DSC03051 2 bereinigt 2Der 20.Todestag von Ignatz Bubis wurde in der Begehung zu einem Abend gegen den vorfindlichen und vordringenden Hass

Heinz Markert

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Es ist tatsächlich so dass, wer einem jüdischen Geschlecht entstammt, viel mehr ohne Fehl und Tadel sein muss, als der vermeintlich Urdeutsche. Jüdischen Deutschen wird bei jeder Gelegenheit – unmittelbar oder vermittelt – versucht, etwas aufs Brot zu schmieren und ins Stammbuch zu schreiben.

Nach dem Motto: wenn Ihr uns kritisiert, werden wir doch Euch auch was entgegenhalten dürfen - und überhaupt, ihr seid halt einfach nicht besser als wir.

Dass auf diese Weise dem banalen antisemitischen Vorurteil gedient wird und die eigenen Einstellungen sehr zu wünschen lassen, ist den biederen Schlaumeierinnen und Schlaumeiern an den sonntäglichen Kaffeetischen momentan nicht klar. Dass alle 1 bis 2 Monate ein jüdischer Friedhof geschändet wird, kommt bei ihnen auch nicht an.


Projektionen eines Autors, der sich verlaufen hat

Die Tatsache, dass Rechtsbewegungen immer auch latenten Antisemitismus in Gang setzen, wird leicht verkannt und beschwiegen. Das gute Gewissen soll nicht gestört werden. Wie erschlafft das Bewusstsein eines Martin Walser geworden war, dokumentieren die versammelten Klischees seiner Rede in der Paulskirche anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels am 11. Oktober 1998, in der er eine angebliche Instrumentalisierung des Holocaust beklagte, da diese „Instrumentalisierung unserer Schande“ dazu tendiere, zur „Drohroutine“ zu werden, zum jederzeit einsetzbaren „Einschüchterungsmittel“, zur „Moralkeule“ oder auch „nur Pflichtübung“. Bulimistischer kann es ein literarisch bewährter Schriftsteller kaum noch herausbrechen.

Die Krone der Selbstabdankung als Schriftsteller, die er heute tief bedauert,  setzte Walser sich auf, als er bei einem im Dezember 1998 von der FAZ anberaumten Treffen mit Bubis den Vorwurf der „Dauerpräsentation unserer Schande“ erhob. Das ist die Leier, die vorzugsweise von Nicht-Literaten und Rechtsaußen gedreht wird; die vom Unangenehmen nicht wissen wollen und sich ihren wohlverdienten Seelenfrieden bewahren möchten, wogegen wir einwerfen: Nein, Blödsinn, der Nationalsozialismus, alles, was er ist und gebiert und mit ihm im Bunde steht, ist ein unversieglicher Gegenstand wissenschaftlicher Aufarbeitung: - eines niemals abschließend Aufzuarbeitenden. Cum grano salis: der Nationalsozialismus ist wissenschaftlich anziehend, weil er so abgründig ist, so vielsagend in Bezug auf unsere Gattung. Und als solcher blickt die Aufarbeitung einer wissbegierigen Welt beständig über die Kante eines Abgrunds.


Er gehörte der Generation Anne Frank an

In der Evangelischen Akademie Frankfurt fand am 14.August 2019 eine Veranstaltung anlässlich des 20. Todestages von Ignatz Bubis statt. Bei aller Kritik an einem Erdenbürger, der auch nicht ganz ohne Fehl und Tadel war, wurde der Tag zum Anlass, noch einmal die Tatsache zu belegen, dass Ignaz Bubis, der in den 1970er-Tagen des ‚Frankfurter Häuserkampfs‘ zur Zielscheibe antisemitischer Ressentiments wurde, auch ein Brückenbauer war, der „die deutsche Mehrheitsgesellschaft für die Belange anderer Minderheiten in Deutschland zu sensibilisieren“ imstande war, gab die Einführung zutreffend zur Kenntnis. Der Erinnerung überliefert bleibt seine Einwendung der üblichen „Ausgrenzerei“, die so manche Möglichkeit der Begegnung über tatsächliche oder vermeintliche Grenzen hinweg vereitelt.

Der Abend bewegte sich im Vortrag und anschließenden Dialog um Daten und Geschehnisse, die als Skandale in die Geschichte der Bundesrepublik eingegangen sind. Dazu gehören die rechtsradikalen Pogrome in Rostock-Lichtenhagen (gegen die daran sich anschließenden Asylrechteinschränkungen stand Ignatz Bubis glasklar in Opposition, er trat immer für die Belange von Minderheiten ein); die berüchtigte Walser-Rede von 1998, die sich zu Auswürfen aus der unteren Bauchregion hinreißen ließ; der Eklat um die angekündigte und verhinderte Aufführung des Fassbinder-Stücks „Der Müll, die Stadt, und der Tod“ im Jahr 1985; der Konflikt um das aufgefundene Fundamentenwerk aus der Zeit des alten jüdischen Viertels am Börne-Platz Frankfurt am Main und die Angriffe auf Bubis´ Person im Zusammenhang mit dem ‚Häuserkampf‘ der ‚Aktionsgemeinschaft Westend‘ und Protestgruppen gegen die Zerstörung des historisch gewachsenen Frankfurter Westends mit seinen Gründerzeit- und Jugendstilvillen.

