche an Behelfsheime nach 1945 erinnern; zu wenig Lehrer; Flickschusterei im Gesundheitswesen; eine Verkehrsstruktur, der sowohl Innovation als auch Nachhaltigkeit fehlt; Dilettantismus bis Unfähigkeit bei der Integration von Zuwanderern und die so genannte Diesel-Krise.

Zumindest in Teilen der Frankfurter SPD wird das ähnlich gesehen. Derzeit kursiert im Internet ein Aufruf, der massive Änderungen an der Spitze der Bundespartei fordert. Die Rede ist von einem "kollektiven Versagen der Bundesspitze". Es fehle nicht nur an "Lösungen für die Probleme der Zeit", sondern auch das "Gefühl für die Anliegen der Menschen". Zwei Punkte seien an den Wahlkampfständen ein ständiges Thema gewesen: Die Agendapolitik und die fehlende Haltung in der Großen Koalition. „Wir tragen alle faulen Kompromisse mit", heißt es in der Erklärung.

Den Aufruf haben unter anderem drei Vorstandsmitglieder, einige Ortsvereinsvorsitzende, Vorstände verschiedener Arbeitsgruppen und die Juso-Sprecher mitunterzeichnet. Sie alle fordern neben einer sozialen Ausrichtung vor allem eine Neuwahl des gesamten Bundesvorstands durch eine Urwahl und einen Sonderparteitag in Hessen.
Der Text wurde maßgeblich vom Vorsitzenden des Ortsvereins Frankfurt-Höchst, Lino Leudesdorff, verfasst. Nach seiner Einschätzung befindet sich die SPD nicht am Abgrund, sie sei im freien Fall. Die Partei sei in ihrer Existenz gefährdet, es sei Zeit, die Reißleine zu ziehen. Dass die SPD erst seit April eine neue Bundesvorsitzende hat, lässt er nicht gelten. „Das sind doch immer dieselben Leute, die da die Ämter untereinander hin und her tauschen. Seit 1998 hat es keine wirkliche Erneuerung an der Spitze gegeben“, sagte er gegenüber dem Hessischen Rundfunk. In diese Kerbe schlägt auch Simon Witsch, der Sprecher der Jusos: „Das Ergebnis ist so miserabel, dass wir miteinander sprechen sollten. Bei 19,8 Prozent können wir nicht alles richtig gemacht haben."

Doch auch die Bremser sind bereits zur Stelle. Darunter auch der Vorsitzende der Frankfurter SPD, Mike Josef. Nach seiner Meinung brauche die SPD keinen neuen Führungswechsel, sondern eine klare Kante und sie müsse Themen konkreter fassen, um sich besser von anderen Parteien abzugrenzen.

Doch exakt das scheint ja das Problem der SPD zu sein. Politiker, welche Veränderungen proklamieren, müssen auch den glaubwürdigen Eindruck vermitteln, dass sie diese Reformen tatsächlich wollen und dass sie dazu in der Lage sind, sie durchsetzen zu können. Hierzu bedarf es eines Rebellen oder einer Rebellin, der/die befähigt ist, aus den Problemen, die den Bürgern unter den Nägeln brennen, zündende Parolen zu machen. Die herrschenden Verhältnisse, sowohl in Hessen als auch in Berlin, lassen sich nicht lösen von Männern und Frauen ohne Eigenschaften. Vielmehr bedarf es einer mitreißenden Erotik des demokratischen Kampfes.

Die Linke, die in den Umfragen mit stabilen 8 Prozent gehandelt wurde, musste sich mit 6,3 Prozent zufrieden geben. Viele ihrer programmatischen Ansätze entsprachen dem objektiv Notwendigen. Dass Janine Wissler diesen Wahlkampf kaum würde allein bestehen können, hätte von vornherein klar sein müssen. Zu vielen, die sich als Wahlkandidaten präsentierten und vermutlich dazu überredet werden mussten, fehlten Bekanntheit und Überzeugungskraft. Die Partei muss dringend Intellektuelle zusammentrommeln und vom Mitmachen überzeugen. Denn Sozialismus ist auch eine Sache des Verstands und der Vernunft. Appelle an die Solidarität aller, die nach Gerechtigkeit dürsten, werden allein nichts nützen.

Lohnt es sich, über die AfD zu reden? Eigentlich nicht. Allenfalls im Zusammenhang mit dem einzigen wünschenswerten Staatsziel, das leider nicht auf dem Katalog für die neue hessische Verfassung stand. Nämlich dem Verbot der Dummheit.

Foto:
Tarek Al-Wazir bejubelt den Wahlerfolg der Grünen
© HR-Hessenschau