a von der leyen.deOder: Wie man der Demokratie ans Bein pisst

Conrad Taler

Buxtehude (Weltexpresso) – Gemessen an dem Schmierentheater während des jüngsten Sondergipfels der europäischen Staats- und Regierungschefs in Brüssel waren die Gaukler des Mittelalters ehrbare Leute. Sie mussten sich ihren Lebensunterhalt vor aller Augen auf Jahrmärkten und bei Hinrichtungen als Bauchredner, Possenreißer oder Feuerschlucker verdienen.

Von solcher Mühsal  kann zum Beispiel bei dem tschechischen Regierungschef  Andrej Babiš nicht die Rede sein. Der Multimilliardär soll nach einem vorläufigen Rechnungsprüfungsbericht der EU-Kommission Fördergelder veruntreut haben und sieht sich deswegen strafrechtlichen Ermittlungen der heimischen Staatsanwaltschaft ausgesetzt. Seinem Ansehen bei den Teilnehmern des Gipfeltreffens hat das nicht geschadet. Babiš gehörte zu denen, die den Spitzenkandidaten der europäischen Sozialdemokraten für das Amt des Kommissionspräsidenten, Frans Timmermans, ablehnten und an seiner Stelle Ursula von der Leyen benannten, nachdem Manfred Weber von der Europäischen Volkspartei auf der Strecke geblieben war.

Verärgert über die Schmach der Niederlage nannte Weber in einem Zeitungsinterview die seiner Meinung nach Hauptverantwortlichen für den Postenschacher. In Hinterzimmergesprächen und Nachtsitzungen habe sich „die Achse Macron und Orban“ durchgesetzt und das Spitzenkandidatenprinzip demontiert. Seinen Worten zufolge gibt es „mächtige Kräfte“, die das Wahlergebnis nicht akzeptieren wollten und das demokratische Europa beschädigten. Wen er konkret mit den „mächtigen Kräften“ meinte, sagte Weber nicht. Dem französischen Staatspräsidenten und dem ungarischen Ministerpräsidenten kann der Seitenhieb nicht gegolten haben, die hatte er ja als Widersacher namentlich benannt.

Von Macron weiß man, dass er Weber bereits während des Wahlkampfes fehlende Regierungserfahrung vorgehalten hatte. Das Verhältnis Webers zu Orban galt als zerrüttet, seit der EVP-Spitzenkandidat erklärte hatte, er wolle wegen der Demokratiedefizite in Ungarn nicht mit ungarischen Stimmen zum Kommissionspräsidenten gewählt werden. Laut FAZ vom  3.Juli soll Macrons Verhandlungsstrategie davon bestimmt gewesen sein, dass Weber im EU-Parlament keine Mehrheit zustande bekommen würde. Weshalb Macron dann ausgerechnet Ursula von der Leyen als Ersatzkandidatin ins Gespräch brachte, obwohl sie bei der Europawahl nicht einmal kandidiert hat und es deswegen noch schwerer haben dürfte, eine Mehrheit für sich zustande zu bringen, bleibt vorerst ein Rätsel..


Wollte er damit den Vorwurf entkräften,  Manfred Weber abgelehnt zu haben, weil er ein Deutscher sei? Der Vorsitzende der CDU/CSU-Gruppe im EU-Parlament, Daniel Caspari, hatte Macron vorgehalten, „antideutsch unterwegs“ zu sein. Wenn Ursula von der Leyen jetzt als Idealbesetzung für das Amt des Kommissionspräsidenten gepriesen wird, warum haben ihr Macron und Angela Merkel dann nicht von vornherein geraten, sich anstelle von Alfred Weber als Spitzenkandidatin der Europäischen Volkspartei aufstellen zu lassen und bei der Europawahl zu kandidieren? Haben sie übersehen, welcher Glücksfall es für die europäische Rüstungsindustrie wäre, eine ihrer größten Auftragsbeschafferinnen an der Spitze der EU-Kommission zu haben?

Eine bessere Fürsprecherin als Ursula von der Leyen können sich die europäischen Waffenhersteller kaum wünschen. Als erstmals die Produktion eines europäischen Kampfflugzeuges vertraglich besiegelt wurde, sprach die deutsche Verteidigungsministerin von einem „großen Tag für die Europäische Verteidigungsunion“. Dass neben Frankreich und Deutschland auch Spanien an dem Projekt beteiligt ist, hob sie besonders hervor. Zwei Jahre später wurde jetzt der spanische Außenministers Josep Borrell für das Amt des EU-Außenbeauftragten nominiert. Waren auch hier die von Manfred Weber apostrophierten „mächtigen Kräfte“ am Werk? Und was ist mit Ursula von der Leyen? Hat Frankreich bei ihr etwas gutzumachen, weil deutsche Soldaten dabei helfen, die Interessen der französischen Atomindustrie an den Uranvorräten in Mali zu wahren?

„Auf die designierte Präsidentin der EU-Kommission prasseln Wünsche und Forderungen aus dem EU-Parlament ein“, titelte die Süddeutsche Zeitung in der jüngsten Wochendausgabe. Auf welche Seite sich Ursula von der Leyen im Konflikt zwischen beiden Institutionen schlagen wird, bleibt abzuwarten. Am 4. Juli hatte das Blatt die Abgeordneten aufgerufen, den Angriff der Staats- und Regierungschefs auf die Demokratisierung der Europäischen Union zurückzuschlagen und Ursula von der Leyen durchfallen zu lassen. Da Europa an der Regierungen Gunst und Hass zu zerreißen drohe, müsse das Parlament jetzt „den Aufstand wagen“.

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