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Kategorie: Zeitgeschehen

iu8Digitalpolitik: Bloß keine altvorderen Forderungen an ein junges Publikum der vielfältig Kreativen

Heinz Markert

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Gegenkritik zu ‚Der gemietete Protest‘, von Klaus Philipp Mertens: Mit digitalen, dem kleinen Geldbeutel auch verträglichen Bezahlsystemen könnten Kreative jeder Provenienz immer wieder zu ihrem ureigensten Recht kommen.

Was Klaus Philipp Mertens zu Artikel 11 und 13 (meine verkürzte Schreibweise) liefert, ist entsetzlich altbacken. Er macht es sich zu einfach. Ich selbst habe mir gar keine abschlusshafte Meinung zum Thema gebildet. Seine Zeilen werden der jungen Gesellschaft nicht gerecht. Aber auch nicht der Sache. Sollen sie etwa so funktionieren, wie er es sich vorstellt? Mit jungen Frauen und Männer könnte er nie arbeiten. Ihm fehlt ein Draht. Er macht den Oberlehrer.

Er hat zusammengerührt, unterscheidet nicht. Er wirft die Individuen in einen gemeinsamen Kübel. Er ist nicht offen für die Fragen, die junge Leute stellen und nicht für die Bedenken, die sie haben. Die sich am Frankfurter Pauls-Platz einfanden, waren überdurchschnittlich gebildet. Ihre Losungen waren intelligent. Und vor allem: sie bilden gar keine servile Gefolgschaft digitaler Monopolisten wie Google & Co, aber auch nicht eine der aktuellen Verlegerkonzentration, die bedenklich ist. Google & Co werden durch das kommende Gesetzeswerk weiter an Macht gewinnen. Ebenso die Meinungs- und Machtkonzentration der Verleger.

Die von ihm in die Kritik genommene junge Gesellschaft lebt in einer aktiven, schnellen und unruhigen Zeit. Sie ist dauernd an etwas Neuem dran. Man kann es ihr nicht verdenken, wenn sie keine Restriktionen akzeptiert, die den Ruch von Privilegien atmen. Dem Diktat der schnellen Verfügbarkeit von Informationen – immer auf dem Weg zu etwas Neuem – versuchen sie sich täglich zu stellen, um klar zu kommen.

Eher kurzfristig reagieren, müssen wir Ältere das nicht auch? Die Gegenseite in der Welt ist doch schneller, oder? Eine Kritik der Umstände muss sich geänderten Verhältnissen anpassen, ohne die Orientierung zu verlieren oder aufzugeben. Das liegt in der Zeit beschlossen und die ist nicht zurückzudrehen. Die Sechziger blieben dagegen im Endeffekt in einem grünen Bereich, hatten ihre Verbindlichkeiten und gestalteten sich bis in die Siebziger dann verpennt.


Es ist eine Diskussion in Gang

Herr Mertens hätte die Seiten 2 und 3 der FR vom 23.04.2019 zu ‚Urheberrecht‘ als Anregung aufgreifen können. Dort differenziert und klärt sich einiges. Youtube-Rezo, der auf Seite 3 der FR interviewt wurde, wendet sich nicht gegen das Urheberrecht, er deutet eine Lösung mit Pauschalvergütungen an, die auch gestaffelt werden könnten. Viele einzelne Pauschalvergütungen vermögen viele davon leben zu lassen, wenn es gut organisiert wird! So läuft es im Informationszeitalter. Es ist eine neue digitale Kultur, die Mertens fremd zu sein scheint. Ich kritisiere die Digitalkultur auch, aber anders.

Von neuen Bezahlsystemen könnten heute schon mehr profitieren, als es der Fall ist; auch die, die im klassischen Modell auf der Leiter herabgerutscht sind. Denn diese ist längst durch die Rhythmen einer geänderten Ökonomie schwer unter Druck gekommen. Amazon steht nur stellvertretend exekutiv für fragwürdige Tendenzen und hat damit die alten Modelle zusätzlich obsolet werden lassen.

Die junge Netzwelt ist eine Gemeinde, die keineswegs nur Gestörte und Kaputte hat, Herr Mertens. Auch sie weiß von Solidarität und Mitmenschlichkeit. Möge er doch mal bei Sacha Lobo nachschauen, was der zum Thema meint. Der hat immer Intelligentes Material auf dem Schirm.

