Bildschirmfoto 2019 01 20 um 10.26.04Im Vorfeld von Israels vorgezogenen Neuwahlen positionieren sich Kandidatinnen, Kandidaten sowie Parteien – ein Überblick

Jacques Ungar

Tel Aviv (Weltexpresso) - Je näher das Datum des 9. April rückt, an dem israelische Wählerinnen und Wähler eine neue Knesset und damit indirekt auch einen neuen oder vielleicht alt-neuen Regierungschef be­­stellen werden, desto mehr verwischen sich die politischen und ideologischen Fronten im parteipolitischen Israel. Der Wahlkampf wird kurz sein, dafür thematisch und persönlich umso hitziger, wenn nicht gar emotional, und mit dem Risiko behaftet, gelegentlich «unter die Gürtellinie» abzurutschen.


Die politische Linke

Werfen wir zunächst einen Blick auf das Geschehen in Israels linkem politischem Lager. Nachdem die Rechte mit dem Ausscheiden von Bildungsminister Naftali Bennett und Justizministerin Ayelet Shaked von der Partei Das Jüdische Haus und mit der Gründung der Partei «Neue Rechte» im Hinblick auf die Knessetwahlen einen ersten Schock erlitten hat, scheint nun die Linke in dieser Beziehung nachziehen zu wollen. Anfang Woche jeden­falls berichteten israelische Medien von diversen kürzlichen Treffen zwischen Yair Lapid, Chef der Zukunftspartei Jesch Atid, und Tzippi Livni von Hatenuah. Unlängst noch war die Ex-Aussenministerin Livni Inte­ressenpartnerin von Avi Gabbay, dem Chef der inzwischen aufgelösten «Zionistischen Union», der heute wieder ausschliesslich Vorsitzender der Israelischen Arbeitspartei ist.

Unmittelbar nachdem Gabbay Tzippi Livni recht unfreundlich aus dem gemeinsamen Bündnis hinauskomplimentiert hatte (tachles berichtete), verkündete die vor den Kopf ge­­stossene Politikerin, dass sie den Alleingang mit Hatenuah wagen wolle. So wörtlich sollte diese Erklärung aber nicht genommen werden, war das zentrale Thema der Gespräche zwischen Lapid und Livni doch die Abklärung der Möglichkeiten einer Listenverbindung für den 9. April. Offizielle der Zukunftspartei sprachen von «guten Fortschritten» in den Gesprächen. Aus Kreisen von Hatenuah wiederum ver­lautete, dass es kein Geheimnis sei, dass Livni Linksverbindungen zwischen Parteien und die Bildung eines grossen Blocks befürworten würde, der stark genug zur Schaffung einer Wende in der Regierungskontrolle wäre (von heute rechts-national zu Mitte-links). Ausser des Wunsches Lapids, die Nummer eins der neuen Verbindung zu werden, sind bisher recht wenige Details über die Kontakte durchgesickert.


Ernstzunehmende Konkurrenz

Immerhin kann gesagt werden, dass im Falle des Erfolgs bei der Bildung eines Blocks Mitte-links der vom Likud unter Netanyahu angeführten rechts-nationalen Koalition eine ernstzunehmende Konkurrenz erwachsen würde. Bis zum Stichtag vom 9. April dauert es allerdings noch 85 Tage. Das wäre im Nahen Osten genug Zeit, um die israelische Parteienwelt ein weiteres Mal auf den Kopf zu stellen. Lapid macht dem Vernehmen nach kein Geheimnis daraus, dass er in einem Zusammengehen mit Livni eine Chance dafür sehen würde, auf Kosten der Arbeitspartei Stimmen gewinnen und sich einen ernsthaften Vorsprung gegenüber der Partei von Ex-Generalstabschef Benny Gantz erwirtschaften zu können.

Die Linke Israels ruht in anderen Worten nicht auf ihren inzwischen recht schütter gewordenen Lorbeeren aus. Benny Gantz liess sich zum Wochenbeginn erstmals seit der Gründung seiner Partei Chossen Israel Ende Dezember im Hinblick auf die Knessetwahlen in politischer Hinsicht vernehmen. Im Gespräch mit einer Gruppe drusischer Persönlichkeiten versprach er, sich dafür einzusetzen, dass das umstrittene Nationalstaatsgesetz geändert würde. Dieses Gesetz ist von Netan­yahus Regierungskoalition im vergangenen Juli verabschiedet worden und wird in etwa zwei Wochen vor dem Obersten Gerichtshof angefochten werden. Die Likud-Reaktion folgte sogleich: «Wenn Gantz das Nationalstaatsgesetz attackiert und Tzippi Livni ihm dafür Komplimente macht, weiss jeder, was an sich schon offensichtlich war: Gantz ist ebenso links wie Lapid.» In die gleiche Kerbe hauten Sprecher von Naftali Bennetts Partei Neue Rechte. Das Gesetz, das beispielsweise den Status der arabischen Sprache gegenüber heute stark herabgestuft hat, löste vor allem links von der politischen Mitte heftige Kritik aus, sind diese Kreise doch der Ansicht, Minderheiten in Israel, vor allem die Araber, aber auch die Drusen, würden damit diskriminiert.


