Das Trio Infernale der SPDDer SPD mangelt es an Inhalten und an Personen, die für politische Ideale stehen

Klaus Philipp Mertens

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Als eine Verrohung der Sitten empfand Thorsten Schäfer-Gümbel die interne und externe Kritik an Andrea Nahles.

Der Verlierer der hessischen Landtagswahlen von 2009, 2013 und 2018 bildet zusammen mit den Ministerpräsidentinnen Malu Dreyer (Rheinland-Pfalz) und Manuela Schwesig (Mecklenburg-Vorpommern) voraussichtlich bis zu einem Parteitag im Dezember die kommissarische Führung der SPD. Den Fraktionsvorsitz im Bundestag soll Rolf Mützenich übergangsweise übernehmen. Andrea Nahles Ämterverzicht offenbart das Desaster einer Partei, der ihr Programm verlorenging, die zu einer Reflexion ihrer Geschichte nicht mehr fähig ist und die für ihre Führungsebenen überwiegend nur noch Mittelmaß findet. Charismatische Persönlichkeiten sucht man vergeblich, und selbst solche, die sich entsprechend entwickeln könnten, unterwerfen sich dem vorauseilenden Kompromiss.

Bei den Bundestagswahlen 1998 erreichte die SPD 40,9 Prozent der Stimmen; im September 2017 waren es noch 20,5 Prozent, bei der Europawahl am 26. Mai rutschte sie noch weiter ab und landete bei 16 Prozent. Der arithmetische Verlust von annähernd 25 Prozent innerhalb von 21 Jahren lässt sich nicht allein mit den Menschen erklären, die in Leiharbeit, Dauerarbeitslosigkeit und Hartz IV-Bezug sowie in Altersarmut gefallen sind. Der überwiegende Teil derer, die nicht mehr für die Sozialdemokraten votieren, fühlt sich alleingelassen. Alleingelassen im Kampf gegen den allgegenwärtigen Neoliberalismus, der in manchen Branchen sogar mafiöse Strukturen hervorbringt.

Gerhard Schröders Umwandlung des Arbeitsmarkts in einen Lohnsklavenmarkt degradierte vor allem Menschen, die mit einfachen Tätigkeiten ihren Lebensunterhalt verdienen (müssen), zu einer Verfügungsmasse der Wirtschaft. Ebenso betroffen waren und sind Besser- und Hochqualifizierte, wenn sie nicht mehr in das favorisierte Altersschema passen. Parallel dazu wurde die gesetzliche Rentenversicherung schlechtgeredet und amtlich abgewertet, um der Versicherungswirtschaft lukrative Geschäftsfelder zu eröffnen (Privatvorsorge). Konsequenterweise unterblieb der überfällige Schritt in eine Bürgerversicherung, welche die Klassengesellschaft im Gesundheitswesen längst hätte ablösen müssen.

Die Großen Koalitionen von 2005, 2013 und 2018 haben unter Führung der CDU die Schrödersche Agendapolitik fortgesetzt; die rot-grüne Koalition hatte dazu die Voraussetzungen geschaffen.

Zusätzlich verschärft hat sich seither die Situation in der Wohnungswirtschaft. In den Ballungszentren stehen die Signale auf Gentrifizierung. Die zuletzt von der profillosen Katharina Barley verschärfte Mietpreisbremse geriet wegen fehlender Ansätze und Instrumente zur bloßen Propagandafassade. Immer mehr Menschen können sich das Leben in Städten, in denen sie arbeiten und zu deren Wirtschaftskraft sie beitragen, nicht mehr leisten.

Während der typische Steuerbürger gar nicht anders kann, als seine Mitgliedsbeiträge für das Gemeinwesen pünktlich zu zahlen, betrügen internationale Unternehmen den Staat um die ihm zustehenden Abgaben. An der Spitze dieser globalen Finanzmafia befinden sich Facebook (inkl. Whatsapp und Instagram) und Google (inkl. YouTube), deren Geschäftsmodelle auf die Entmündigung des Einzelnen hinauslaufen. All das lässt Zweifel aufkommen am propagierten digitalen Wandel. Denn es ist zu befürchten, dass er sich ausschließlich zu Gunsten der erwähnten Unternehmensgruppen vollziehen könnte und zu Lasten nationaler Haushalte, die dann nicht mehr dazu in der Lage wären, ihre Bildungs-, Sozial- und Strukturaufgaben zu finanzieren. Ein Vorspiel auf diese Entwicklung sind die internationalen Finanztransaktionen, die an den Steuerbehörden vorbei abgewickelt werden.

