Bildschirmfoto 2019 07 15 um 03.55.47Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Ende Juni 2019 erreichten die Mehrausgaben 53 Milliarden Schekel

Jacques Ungar

Tel Aviv (Weltexpreso) - Mit öffentlicher Brisanz hat das grosse pekuniäre Loch in der Staatskasse Israels nichts zu tun, doch der Staat kommt nicht umhin, seine Schulden abzubauen.

Neben den brisanten Themen, die jeden Tag die israelischen Medien füttern und von diesen auch breitgetreten werden, gibt es auch vielleicht auf den ersten Blick weniger spektakuläre Themen, die jedoch von grösserer Tragweite sind. Trotzdem haben sie kaum Chancen, nachhaltig Schlagzeilen zu machen. Vergleichen wir doch einmal ein «heisses» Thema mit einem anderen, das, um im Jargon zu verweilen, höchstens das Prädikat «lauwarm» erhalten würde. Dabei würde auch dieses möglichst dringend eine eingehende Behandlung in gedruckten wie elektronischen Medien verdienen.

Kommen wir also zur Sache. Das «heisse» Thema in den israelischen Medien war in den letzten Tagen der gewalttätige Protest von Juden äthiopischer Herkunft gegen die ihrer Meinung nach rassistisch-kapitalistische Behandlung durch weite Teile des israelischen Establishments, die Sicherheitsorgane eingeschlossen. Der äussere Anlass war der offiziell noch immer nicht geklärte Hintergrund des Todes von Solomon Teka, eines israelischen Jugendlichen mit äthiopischen Wurzeln. Täter – der Junge wurde erschossen – war ein dienstfreier Polizist. Zu Beginn der Woche wurde dessen Aussage, nicht direkt auf Teka geschossen zu haben, von Experten primär gutgeheissen. Das Projektil des Polizisten soll auf dem Boden gelandet und von dort in Richtung auf Tekas Körper umgeleitet worden sein. Diese Schlussfolgerung bedarf noch weiterer Untersuchungen, kann als erster Anlass für eine Beruhigung der Gemüter gesehen werden.­


Keine Rechtfertigung für die Tat

Das Gegenteil wäre aber dann denkbar, wenn die äthiopische Gemeinschaft dieses Untersuchungsergebnis als Versuch der «Weissen» interpretiert, einem «unfehlbaren» Polizisten aus dem Schneider zu helfen. Wir müssen also zuwarten und vor allem hoffen, dass mit zunehmender zeitlicher Distanz von der fatalen Tat die besonnenen Stimmen im Lager der Äthiopier die Oberhand gewinnen. Aber sogar wenn dies der Fall sein sollte, sollte man nicht dem Irrglauben verfallen, dass dies die Rückkehr zum vorherigen Status bedeute. Wenn auch wünschenswert, wäre das eine völlig wirklichkeitsfremde Schlussfolgerung. Die lautstarken Aktivisten unter den israelischen Äthiopiern, und mit ihnen das zahlenmässig starke Fussvolk, werden, was verständlich und weitgehend gerechtfertigt ist, dieses Mal keine Ruhe geben, bis ihrer Forderung nach weitgehender Gleichberechtigung und Gleichbehandlung in Israel möglichst umfassend stattgegeben wird.

Im äthiopischen «Aufstand» in Israel bewegt sich der Pegel in einem prekär labilen Gleichgewicht. Je nach Entwicklung kann dieses Gleichgewicht innert weniger Stunden wieder kippen. Auch wenn theoretisch die eine oder andere Person politische Autorität und dialektische Fähigkeiten besitzen würde, um nachhaltig für Beruhigung zu sorgen, wären dies genau jene Leute, die heute bereits mit ihrem Hirn, ihrem Mundwerk und ihrem schriftlichen Auftreten voll auf die Knessetwahlen vom 17. September ausgerichtet sind.


Nach den Wahlen die Schulden

Und damit kommen wir bereits zum zweiten von prinzipiell zahllosen Beispielen für jene Fälle, die, gemessen am Interesse, das sie in der Öffentlichkeit auslösen, in die Kategorie «lauwarm» einzureihen sind. Dass die Thematik langfristig aber nicht weniger heiss ist, als eine Sache wie die der aufgebrachten äthiopisch-israelischen Juden ist von zweitrangiger Bedeutung. Der Israeli denkt in der Regel nämlich nur auf den Moment bezogen. Je längerfristig und vielschichtiger ein Thema konzeptuell angelegt ist, umso geringer sind seine Chancen, in Jerusalem eine tragende Rolle in der öffentlichen Debatte zu spielen.