Ich bin immer wieder erfreut, spontan in Youtube recherchieren zu können, ohne mich mit Institutionen (wie Kaufhäusern) rumschlagen zu müssen (die sich zurückgezogen haben): zu The Who, Karen Ann, Metallica oder ‚Warriors of the World‘ (ironisch gemeint); im Fall von Manowar weiß ich immer noch nicht, ob ihr ‚Warriors‘ nur ein Lied oder auch ein ganzes Album ist, das mir entging. Die schnelle Verfügbarkeit von Informationen im Internet verhindert geistiges Einrosten, Behäbigkeit und Selbstgenügsamkeit. Aber es ist auch immer angesagt, kritisch zu bleiben. Die vom Pauls-Platz wissen die kulturellen Marken zu unterscheiden.


Uploaden kann digital vergütet werden

Youtube bietet Musik und anderes in verschlankten Bitraten, anschaulich gesagt: auf mp3-Niveau. Das erfordert die Übertragungsökonomie. Das ist eine Qualität, die im Hi-Fi-Studio nichts zu suchen hat. Da geht es schnell mal so um die 100 000 Euro allein für eine Anlage.

Warum hat Herr Mertens nicht bei Die Linke nachgeschaut, um zu sehen, was die zum vorgesehenen Gesetz zu einem geänderten Urheberrecht meint. Sie verlangt die Änderung des unspezifizierten Machwerks, das CDU-Voss frenetisch beworb. „Nie mehr CDU“ war eine Losung auf dem Pauls-Platz.

Verschiedentlich wird von Musikern kommuniziert, dass Youtube verdiene. Wie wohl? Na, mit Werbung, die es still und heimlich zwischen die Einträge einschleust, dem Angeklickten nachgespürt, wobei auch gleich ein ganzes Genre ins Schlepptau genommen wird. Das läuft über Algorithmen. Musiker sagen, sie hätten gar nichts dagegen, dass ihre Leistungen für Netzaktivisten umsonst sind, nur solle Youtube endlich zahlen. Das ergäbe eine der Möglichkeiten, den Urhebern gerecht zu werden.

Ähnlich könnte das digitale Reinschnuppern in Bücher und Literatur zur Möglichkeit werden, um einen Kauf im Stadtteil anzubahnen. Der Leseplatz kann also im Buchhandel eingerichtet werden - der über Bücher Bescheid weiß und Orientierung vermittelt. Die Desorientierung ist das eigentliche Problem des darbenden Buchhandels.

Anschließend kann im Laden gekauft werden, direkt oder per Versand nach Hause – der Buchhändler ist eingeschaltet - oder es bleibt erstmal beim kostenpflichtigen Stöbern mit kleiner Münze als Aufschlag auf Kaffee und Kuchen, unter Ägide des Buchhandels. Das wäre ein neu aufgewertetes Café Internet. Es wird so viel an Gedrucktem und Literatur produziert, dass die Bewertung des Handelsartikels Buch mehr denn je zur Aufgabe der verantwortlichen Buchhändler*innen wurde.


Informationen müssen frei flottieren

Zuletzt aber: Jede Information wird zu Menschheitsgut, so dass – was den Zugang angeht – es dauerhaft frei und ungehindert zur Verfügung stehen muss. Es gebührt einem so Wesentlichen nicht, dass geizig über es gewacht wird.

Die Öffentlich-Rechtlichen müssen jede Doku und alle ihre aufwendig gemachten, kompetenten Magazinbeiträge nach einem Jahr aus der Mediathek des Senders nehmen, gemäß Vorschrift. Nur Youtube hält sie dann noch im Zugriff. Das ist abwegig und unhaltbar. Wir, die Zahlpflichtigen, haben die Herstellung dieser Beiträge finanziert. Daher müssen sie das Eigentum aller werden und es bleiben. Jedoch, wenn ein über ein Jahr alter Beitrag wieder aufgerufen wird, soll für ihn eine Pauschalvergütung entrichtet werden, um die Rechte der Schöpfer und Urheber einzuhalten.

Die Bereitstellung durch Youtube wäre unter anderem auch für die tele-akademie (SWF) von Vorteil, denn deren Beiträge sind von komplett langfristiger Mache. Sie sind außerordentlich informativ und lehrreich. In SWF werden sie sonntags um 7.30 Uhr gesendet, eine Woche später dann nochmal um 6.45 Uhr in 3sat. Alles, was je an vergleichbar hochwertigem Material die Welt erblickt, muss auf alle Zeit im Zugriff für die Gesellschaft und die Welt bleiben. Das fordert die Informationsgesellschaft, das Menschheitsgedächtnis und auch das Gewissen. Für das Wiederverwerten sollte immer wieder ein kleiner Beitrag erhoben und abgeführt werden, gegebenenfalls auch für gemeinnützige Zwecke der Profession

Foto © netzpolitik.org

Info:
Dieser Artikel war Ausgangspunkt für die Replik von Heinz Markert.
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