 
Eine gebrochene Biographie
 
Ignatz Bubis wurde 1927 in Breslau als Sohn ukrainischer Emigranten geboren. Der Tag des Überfalls Hitler-Deutschlands auf Polen am 6. Oktober 1939 wurde sein letzter Schultag. Er durfte nur 6 Schuljahre absolvieren, hat sich alles weitere erforderliche Wissen und Können selbst beigebracht. 1942 wurde der Vater in das Vernichtungslager Treblinka deportiert und dort ermordet. Auch Ignatz Bubis’ Bruder und eine Schwester wurden von den Nationalsozialisten umgebracht. Als Postbote im Getto von Dęblin lernte er sich geheime Details zu merken. Er sprach in sieben Sprachen und hatte ein immenses Gedächtnis. Er konnte vielstundenlange Verhandlungen bestehen, war geübt im Hartbleiben, aber konnte auch Vereinbarungen treffen, weil er sich in der alten Tradition des „Immer-wieder-Aufbauens“ geübt hatte.
 
Rückblende
 
Das Fassbinder-Stück von ‚Der Müll, die Stadt und der Tod‘ erschien dem Autor dieser Zeilen als so problematisch und von zwanghaft aufgesetzter Art, dass er als Schriftenkundiger das Stück nicht für voll nehmen konnte und links liegen ließ. Es handelte sich mit diesem Produkt um einen mindestens heruntergekommenen Brecht. Die Eindrücke von damals sind durch Reportagen des Hessischen Fernsehens während jener Tage noch immer lebendig. Das Stück steht in der Tradition ähnlich gearteter fragwürdiger Machwerke, selbst wenn angenommen werden dürfte, dass die dem Protagonisten in den Mund gelegten fatalen Verdikte nicht als Belege für die eigenen Positionen des Dramatikers ausgelegt werden dürfen. Wohl wahr: Aussprüche von dramatischen Personen können im Regelfall nicht als Bestätigung der Standpunkte ihrer Schöpfer in Rechnung gestellt werden. Aber im Fall Fassbinder war eine Grenze mehr als deutlich überschritten.
 
Fassbinder war kein Analytiker und Aufklärer, es war Sanguiniker, der in expressionistischen Metaphern gedacht hat, Brechts ‚Baal‘ hat er nicht nur gespielt. Dennoch musste der Stab über ihn gebrochen werden. Für die abendliche Versammlung am 20. Todestag von Ignatz Bubis war es unbedingt gerechtfertigt, dieses ‚verunglückte‘ Stück erneut problematisiert zu haben, allein um möglicher Instrumentalisierung Fassbinders durch rechtsgerichtete Kreise vorzubeugen. Wäre es eventuell sinnvoll gewesen, die Aufführung des Stückes wenigstens einmal zu ermöglichen, um lebendige Diskussionen in der Stadt in Gang zu bringen? Einem Antisemitismus war in jedem Fall vorzubeugen.
 
Zu den Entwicklungen an der Fundstelle Börne-Platz wurde berichtet:
 
 
 
Frankfurt hat mit dem Überbauen einer geschichtlichen Stätte durch einen profanen Verwaltungsbau die Chance zur umfassenden geschichtlichen Aufarbeitung der jüdischen Wurzeln der Stadt an dieser Stelle vertan.

 
Die Aufarbeitung der Vergangenheit hat erst spät begonnen
 
Der ‚Frankfurter Häuserkampf‘ hat Antisemitismus zweifellos neu wiederaufleben lassen. Der Kampf der ‚Aktionsgemeinschaft Westend‘ war berechtigt, er hat das Westend auf längere Sicht gerettet, ein darin mitschwingender Antisemitismus einzelner aber war schändlich. Die beteiligte außerparlamentarische Opposition war im Kern nicht antisemitisch, sie war systemkritisch, nahm nichts aus. Sie lebt in den zivilgesellschaftlichen, nicht-staatlichen Bewegungen heute weiter. Die Protestgeneration hatte begonnen, dafür zu sorgen, dass das Land zum Besseren umgestaltet wurde. Die AfD hat eben damit jetzt noch ein zentrales Problem.

 
Spekulation ist eine im Wesen unspezifische
 
Der Finanzcrash von 2008 wurde durch eine Massenbewegung von Lemmingen befeuert, denen Spielernaturen dienten. Ob nun Geld durch Geld vermehrt werden soll oder ein Run auf Immobilien stattfindet: Spekulation beruht in einer systemischen Bedingtheit, ist nicht Sache von Abstammung oder Herkommen. Der neue Film ‚Push‘ bestätigt das auch wieder. Immer verbirgt sich eine dumme Masse oder ahnungslose Politik dahinter. Was irgend geht, wird gemacht; das ist durch die freie Auslegung ökonomischer Mittel möglich, die keinen Moralkodex haben. Dass im Kampf gegen die Zerstörung des Westends mit seiner historisch einzigartigen Architektur linke Studentinnen und Studenten sich massiv antisemitischen Klischees und Vorurteilen hingegeben hätten, gehört dem Bereich des Mythos an. Die Bewegung war im wesentlichen eine von Vernunftbürgern.
 