Schulterschluss mit neuen Parteien

Tamar Zandberg hingegen, Vorsitzende der links-liberalen Meretz-Partei, fordert die gänzliche Annullierung des Nationalstaatsgesetzes, nicht nur dessen Änderung. Man darf gespannt sein, in welcher Weise Benny Gantz sich weiter zu diesem heiklen Thema äussern wird. Seine Partei soll dem Vernehmen nach einen Schulterschluss mit anderen neuen Parteien ins Auge fassen. Im Vordergrund stehen hier Telem, gegründet vom ehemaligen Likud-Verteidigungsminister und Generalstabschef Moshe Yaalon, oder die sich auf soziale Fragen konzentrierende Partei Gesher von Orli Levi-Abecassis. Tzippi Livnis Hatenuah ist, so sagt man, in diesem spekulativen Kalkül nicht eingeschlossen. Um das Bild der Komplikationen zu vervollständigen, sei erwähnt, dass Gantz laut israelischer Gesetzgebung auf existierende Parteien wie Jesch Atid oder Hatenuah würde verzichten müssen, wenn es sich bei diesem prospektiven Partner um die Partei von Orli Levi-Abecassis handeln sollte. Weil Levi-Abecassis bei ihrem Verlassen von Israel Beiteinu von Avigdor Lieberman nicht aus der Knesset ausgetreten ist, sondern ihre eigene Ein-Frauen-Fraktion gebildet hat, wäre es Gantz verwehrt, mit einer zusätzlichen, bereits existierenden Partei wie Hatenuah oder Jesch Atid zusammenzugehen, sollte er Partner zur Stärkung der Fronten suchen.

Alle aktiven Parteien bis hin zur politi­schen Mitte nutzen jüngste militärische Erfolge Israels für sich. Dabei kommt ihnen zunutze, dass in einer Vorwahlperiode die politischen und militärischen Entscheidungsträger zu den Bürgerinnen und Bürgern grosszügiger als sonst sind, wenn es um die Eingeständnisse israelischer Aktionen jenseits der eigenen Grenzen geht. Zu stark ist offensichtlich die Versuchung, militärische Erfolge auf die eigene Kappe zu nehmen, können solche Erfolge doch in stimmenträchtige Ereignisse in einem Wahlkampf in derartiger Zeitnot wie jetzt umgemünzt werden. Diesen Umstand machte sich Premier Netanyahu skrupellos zunutze, als er vor laufenden Kameras die Verantwortung Israels für die jüngsten Luftangriffe auf Waffendepots der Iraner unweit des internationalen Flughafens von Damaskus übernahm. Vergessen war mit einem Male die sonst übliche israelische Usanz, offiziell erst nach Jahren, wenn überhaupt, derartige Angriffe als solche der eigenen Luftwaffe anzuerkennen. Der Zweck heiligt offensichtlich auch hier die Mittel, vor allem wenn der Regierungschef persönlich die Chance wahrnimmt, den Likud wahltechnisch in ein positives Licht zu stellen, ohne dabei die Wahlen vom 9. April direkt zu erwähnen.


«Operation Nordschild»

Ähnlich verhält es sich auch mit der «Operation Nordschild», der diese Woche für beendet erklärten militärischen Suche nach Offensivtunnels der Hizbollah an der israelisch-libanesischen Grenze. Nur einen Tag nach der Entdeckung des sechsten und bisher längsten Tunnels wurde dessen Existenz offiziell bestätigt, und IDF-Sprecher Manelis ging sogar so weit, die Gefahr, die von Tunnels ausgeht, für beendet zu erklären. Dabei war dieser sechste Tunnel der am weitesten entwickelte, der im Falle eines Krieges im schlimmsten Falle die Infiltration von mehreren tausend Terroristen nach Nordisrael ermöglicht hätte. Das hätte Tausende von Israeli im Norden in Lebensgefahr gebracht. Alle bisher entdeckten Tunnels sind zerstört worden oder sind im Prozess der Zerstörung. Dass die Hizbollah diese (den Israeli seit langer Zeit schon bekannten und verfolgten) Aktivität in unmittelbarer Nähe israelischer Grenzorte ungehindert betreiben konnte, sagt kaum viel Gutes aus über die Effizienz der Unifil-Truppen, deren Hauptaufgabe doch die Verhinderung des Aufbaus terroristischer Aktivitäten und Konzentrationen in Südlibanon gewesen wäre.

Was die Tunnels betrifft, so konnte die Gefahr abgewendet werden, aber gewiss nicht dank einer etwaigen Kooperation mit der der Uno unterstehenden Unifil. Andere Gefahren lauern vielleicht weiter jenseits der «blauen Linie» zwischen Israel und Libanon. Inzwischen dürfen die israelischen Politiker sich für kurze Zeit im Lichte des Teil­erfolgs der IDF gegen die Hizbollah sonnen und versuchen, mit ihm ihre Wahlkampagne aufzupolieren. Die Bewohner von Israels Norden müssen aber weiter hoffen, dass dem Unwesen der Schiitenmiliz buchstäblich vor ihren Balkonen und Wohnzimmerfenstern über kurz oder lang endgültig ein Ende bereitet werden kann. Wohl kaum mit Verhandlungen, sondern eher mit der einzigen Sprache, die die Miliz versteht: mit militärischer Gewalt.



Foto:
Yair Lapid soll sich in der jüngsten Vergangenheit aufgrund der anstehenden Wahlen mit Tzipi Livni getroffen haben
© tachles

Info:
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 18. Januar 2019