p DBP 1983 1163 Verfolgung und Widerstandsacholl6Ein Vorschlag zum 75. Jahrestag des Attentats auf Hitler

Kurt Nelhiebel

Bremen (Weltexpresso) - Taugen Persönlichkeiten wie Oberst Claus Schenk Graf von Stauffenberg noch als Identifikationsfiguren einer „postheroischen Gesellschaft“, die sich vor allem an ihren neuen jugendlichen „Helden“ wie Greta Thunberg, Rezo oder Luisa Neubauer berauscht, fragt der Militärhistoriker Klaus Naumann in der jüngsten Ausgabe der „Blätter für deutsche und internationale Politik“. (Heft 7/2019). Ohne sich auf Naumann zu beziehen, hat die Enkelin eines der Mitstreiter Stauffenbergs, Elisabeth Ruge, in der Süddeutschen Zeitung vom 19. Juli 2019 darauf umfassend geantwortet.

Ihr Großvater Fritz-Dietlof von der Schulenburg wurde nach dem fehlgeschlagenen Attentat auf Hitler vom 20. Juli 1944 von den Nazis ermordet. In seinem Schlusswort nach Verkündung des Todesurteils bekannte er: „Wir haben diese Tat auf uns genommen, um Deutschland vor einem namenlosen Elend zu bewahren. Ich bereue meine Tat nicht und hoffe, dass sie ein anderer in einem glücklicheren Moment durchführen wird.“

Im Gespräch mit Joachim Käppner sagte Elisabth Ruge, der Widerstand gegen Hitler spiele für die Identität unserer demokratischen Gesellschaft ungeachtet neuer Bücher und der Benennung von Bundeswehrkasernen nach Widerstandskämpfern fast keine Rolle. „Man gedenkt seiner eher auf routinierte Weise, aber nur wenige interessieren sich wirklich dafür. Das ist paradox, weil der Widerstand gegen das Naziregimes so vielfältig und eben nicht nur Sache einiger Offiziere gewesen ist. Diese Menschen laden zur Identifikation doch förmlich ein, aber wir kennen sie kaum. Denken wir doch nur an die vielen Gewerkschafter wie Wilhelm Leuschner, die Sozialdemokraten Julius Leber und Carlo Mierendorff, die Kommunisten Anton Saefkow und Franz Jacob, an Liane Berkowitz von der ‚Roten Kapelle’, an Christen wie Elisabeth von Thadden oder Hans von Dohnanyi.“

Im Verlauf des Gespräches ging Elisabeth Ruge, die dem Vorstand der Stiftung 20. Juli angehört, auf die Ursachen des Desinteresses ein. Da müsse man zurückgehen bis zum Kriegsende, sagte sie. „Die meisten Deutschen hatten sehr wenig Interesse, sich von den Überlebenden aus dem Widerstand den Spiegel vorhalten zu lassen und anzuerkennen, dass Widerstehen eben doch möglich gewesen war. In den Gerichten saßen viele ehemalige Nazis, und es brauchte Ausnahmepersönlichkeiten wie den Staatsanwalt Fritz Bauer, damit der Widerstand nicht weiterhin als Verrat eingestuft wurde. Später, in der linken Erinnerung seit den 68ern, gab es so ein Gefühl: Wenden wir uns dem Widerstand zu, dann wenden wir uns von den Opfern des NS-Staates ab. So blieb der Widerstand an den Rand gedrängt.“

Auf die Frage, wie man das offizielle Gedenken zum 20. Juli anders gestalten könne, antwortete Elisabeth Ruge: „Wir sollten die Menschen des Widerstands für unsere Gegenwart lebendig machen. Warum machen wir den 20. Juli nicht zu einem offiziellen Feiertag? Nicht nur zum Gedenken des konservativ-militärischen Widerstands, sondern auch all der anderen Gruppierungen, die beteiligt waren. Da bildet sich die ganze Bandbreite des Widerstands ab. Wir sollten auch an die vielen Menschen aus dem Rettungswiderstand erinnern, die jüdischen Verfolgten Lebensmittelkarten überlassen haben oder Verstecke besorgten. Es wäre ein großer Tag, der auch gerade in dieser verworrenen Zeit ein Zeichen für Demokratie, Grundgesetz und Menschenrechte sein könnte.“

