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Kategorie: Zeitgeschehen
Bildschirmfoto 2019 03 24 um 02.46.38Drei Wochen vor den Knesset-Wahlen geht Likud plötzlich in Führung – damit wird der Wahlkampf nicht nur spannender, sondern auch emotionaler

Jacques Ungar

Tel Aviv (Weltexpresso) - Weniger als drei Wochen trennen die israelischen Stimmberechtigten vom Stichtag des 9. April. An diesem Tag sind die Bürgerinnen und Bürger Israels bekanntlich dazu aufgerufen, die Knesset, ihr 120-köpfiges Parlament, neu zu bestellen. Anfang Woche wurde der sich seit Wochen zusehends langweiliger gestaltende Wahlkampf plötzlich lebhafter. Erstmals seit ihrem aktiven Eintritt ins Rennen um die 120 zur Verfügung stehenden Mandate nämlich musste die Partei Blauweiss in den Umfragen ihre Führungsposition abgeben, und zwar ausgerechnet an den Erzfeind Likud von Premier Binyamin Netanyahu.

Likud auf dem Vormarsch

Holt der Likud im gegenwärtigen Wahlkampf verlorenes Terrain wieder auf? Diese Hoffnung beziehungsweise, je nach politischem Standort, Befürchtung beschäftigt Wähler wie Beobachter gleichermassen. Seit die politischen Gegner von Mitte-links, allen voran die Blauweiss-Partei mit den Ex-Generalstabschefs Benny Gantz, Moshe Yaalon (er war sogar Verteidigungsminister) und Gabi Ashkenazi sowie mit Yair Lapid von der Zukunftspartei an der Spitze, in den Meinungsumfragen zwischen sechs und acht Mandate auf den Likud gutmachen konnten, zeichnete sich zum ersten Mal am Wochenbeginn eine Trendwende ab. Laut der Erhebung von Direct Polls – sie wurde für das israelische Radio angefertigt – würde der Likud 31 Mandate gewinnen, sollten die Knesset-Wahlen bereits diese Woche über die Bühne gehen und nicht erst am 9. April. Der Mitte-links-Block müsste sich mit einem Sitz weniger zufriedengeben. Unter dem Strich käme Netanyahus Mitte-rechts-Block auf 63 der total 120 Sitze, gegenüber nur 
57 des Mitte-links-Bündnisses. Im Klartext hies­se dies, dass Netanyahu einmal mehr eine rechtsgerichtete Koalitionsregierung würde bilden können. Je näher der Urnengang rückt, umso hitziger gestaltet sich offensichtlich der Wahlkampf, und umso emotionaler liegen sich die politischen Kontrahenten in den Haaren. Die sich laut der jüngsten Umfrage abzeichnende Trendumkehr wäre eine von vielen realistischen Möglichkeiten, doch darf deswegen das Kind nicht mit dem Bad ausgeschüttet werden. Bis zum Stichdatum 9. April dauert es noch fast drei Wochen, für den Nahen Osten eine Ewigkeit.


Emotionale Stellungnahmen

Die für ihre oft emotionalen und spontanen Stellungnahmen bekannte, oft gar gefürchtete israelische Kulturministerin Miri Regev (Likud) warf Gantz und Lapid vor, mit Unterstützung einer arabischen Sperrminderheit eine Regierung bilden zu wollen. «Diese schwache Linke wird zu weiteren Terrorattacken führen», prophezeite sie. Während der Likud-Kandidat und Netanyahus Intimfeind Gideon Saar diese Bemerkung kritisierte, ging die Reaktion von Netanyahus Büro in eine andere Richtung. Es dementierte Berichte, wonach der Regierungschef die rabiate Ministerin zu sich zitiert habe, um sie zu bremsen. Gabi Ashkenazi (Blauweiss) sprach vielen Israeli aus dem Herzen, als er meinte: «Der Zwischenfall von Ariel war noch nicht beendet, und die Toten konnten noch nicht beerdigt werden, doch Miri Regev, selber eine ehemalige hochrangige IDF-Offizierin, tanzt mit ihrer billigen Politik bereits auf dem Blut der Opfer. Sie sollte sich schämen. Wir haben genug davon.» Gantz selber beklagte, dass Politiker beschlossen hätten, von der Attacke von Ariel zu profitieren, um politische Gewinne zu erzielen. «Früher war klar, dass das Tanzen auf dem Blut von Opfern inakzeptabel war», betonte Gantz. «Diese Regierung jedoch ist der Ansicht, dass dies für sie nicht gelte. Sollte ein Politiker in meiner Regierung sich so verhalten, würde ich ihm 48 Stunden geben, um seinen Schreibtisch zu räumen.» Die Stimmung erinnert irgendwie an die Zeit nach dem Rabin-Mord, als Shimon Peres vor dem Hintergrund einer ganzen Reihe palästinensischer Terroranschläge die von ihm selber verschobenen Wahlen gegen Netanyahu verlor.

