p zitat die gleichheit vor dem gesetz ist ein betrug denn sie tragt nicht den naturlichen und sozialen anatole france 256568vom Reichtum abgeben = Weltuntergang?

Kurt Nelhiebel

Bremen (Weltexpresso) - Zu den vielen schönen Dingen, von denen das Grundgesetz geradezu überfließt, gehört das Bekenntnis zur Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz. Niemand käme jemals auf die Idee, daran etwas ändern zu wollen. Aber weil manche Menschen eben doch gleicher sind als die anderen, wie Spötter gelegentlich meinen, bleibt das mit der Gleichheit eine Verheißung, der nachzustreben des Schweißes aller Edlen wert ist. Mehr nicht.

Mit der Ungleichheit verhält es sich anders, und damit sind wir dann beim richtigen Leben, wo vieles anders ist. Eine Frau an der Kasse im Supermarkt wird sich niemals den gleichen Urlaub gönnen können wie – sagen wir mal – die Besitzerin eines dicken Aktienpakets von BMW. Damit haben wir uns alle abgefunden, aber so richtig normal ist das trotzdem nicht. Einer, der viel darüber nachgedacht hat, ist der kürzlich verstorbene Verfassungsrichter Ernst-Wolfgang Böckenförde. Er sagte einmal „Die Ungleichheit darf ein gewisses Maß nicht überschreiten.“ (Süddeutsche Zeitung vom 26. Februar 2019).

Aber das tut sie ständig. Das konnte am 8.Mai im Wirtschaftsteil derselben Zeitung in einem Artikel unter der Überschrift „Ungleichheit“ nachgelesen werden. Die neuen Daten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) bewiesen, dass die Schere zwischen Arm und Reich in Deutschland von 1991 bis 2016 deutlich auseinander gegangen sei. Das verfügbare Realeinkommen des reichsten Zehntels der Bevölkerung habe sich um 31 Prozent erhöht. Im Durchschnitt der privaten Haushalte habe das Plus noch 18 Prozent betragen. Das ärmste Zehntel der Bevölkerung aber sei heute ärmer als vor 25 Jahren. Weiter heiß es wörtlich: „Wenn sich eine solche Kluft auftut, liegt es auf der Hand, dass es so nicht weitergehen kann. Das scheinbar mathematische Gesetz, das Reiche immer reicher und Arme immer ärmer macht, muss mit den Mitteln der Politik gebrochen werden. Die reichsten Deutschen, die in den vergangenen 25 Jahren um ein Drittel reicher geworden sind, können etwas von ihrem Reichtum abgeben, ohne dass für sie gleich die Welt zusammenbricht.“

Helmut Schmidt, der das Wort vom Raubtierkapitalismus geprägt hat, gleichzeitig aber der Meinung war, es lohne sich nicht, über eine bessere Welt nachzudenken („Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen.“, Der Spiegel 1980), hätte dem sicher nicht widersprochen. Es kommt immer darauf an, wer etwas sagt. Kevin Kühnert zum Beispiel, der Vorsitzende der sozialdemokratischen Nachwuchsorganisation, wurde niedergeschrieen, weil er sich gegen die ungleiche Verteilung des Reichtums gewandt und die Vergesellschaftung von Großunternehmen wie BMW ins Gespräch gebracht hat.

Abgesehen davon, dass er das Grundgesetz völlig auf seiner Seite hat, kann er sich auch auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 20. Juli 1954 berufen, das einer Änderung der gegenwärtigen Wirtschafts- und Sozialordnung quasi Tür und Tor geöffnet hat. Es entschied: „Die gegenwärtige Wirtschafts- und Sozialordnung ist zwar eine nach dem Grundgesetz mögliche, keineswegs aber die allein mögliche. Sie beruht auf einer vom Willen des Gesetzgebers getragenen wirtschafts- und sozialpolitischen Entscheidung, die durch eine andere Entscheidung ersetzt oder durchbrochen werden kann.“

Daran wird man den bei der Stichwahl um den CDU-Vorsitz unterlegenen Friedrich Merz wohl demnächst erinnern müssen. Er soll ja zum Vizepräsidenten des einflussreichen CDU-Wirtschaftsrates gewählt werden, dessen Präsidium er seit 1999 angehört. Am Ende seines politischen Weges dürfte er damit aber nicht angekommen sein. Spätestens im Herbst, nach den Landtagswahlen in drei ostdeutschen Bundesländern, wo sich die CDU gegen die AfD behaupten muss, werden sich für ihn ganz neue Horizonte auftun.

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