Bei dieser Gelegenheit sollen auch die Schulden des Staats, also notwendige Investitionen, denen keine fiskalischen Einnahmen gegenüberstehen, nicht vergessen werden. Vor allem nicht deren Ursachen. Denn Staatsschulden sind die Summe aller Steuern, welche die Gemeinschaft denen, die sie bezahlen könnten, nicht abgefordert hat. Und das seit Jahrzehnten. Diese Tatsache wird verschleiert durch Gesetze, die als Schuldenbremse bezeichnet werden und dem unaufgeklärten Bürger suggerieren, dass der Staat auch nur eine Art Krämerladen ist, der seine Kasse in Ordnung halten muss. Solche gesetzlichen Vorgaben führen letztlich zu einer Verelendung der öffentlichen Hand – mit direkten Auswirkungen auf die Daseinsvorsorge. Die SPD hat sich an dieser Volksverdummung ohne Wenn und Aber beteiligt.

Und dann ist da noch der Klimawandel, der durch die fahrlässige Zerstörung der natürlichen Ressourcen durch fossile Energieträger hervorgerufen wurde. Die Lösung kann nur in einem abrupten Ende dieser Technologie bestehen. Doch dann würden – nicht zum ersten Mal - Arbeitsplätze und Erhaltung der Natur gegeneinander abgewogen. Wobei Arbeitsplätze vorrangig die Profite der Aktionäre und Gesellschafter bedeuten.

Die Liste dieser politischen Fehler und fahrlässig herbeigeführten Verhängnisse ist lang und längst nicht vollständig wiedergegeben. Und es sind Zweifel berechtigt, ob die sozialdemokratische Partei über ausreichend qualifizierte Mitglieder verfügt, die das nach innen und nach außen bewusst machen können. Schließlich wäre ein solcher Bewusstseinswandel mindestens die Vorstufe zu einer neuen sozialen Revolution. Wenn ich mir die Protagonisten der SPD auf Bundesebene ansehe, verliere ich jede Hoffnung:
So erscheint mir Thomas Oppermann als der Erfinder des Opportunismus, während Karl Lauterbach den Eindruck erweckt, dass er sich einst das Zaudern und Zögern patentierten ließ. Hubertus Heil könnte publikumswirksam über die Welt als Wille und Vorstellung referieren, aber er vergäße dabei vermutlich das entscheidende Kapitel über die Umsetzung aller Vorhaben. Lars Klingbeil habe ich im Verdacht, bei seinen Statements stets gegen eigene Überzeugungen zu verstoßen. Die Frage, ob Olaf Scholz ein Mensch oder ein Roboter ist, konnte ich mir bislang nicht beantworten. Stephan Weil erinnert mich bei seinen Äußerungen zu Volkswagen, in dessen Aufsichtsrat er als Vertreter Niedersachsen sitzt, an Immanuel Kants Mutmaßung, dass der Mensch das Ding an sich nie begreifen könnte. Bei Heiko Maas‘ Auftritten auf der außenpolitischen Bühne weiß ich nicht, ob er der Minister oder dessen Dolmetscher ist. Michael Roth vertritt die hessische Provinz mit ihren sämtlichen Unwägbarkeiten und Christoph Matschie verkörpert für einen Wessi die Ostzone mit allem, was an Unzulänglichkeiten dazu gehört.

Die SPD wird auch nicht in den so genannten sozialen Medien reüssieren können. Denn diese werden dominiert durch Unternehmen, die wegen ihrer aggressiv umgesetzten kommerziellen Ziele ein wesentlicher Bestandteil der Probleme sind – samt der Luschen, die sich in diesen Kanälen „informieren“.

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Das Trio Infernale der SPD
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