Serie: Rundgänge auf der 58. Biennale, Teil 3/3 wpo Biennale 2 3

Hannah Wölfel & Hanswerner Kruse

Venedig (Weltexpresso) - Shakuntala Kulkarni hat schwer aussehende Drahtkörper gefertigt und sich, eingezwängt in die Rüstungen, an belebten Orten ihrer indischen Heimat präsentiert. „Of Bodies, Armour and Cages“ heißt die Serie (2010-2012). Diese Aktionen seien ihr schwer gefallen, meint sie, denn sie habe vorher noch nie Performances gemacht und sei bisher immer hinter ihre Werke zurückgetreten.


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Von diesen Auftritten, die von der (männlichen) Bevölkerung oft nicht begeistert aufgenommen wurden, zeigt sie im indischen Pavillon spannende Fotos sowie die genutzten Harnische. Diese zunächst so massiv wirkenden Hüllen sind aus leichtem Bambus und könnten weibliche Rollenzuschreibungen oder Schutz gegen männliche Übergriffe symbolisieren.



Wir kommen in unserem letzten Text also noch einmal auf Arbeiten zurück, die auf der Biennale gezeigt werden und trotz ihrer „Privatheit“ politisch, vor allem aber eigenständige Kunstwerke sind. Der österreichische Pavillon wird zum ersten Mal alleine von einer Frau gestaltet: Renate Bertlmann, schon früh bekannt als feministische Performerin, hat streng geometrisch auf 312 spitzen Floretten Rosen aus venezianischem Muranoglas drapiert. Ihre „Ästhetik des Riskanten“, so die Kuratorin, hält Kampf und Anmut, Verlockung und Abwehr in der Schwebe:

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Wenn das Private politisch ist, wie auch diese Werke deutlich machen, erlebt man keine Propaganda auf der Biennale. Viele Arbeiten sind nicht eindeutig, bewahren ihren „unwägbaren Rest“, von dem Adorno sprach. Denn könnte man ihre Bedeutung mit Worten ausdrücken, müsste man sie nicht performen, malen oder mit anderen künstlerischen Mitteln gestalten. Auch das Politische selbst ist zunächst erst einmal künstlerisches Material.

Darum ist der durch Süder Happelmann (die mit dem Stein auf dem Kopf) verrätselte Deutsche Pavillon mit seiner unsinnlichen Anhäufung von Steinen, Gerüsten und einer Mauer so uninteressant. Mit Hilfe von Erklärungen erfährt man, was man bereits aus eigenen Erfahrungen und vielen Medien über Flüchtlinge weiß - und könnte diese Botschaft selbst mit Filzstift an die Wand schreiben. Etliche solch konzeptioneller Arbeiten auf der Biennale gefallen jedoch anderen Kunstfreunden.

In Venedig werden reichlich sinnlich berührende, sowohl gruselige, komische abere auch einfach nur schöne Werke ausgestellt, die wir hier gar nicht alle aufzählen können. Im venezianischen Pavillon darf man in einem langen Tunnel barfuß über Plastikplanen auf (flachem) Wasser laufen. Die Brasilianer zeigen wilde Transgender-Tänze. Im lettischen Pavillon gibt es wunderbare, federleicht wirkende Recyclingkunst. Auch der aus Ghana stammende Künstler El Anatsui zeigt hinreißend poetische Vorhänge aus winzigen recycelten Metallplättchen. Derzeit läuft (noch bis zum 28. Juli) im Münchener Haus der Kunst eine Ausstellung mit riesigen Arbeiten von ihm, an denen zeitweise in Ghana bis zu 100 Leute mitgearbeitet haben.Doch der Künstler will nicht nur Schönes schaffen: „Ich will etwas anderes , Tieferes erreichen. Ich möchte die Menschen wirklich bewegen, möchte, dass Emotionen aufscheinen“ (zitiert nach ART 5/19).

Ralph Rugoff, der Kurator der zentralen Ausstellung der 58. Biennale, wehrt sich gegen die Behauptung, in Venedig werde politische Kunst gezeigt: Das sei dann ja nur eine weitere Form der Überredung. Kunst stelle dagegen Fragen, nehme unterschiedliche Perspektiven ein, störe den gesellschaftlichen Frieden. Das ist ihm mit der Schau „May You Live In Interesting Times“, aber auch vielen anderen Kunstschaffenden in den Pavillons der Nationen gelungen: Wir leben wirklich in interessanten Zeiten und können das in Venedig intensiv durch die Kunst wahrnehmen. Dazu braucht man viel Zeit, mindestens eine Woche, und muss manches ausblenden, weil man einfach nicht alles sehen und erleben kann. Aber die Biennale geht ja noch bis zum 24. November 2019 und wird ergänzt durch Tanz-, Theater- und Musikfestivals sowie die Filmfestspiele.

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   Lorenzo Quinns „Building Bridges“ (Foto) ist das Wahr­zeichen dieser Biennale

Fotos:

(c) Hannah Wölfel & Hanswerner Kruse