Der 75. Jahrestag des gescheiterten Versuchs, Deutschland von Hitler zu befreien, ist vielleicht die letzte Gelegenheit für eine parlamentarische Initiative, den 20. Juli zum offiziellen Feiertag zu machen, ehe die Erinnerungen weiter verblassen. „Wie wir der Luft bedürfen, um zu atmen, des Lichts, um zu sehen, so bedürfen wir edler Menschen, um zu leben. Sie reißen uns aus dem Sumpf des Alltäglichen, sie entzünden uns zum Kampf gegen das Schlechte“, schrieb Ricarda Huch über die ermordeten deutschen Widerstandskämpfer. Winston Churchill rief der Welt nach dem Zweiten Weltkrieg in Erinnerung: „In Deutschland lebte eine Opposition, die zu dem Edelsten gehört, was in der Geschichte der Völker je hervorgebracht worden ist. Diese Männer und Frauen kämpften ohne Hilfe von innen und außen, einzig getrieben von der Unruhe ihres Gewissens. Ihre Taten sind das unzerstörbare Fundament eines neuen Aufbaus.“

Leider ist manches anders gekommen. Entgegen allen Beteuerungen, dass es einen Schlussstrich unter die Vergangenheit niemals geben werde, dominiert das Schlussstrichdenken längst die politische Wirklichkeit, verbreiten die Gespenster der Vergangenheit längst wieder ihren Modergeruch. „Nichts gehört der Vergangenheit an“, mahnte Fritz Bauer, „alles ist noch Gegenwart und kann wieder Zukunft werden.“ Ein gesetzlicher Feiertag zu Ehren all derer, die gegen den Faschismus gekämpft und unter ihm gelitten haben, könnte dem entgegenwirken. Noch ist es Zeit.

Fotos:
links eine Briefmarke der BRD zum Widerstand, rechts eine der DDR mit Sophie und Hans Scholl, die am 22. Februar 1943 hingerichtet/ermordet wurden
© wikipedia

Info:
Ein guter Anlaß, wieder einmal an den so spannenden wie aufschlußreichen Film von Ilona Ziok DER JUNKER UND DER KOMMUNIST zu erinnern, der eigentlich jährlich in einem der vielen Fernsehprogramme gezeigt werden sollte , zusammen mit einer Dokumentation über den Mann, der den Widerstand gegen Hitler in den deutschen Amtsstuben und Wohnstuben erst gesellschaftsfähig, weil rechtlich bindend machte: Fritz Bauer, damals ,1952, Generalstaatsanwalt von Braunschweig, der im sogenannten Remerprozeß als Ankläger erreichte, daß die Hitlerattentäter, die in öffentlicher Meinung immer noch eher als Vaterlandsverräter denn Helden angesehen wurden, vom Gericht zu rechtsmäßigen Vollstreckern dessen, was schon in der Antike als TYRANNENMORD nicht nur rechtmäßig, sondern geboten war, erklärt wurden.

DER JUNKER UND DER KOMMUNIST wird immer wieder aufgeführt, wir erinnern uns auch an eine Vorstellung, wo Gesine Schwan die Einleitung und Interpretation vornahm, - WELTEXPRESSO hat immer wieder diesen Film angekündigt oder rezensiert, Links unten - aber der andere Film muß erst noch gedreht werden. Allerdings findet sich in FRITZ BAUER - TOD AUF RATEN, ebenfalls von Ilona Ziok,  natürlich der Vorgang wieder, aber er droht doch angesichts dessen, was als Lebensleistung Fritz Bauers dann als Generalstaatsanwalt von Hessen mit den Auschwitzprozessen und verhinderten Euthanasieprozessen noch kam, etwas unterzugehen.

Einen eigenen Film wäre dieser Prozeß wert, warum nicht als Spielfilm? Von diesen gibt es jetzt schon eine Menge. Damit meinen wir nicht nur die über Fritz Bauer, sondern die Widerstandsfilme über die Geschwister Scholl, die über Georg Elser ( den neuesten ELSER- ER HÄTTE DIE WELT VERÄNDERT, aufgeführt auf der Berlinale 2015, hatte Weltexpresso gut besprochen, er fiel aber insgesamt durch, warum, ist uns nicht klar, während der Spielfilm GEORG ELSER - EINER AUS DEUTSCHLAND von 1989 von Klaus Maria Brandauer, der auch die Titelrolle übernahm, zwar gelobt, aber wenig gesehen wurde.  Es gibt noch sehr viel mehr Widerstandsfilme, von denen man sich wünschen täte, daß sie zumindest im Umfeld des 20. Juli als Serie im Fernsehen und als Erinnerung in den Kinos gezeigt werden.
Die Redaktion

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