kpm TempolimitAber Deutsche lieben das Sterben – der anderen

Klaus Philipp Mertens

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - An den Verstand von Tempo-Fetischisten zu appellieren, dürfte eine vergebliche Mühe sein.

Denn über einen solchen verfügt diese Spezies anscheinend nicht mehr. Sie hat ihn mutmaßlich in den Propagandabüros der Automobilindustrie und der ihr willfährig ergebenen Parteien und Ministerien abgegeben. Allein wenn man sich die letzten Bundesverkehrsminister in Erinnerung ruft (Ramsauer, Dobrindt, jetzt Scheuer), könnte man zu dem Schluss gelangen, dass es besonders die CSU darauf anlegt, gesellschaftliche Bewusstlosigkeit in einer Größenordnung zu produzieren, die eine Kulturnation an die Grenzen ihrer Toleranzfähigkeit bringt. Obergrenzen werden unumgänglich sein, nicht für Flüchtlinge, sondern für Dummköpfe.

Mutmaßlich wird es auch nichts nützen, selbst ein positives Beispiel zu geben und darauf zu hoffen, dass es auf andere abfärbt. Vielmehr stelle ich regelmäßig fest, dass meine erkennbare Absicht, mich an Geschwindigkeitsbegrenzen zu halten, die mich Überholenden sogar zur mentalen Raserei herausfordert. Es hagelt beleidigende Handzeichen, die von heftigem Hupen untermalt werden. Auf der Basis solcher Erfahrungen plädiere ich dafür, die Raser und ihre Waffen lächerlich zu machen.

Hierzu gehörte auch eine kritische Wahrnehmung der Berichterstattung in öffentlich-rechtlichen Fernsehprogrammen (von denen im Privat-TV ganz zu schweigen). Die wieder in Gang gekommene Diskussion um Geschwindigkeitsbegrenzungen bietet vor allem Regionalsendern Gelegenheit, ihrem vielfach dürftigen Nachrichtenangebot durch die Hereinnahme von „Volkes Stimme“ einen halbseidenen Glanz zu verleihen:

Ein Tempolimit auf Autobahnen sei für ihn keine Lösung, um die Belastung der Luft zu vermindern, äußert einer der Befragten. Er führe gern „sportlich“ und möchte das auch künftig tun. Eine Nachfrage der Reporterin bezüglich der Definition von Sport unterbleibt. Und er hätte eben „Benzin im Blut“. Wiederum erfolgt kein Widerspruch. Noch nicht einmal ein vorsichtiger Hinweis, dass es sich bei der Ursache für das erwähnte Verhalten möglicherweise um Wissensdefizite handeln könnte und nicht um tödlich wirkende toxische Stoffe im Blutkreislauf.

Ein gern gebrauchtes Schlagwort, vor allem im Kontext von Fahrverboten für Dieselfahrzeuge, ist „Enteignung“. Hier wird – weder von Interviewten noch von Interviewern – auf die Bestimmung des Grundgesetzes (Artikel 14, Absatz 3) näher eingegangen. Letzteres erlaubt Eingriffe in das Eigentum, soweit diese gesetzlich geregelt sind und im öffentlichen Interesse liegen. Nein, man rekurriert auf die Tatsache, dass Automobilhersteller seit dem Jahr 2010 Fahrzeuge verkauft haben, deren Stickoxyd- und Feinstaubemissionen eindeutig definierte Grenzwerte übersteigen. Diese Vergehen an Leib und Leben wurden vom zuständigen Bundesverkehrsministerium wissentlich hingenommen. Die in Kauf genommene „Enteignung“ von Gesundheit und Leben nennt man im Strafgesetzbuch Körperverletzung und Totschlag. Es ist an der Zeit, sowohl in der Politik als auch in den Medien den Sprachgebrauch zu präzisieren.

Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer bezeichnete die Forderung nach einem Tempolimit auf Autobahnen gar als Vorschlag „gegen jeden Menschenverstand“. Und der Sprecher der Bundesregierung, Steffen Seibert, verwies auf „intelligentere“ Maßnahmen, um mehr Klimaschutz zu erreichen. Betonte aber gleichzeitig: „Wir müssen natürlich die Treibhausgase im Verkehrsbereich reduzieren.“ Solche und ähnliche Stellungnahmen hören sich an wie der endgültig misslungene Versuch, jemanden, dem trotz massiver Nachhilfe nicht mehr zu helfen ist, einen Aufsatz schreiben zu lassen. Was mich zu der Frage veranlasst, ob man als Mitglied der Bundesregierung ständig in der Gefahr schwebt, zu verblöden. Oder ob lediglich Blödlinge die Zugangsvoraussetzungen für höchste Ämter erfüllen.


Elektro-Autos, deren Strom aus Braunkohlekraftwerken kommt und deren Batterien toxische Stoffe enthalten, sind keine Lösung

Die Politik der Desinformation bzw. der Irreführung wird auch noch an einem anderen Punkt deutlich. Statt auf energieeinsparende und folglich umweltverträglichere Geschwindigkeitsbegrenzungen als Teil einer wirksamen Klimapolitik zu setzen, wird auf das angeblich vor der Tür stehende Zeitalter der E-Mobilität verwiesen. Doch um eine solche sicherzustellen, die ausschließlich auf von Sonne, Wind und Gezeiten produzierter Energie beruht, müsste – zusätzlich zu Tempolimits - der Wirkungsgrad der elektrischen Motoren deutlich erhöht werden (= weniger Verbrauch).

Eine Brennstoffzelle, welche mit Wasserstoff betrieben würde, wiese signifikante Vorteile auf, ganz abgesehen von den Reichweiten. Die Brennstoffzellentechnologie ist vergleichsweise alt, stammt aus den 1940er Jahren, aber sie wurde bewusst nicht im nötigen Maße erprobt. Der deutsche Physiker Eduard Justi, der an ihrer Entwicklung entscheidenden Anteil hatte, beklagte das bereits Mitte der 50er. Denn einige Patente befinden sich im Eigentum von internationalen Mineralölfirmen. Dem Vernehmen nach sind auch bedeutende Autokonzerne mit im Spiel. Und die werden erst dann grünes Licht zur Serienentwicklung geben, wenn die Förderung des letzten Öltropfens und die Restlaufzeit des Verbrennungsmotors absehbar sind und sich der Kapitaleinsatz in fossile Energieträger bzw. in eine überholte Antriebstechnik endgültig gerechnet hat.

Für diese „Übergangsfrist“ bedarf es kaltschnäuziger Politiker wie Andreas Scheuer (CSU), aber auch allzu kompromissbereiter wie Svenja Schulze (SPD).

Unser ökologischer Fußabdruck zeigt indirekt auch die Ketten, an denen wir gefesselt sind. Denn wir ziehen ganze Armeen von ewig Gestrigen hinter uns her. Die einen sind ahnungslos, die anderen dumm und unbelehrbar (wie die Bleifuß-Indianer von Audi, BMW, Mercedes oder Porsche). So erweist sich der Kampf um das Überleben der Erde und der Menschheit auch als einer gegen den Kapitalismus.

Foto:
Tempolimit
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