In den Siebziger Jahren bestimmten noch inzwischen gealterte Kohorten des Nationalsozialismus das öffentliche Leben, die Aufarbeitung der Vergangenheit kam erst durch das Wirken Fritz Bauers und die sich entwickelnde Student*Innenbewegung in Gang. Schüler waren auch darunter. Es brauchte eine Jugend für den Umschwung. Die Kritische Theorie hat die Studentinnen und Studenten nicht nur der Universität Frankfurt derart inspiriert, dass auch ein Durchbruch in Bezug auf Rückbesinnung und Aufarbeitung der Vergangenheit in Gang kam. Die Holocaust-Täter-und-Mittäter-Generation wurde herausgefordert und was ihr nachfolgt - und gleicht - wird es auch wieder, im Namen weiser Lehrer. Neue Lehrerinnen und Lehrer enterten alsbald den Schuldienst, zu jeder sich bietenden Gelegenheit wurden Diskussion entfacht. Der Schuldirektor musste sich für Versäumtes rechtfertigen.
 
Die auch vorhandene antisemitische Stimmung, sowohl innerhalb als auch außerhalb der Westendbewegung wurzelte in jenen Jahren im Klein- und Mittelstandsbürgertum und nicht unerheblich auch im Bürgertum der Bessergestellten. Die bürgerlichen Eliten waren, wie Bubis erkannte, die Ersten, die 1933 umschwenkten. Die AfD geht auf die Gründung durch einen Professor zurück. Bubis konnte sich nicht mehr ohne gepanzertes Auto und nicht ohne bewaffnete Begleitung bewegen. Hinzu kam eine bedrohliche RAF, die in spezifisch gnadenloser Logik am deutschen Ungeist partizipierte.
 
Jürgen Roth, dem eine differenzierte Beobachtungsweise zugeschrieben werden darf, beschrieb in „z.B. Frankfurt: Die Zerstörung einer Stadt“ den Antisemitismus im Westend mit den folgenden Worten: „Frankfurt dürfte die einzige Stadt in der Bundesrepublik sein, in der man auf offenen Antisemitismus stößt. Ausgerechnet durch die brutalen Vertreibungsmethoden entstand bei den älteren Bürgern des Westends ein extremer Ausländerhass“. Zunächst habe dieser sich gegen die Gastarbeiter gerichtet. Aber: „Da die Spekulanten und Vertreiber zu einem großen Teil jüdischer Abstammung waren, hatte man wieder einen Sündenbock, „den Juden“ gefunden“.
 
Er kommt auch auf die kompensatorische Technik, die einen fortlebenden Antisemitismus kennzeichnet, zu sprechen: „Die meisten der Schreier aus dem Kleinbürgertum haben ihre eigene Vergangenheit vergessen. Es ist noch nicht lange her, dass sie mitschuldig wurden, dass Millionen von Juden vertrieben und ihr Leben in den Konzentrationslagern und Gaskammern endete. Unter ihnen waren Hunderte von jüdischen Bürgern aus dem Westend“. Doch die politischen Parteien und Verantwortlichen hätten sich nicht klar äußern können oder wollen. So hätten Stadtverwaltung und Parteien geschwiegen. „Sie hatten allen Grund dazu, da sie der Westend-Bevölkerung kaum sagen konnten, dass sie es waren, die die Spekulanten aufgefordert hatten, die Grundstücke aufzukaufen und die Vertreibung letztlich eine Folge politischer Entscheidungen der Stadt Frankfurt war“. (S. 31-33).
 
Aus den Tagen der Studienzeit ist das brachliegende, enthauste Eckgrundstück an der Kreuzung Senckenberganlage/Bockenheimer Landstraße noch gut in Erinnerung. Eine tiefe Grube starrte einem entgegen. Die Lage hatte damals etwas von Wildwest. Aber wir haben daraus keinen Antisemitismus abgeleitet. Das macht den Unterschied. Antisemitismus ist nämlich vor allem: eine gesellschaftliche Geisteskrankheit. Die damaligen wirtschaftlichen Vorgehensweisen seien „Ausdruck unseres Gesellschaftssystems“ - und seiner „«Freiheit»“ (so Roth) – gewesen und sind es noch heute. Jeglicher Versuch der Ethnisierung und völkischen Ableitung von wirtschaftlichen Praktiken ist unzuständig und abwegig.
 
Ignaz Bubis hat jenseits der Fünfzig zu gegebener Zeit seine Chance genutzt, wirtschaftlich erfolgreich zu werden. Wer kann von sich sagen, dass er immer und überall allem widerstehen könnte? Ein Typ, der ein Macher war, kann das noch viel weniger.
 
Foto © Heinz Markert