kpm Das Opium des digitalisierten Volks 72dpiAntwort auf den Beitrag von Heinz Markert

Klaus Philipp Mertens

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Die Auseinandersetzung um die EU-Urheberrechtsreform ist von bewussten Irreführungen geprägt.

Diese wurden von seltsamen Koalitionen initiiert. Auf der einen Seite junge Menschen (Internetnutzer), netzpolitische Aktivisten und Unternehmerverbände wie Bitcom und Eco sowie (eher unsichtbar) die Internetgiganten YouTube, zu Google gehörend, und Facebook (samt Instagram und Whatsapp). Ihnen gegenüber stehen Autorenverbände und die Interessensvertreter der Verlage.

Diese Konstellation macht eines überdeutlich: Es geht nicht um den vom WPO-Kollegen Heinz Markert postulierten Informationsdrang junger Menschen. Es geht auch nicht um Zensur. Es geht einzig und allein ums Geld, um eine Umverteilung von unten nach oben. Drastisch ausgedrückt: Um die Entrechtung von Rechteinhabern durch die Eigentümer weltumspannender Internetforen, in deren Geschäftsmodellen nationale und internationale Urheberrechte allenfalls eine marginale Rolle spielen.

Auf der Seite derer, die entrechtet werden sollen, befinden sich sowohl Autoren, die von ihren derzeitigen Einkünften kaum leben können, als auch Verlage und Medienkonzerne, denen es mindestens um Besitzstandswahrung, mutmaßlich aber auch um die Erschließung neuer Märkte geht. Wären die jungen Leute tatsächlich so gut informiert, wie Heinz Markert es annimmt, hätten sie das Geflecht längst durchschaut.

Grundsätzlich spricht nichts dagegen, die Verwendung von Urheberrechten zu angemessenen Sätzen pauschal zu entgelten. Exakt das lehnen die marktherrschenden Internetunternehmen ab. Sie votieren für Upload-Filter, wie man sie beispielsweise zum Schutz gegen Kinderpornografie und Terrorismus verwendet. Die Erfahrung lehrt, dass diese nicht immer die erhoffte Wirkung haben. Die Missachtung von Urheberrechten kann jedoch nicht die Lösung des Problems sein.

Mich überrascht zudem die Kurzsichtigkeit der heranwachsenden Generation. Warum handelt sie so offensichtlich gegen ihre eigenen Interessen? Denn in einer zunehmend digitalisierten Welt wird die geistige Leistung zur dominierenden Ware. Sie wird bald endgültig zur alleinigen Basis für Produkte und deren Vertrieb. Wenn man heute den Kreativen das Recht auf Durchsetzung ihres Anteils an Drucksachen sowie an Film- und Musikproduktionen streitig macht, wird spätestens übermorgen die befristete Anstellung in nahezu allen Berufen zur Regel. Dann stehen einem Lebensjahrzehnt mit gut bezahlter Arbeit möglicherweise fünf Lebensjahrzehnte Elend gegenüber.

Mich stimmt auch bedenklich, dass es die gegen die Urheberrechtsreform Protestierenden anscheinend sang- und klanglos hinnehmen, dass ihre persönlichen Daten von den Konzernen, für die sie auf die Straße gehen, abgegriffen und veräußert werden. Hier entdecke ich substantielle Unterschiede zum Protest meiner Generation. Wir haben (soweit wir zu den Demonstranten zählten) stets die Systemfrage gestellt. Haben das autoritäre und postfaschistische Gehabe der Studienräte, Ordinarien und Betriebsleiter immer in einen Zusammenhang gebracht mit dem Kapitalismus und seinem jeweiligen gesellschaftlichen Überbau.
Die jungen Verfechter eines „freien Internets“, das es leider nicht gibt und das es noch nie gegeben hat (eine seiner mächtigsten Wurzeln war das US-Militär!), mögen intelligent sein. Aber ich bezweifele, ob sie über ein Bewusstsein verfügen, dass den gesellschaftlichen Herausforderungen gerecht wird.

Im Übrigen sind die Informationen, welche mir das Internet bietet, zum überwiegenden Teil nur dann verwendbar und zitierfähig, wenn ich Fake News weitestgehend ausschließen kann. Das ist nach meinen Feststellungen fast nur dann der Fall, wenn ich dafür bezahlen muss. Sei es als Abonnement für digitale Zeitungen oder Zeitschriften, sei es für die Nachrichtenseiten der öffentlich-rechtlichen Sender, die ich mit meiner Rundfunkgebühr finanziere.

Abschließend noch ein Wort zum Buchhandel. Ich kaufe in einer Buchhandlung, die ihren Sitz in meinem Wohnquartier hat. Sie verfügt über eine Homepage, auf der ich recherchieren kann, Leseproben inbegriffen, und von der aus ich Bestellungen auslösen kann (Abholung am nächsten oder übernächsten Tag im Laden). Ein solcher Kundendienst ist längst typisch für viele kleine und mittlere Buchhandlungen. Diese wären aber wettbewerbsfähiger, wenn ihr Hauptkonkurrent Amazon im selben Verhältnis zur Umsatz- und Einkommensteuer (bzw. Körperschaftsteuer) herangezogen würde. Statt dessen genießt dieser Multi die Segnungen einer staatlich tolerierten Steuervermeidung. Ich verfüge sogar über Indizien, denen zufolge unkritischen Internetnutzer bevorzugt bei Amazon kaufen.

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Das Opium des digitalisierten Volks
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Info:
Dieser Artikel war Ausgangspunkt für die Replik von Heinz Markert, die wiederum zu diesem Artikel führte.
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