Inzwischen wärmten die politischen Kontrahenten eine andere im Laufe der Monate bereits etwas abgekühlte heisse Kartoffel wieder auf: die Kontroverse um den Kauf deutscher U-Boote und die angebliche Rolle Netanyahus in dem Deal. Gantz forderte die Einsetzung einer Untersuchungskommission zur Prüfung des Verdachts auf Korruption. Konkret geht es darum, ob der Premier sich in dem Geschäft gesetzeswidrig um Millionen bereichert hat oder nicht. Likud und Netan­yahu wiesen die Anschuldigungen vehement zurück und betonten, der Premierminister sei von den zuständigen Stellen wie Polizei und Staatsanwaltschaft von allen Verdächtigungen freigesprochen worden. Es sei «schändlich», argumentierte das Likud-Büro, «dass Gantz und Lapid an dem Tag, an dem zwei Israeli ermordet worden sind, mit aller Gewalt versuchen, die U-Boot-Affäre wiederzubeleben. Das ist nichts anderes als der falsche Vorwurf eines Mannes, der in den Umfragen unterlegen ist und sein Urteilsvermögen verloren hat» – gemeint ist Gantz.


«Schlimmster Skandal 
in der Geschichte Israels»

Unbestritten ist die Tatsache, dass Ex-Generalstabschef Benny Gantz im Rededuell mit Binyamin Netanyahu eindeutig die Samthandschuhe abgestreift hat. An einer Pressekonferenz versprach der Blauweiss-Chef, im Falle eines Wahlsieges eine Untersuchungskommission abklären zu lassen, in welcher Weise Netanyahu in den Kauf deutscher U-Boote für die israelische Marine verwickelt war. Diesen Kauf nannte er den «schlimmsten Skandal in der Geschichte Israels». Zusammen mit seinen Kollegen von der Parteispitze (Moshe Yaalon, Gabi Ashkenazi und Yair Lapid) beschuldigte Gantz Netanyahu ausserdem, beim Kaufentscheid der U-Boote das Sicherheitsestablishment umgangen zu haben. Indirekt soll der Likud- und Regierungschef laut Gantz dadurch am Deal zwischen der deutschen Gesellschaft Thyssenkrupp und einem israelischen Stahlkonzern 16 Millionen Schekel verdient haben. In die Aktien des Konzerns soll Netanyahu via seinen Cousin Natan Milikowsky investiert haben, wie die «Jerusalem Post» am Dienstag berichtete. Israelische Medien zitieren ferner führende Blauweiss-Politiker, die eine Untersuchung des Gerüchts fordern, dass Netan­yahu Deutschland seine Zustimmung dazu erteilt haben soll, Ägypten ähnliche U-Boote zu verkaufen, ohne den damaligen Verteidigungsminister Moshe Yaalon oder andere Sicherheitsoffizielle konsultiert zu haben. Generell stellt sich hier die Frage, ob Israel überhaupt das Mandat besitzt, einen befreundeten Staat wie Deutschland am Abschluss internationaler Geschäfte zu hindern, oder auch nur zu versuchen, dies zu tun.


Wahrheitssuche in der U-Boot-Affäre

Eine pikante Neuentwicklung in der U-Boot-Affäre zeichnete sich in der Nacht auf Mittwoch ab. Beim Versuch bei der Polizei, seine früher gemachte Aussage zurückzuziehen, im Zusammenhang mit dem Deal mit Thyssenkrupp Bestechungsgelder gezahlt zu haben, ist Miki Ganor, ein Kronzeuge der Anklage, vorläufig festgenommen und später wegen einer Schwäche ins Krankenhaus eingeliefert worden. Ganor, der ehemalige Verkaufsrepräsentant der deutschen Firma, modifizierte seine Aussage dahingehend, effektiv keine Bestechungen gezahlt und seine Aussage nur «unter Druck» gemacht zu haben. Seinen Status als Kronzeuge der Anklage und die damit verbundene Immunität dürfte Ganor mit seinem Verhalten los sein. Ob die Polizei und die Staatsanwaltschaft in ihren nun einsetzenden Untersuchungen genügend Anhaltspunkte finden, Ganor formell zu inhaftieren und ein Verfahren gegen ihn zu eröffnen, wird sich in den kommenden Tagen und Wochen zeigen.

Eines lässt sich jedenfalls heute schon mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sagen: Die Wahrheit in der U-Boot-Affäre dürfte irgendwo zwischen den naiven, blauäugigen Unschuldsbeteuerungen aus Likud-Reihen und den schwerwiegenden Verdächtigungen von israelischen Politikern links von der Mitte zu suchen sein.

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Der Wahlkampf kommt nun doch noch in Fahrt – und Netanyahu muss bangen.