Wir sprechen vom unaufhaltsam wachsenden öffentlichen Budgetdefizit Israels. So kurz vor den Wahlen wird sich wahrscheinlich kaum ein gewichtiger Kandidat hingeben, dieses Defizit durch unpopuläre Massnahmen wesentlich zu reduzieren, ohne gleichzeitig das Risiko in Kauf zu nehmen, durch solche Schritte seine Chancen auf ein gutes Ergebnis am 17. September zu kompromittieren. Das Defizit wuchs in den letzten 12 Monaten per Ende Juni auf 3,9 Prozent des Bruttoinlandprodukts. Überraschend ist dies nicht unbedingt, ist das Defizit in den letzten zwölf Monaten doch stetig gewachsen, ungeachtet der Beteuerungen des Finanzministeriums von Minister Kahlon, die Situation sei «unter Kontrolle». Noch vor einem Jahr hatte das Defizit erst 1,8 Prozent ausgemacht. Anlässlich der Wahlen von April 2019 hatte der Fehlbetrag bereits 3,8 Prozent betragen. Im Budget dieses Jahres waren es dann noch 2,9 Prozent. In Schekel ausgedrückt erreichten die Mehrausgaben Ende Juni 2019 53 Milliarden Schekel, ein Drittel über der Zielgrösse für das ganze Jahr 2019. Wiederum versuchen es Offizielle des Finanzministeriums mit einer Beruhigungspille: Vertreter des Ministeriums sprechen nämlich von einem Sinken des Defizits im weiteren Verlauf des Jahres. Abgesehen davon, dass harte Fakten für die Richtigkeit dieser Prognose fehlen, ist das Problem laut «Haaretz» von struktureller Natur: Die Regierung hat sich nämlich zu Ausgaben verpflichtet, denen die zur Deckung nötigen Einnahmen aber fehlen. Mit diesem Problem wird sich wahrscheinlich erst die neue israelische Regierung befassen können. Dieses Team wird aber erst nach den Wahlen, vermutlich gegen Ende des laufenden Jahres, einsatzbereit sein.


Hoffentlich nur vorübergehend

Wie um Öl ins Feuer zu giessen, hat der Staatskontrolleur­ einen vertraulichen Entwurf­ seines Berichts dem Finanzministerium unterbreitet, damit dieses vor der Publikation der endgültigen Version seine Meinung dazu kundgeben kann. Informierten Quellen zufolge kritisiert der Bericht das Ministerium aufs Schwerste, vor allem hinsichtlich des Budgetlochs, das sich 2018 entwickelt hat. Offizielle des Finanzministeriums hätten sich laut dem Bericht dafür eingesetzt, Ausgaben vom Budget 2018 auf jenes von 2019 zu verschieben. Einkommen von 2019 dagegen wurden auf 2018 zurückverlegt. Ziel all dieser Übungen sei es gewesen, das Defizit kleiner und Minister Kahlon gut erscheinen zu lassen, während Israel gegen Ende des letzten Jahres in den Wahlmodus sank. Dass das derzeitige Budgetdefizit keine isolierte Angelegenheit für Israel ist, deutete diese Woche die «Jerusalem Post» an. Obwohl Israel laut den Ausführungen des Blattes OECD-Mitglied ist und das 34-höchste Bruttoinlandprodukt der ganzen Welt erwirtschaftet, verfügt das Aussenministerium offenbar nicht über genügend Geld, um die Jahresbeiträge für mehrere internationale Organisationen zu zahlen. Bleibt also nur zu hoffen, dass dieser finanzielle Engpass vorübergehender Natur ist. Eines darf man schon jetzt als wahrscheinlich annehmen: Wenn Israels Defizitbudget nach dem 17. September noch von gleicher Grössenordnung wie heute sein sollte, dürften die Zahlungsprobleme des Jerusalemer Aussenministeriums zu den harmloseren Schwierigkeiten gehören, mit denen die neue Regierung sich schon sehr bald konfrontiert sehen dürfte.


Foto:
Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Ende Juni 2019 erreichten die Mehrausgaben 53 Milliarden Schekel.