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Kategorie: Zeitgeschehen
Bildschirmfoto 2019 09 07 um 08.50.53Weniger als zwei Wochen vor den Parlamentswahlen wird in den israelischen Medien ein Thema besonders hart ausgeschlachtet: Netanyahus krankhafte Beziehung zu den Medien

Jacques Ungar

Tel Aviv (Weltexpresso) - Die israelischen Parlamentswahlen vom 17. September rücken näher. Die allgemeine Atmosphäre im Lande ist im Vorfeld dieses eminent wichtigen Urnengangs von zunehmender Lethargie geprägt. Paradoxerweise produzieren die Medien Israels täglich neue Veröffentlichungen zu weiteren Polit-Skandalen, seien es wahre oder erfundene. Bis zum 17. September darf noch medial gewütet werden, vielleicht auch noch länger während der Tage  Wochen der Koalitions- und Regierungsbildung.

Es zeigt sich jedoch immer deutlicher, dass Israel dringend einen Themawechsel benötigt, will man nicht aus den Wahlkampagnen einen Selbstzweck machen, der mit der eigentlichen Aufgabe dieser Institution nichts mehr zu tun hat: die ständige Begleitung eines Geschehens, das das Wesen und Unwesen der jüdischen Nation bis zur Unkenntlichkeit entblösst und entstellt.


Aufnahmen, die den Premier belasten

In den letzten Tagen fand ein altes Thema erneut Eingang in die Medien, in dessen Zentrum der mit allen Mitteln um die Fortsetzung seiner politischen Karriere und gegen drohende Korruptionspozesse kämpfende Regierungschef Binyamin Netanyahu steht. Tonbandaufnahmen sollen demzufolge beweisen, dass sich der Premier teilweise rechtswidrig ins Geschäft der Medienindustrie eingemischt habe. Dabei habe er – das wird zum springenden Punkt gemacht – in jenem Moment vor allem unter dem Druck staatlicher Rechtsberater das Kommunikationsamt bereits aufgegeben.

Allerdings schien Ne­tanyahu so sehr in dieses milliardenschwere Machtzentrum vernarrt gewesen zu sein, dass er zu seinem Abschied von dem Portefeuille fast gezwungen werden musste, vergleichbar etwa mit einem Erstklässler, dem seine Spielsachen viel wichtiger sind als die Hausaufgaben, zu deren Erledigung der Knirps regelmässig gezwungen werden muss.

Netanyahu schien aber insofern vorgesorgt zu haben, als dass er an entscheidenden Stellen im Kommunikationswesen Männer und Frauen zurückliess, die den Befehlen des Meisters auch dann noch ergebenst gehorchen, wenn der Meister juristisch in den Wandelhallen des Kommunikationsministeriums nichts mehr zu tun oder zu sagen hat. Der TV-Kanal 13, der sich im Laufe der gegenwärtigen Wahlkampagne zu einem eigentlichen Skandal-Enthüller durchgemausert hat, umschrieb die Situation sinngemäss folgendermassen: Premierminister Netanyahu war noch immer im Kommunikationsmarkt engagiert und instruierte seinen Nachfolger und Ex-Minister Ayub Kara, wie er vorzugehen habe, als er bereits gezwungen wurde, das Kommunikationsamt aufzugeben. Das sollen anfangs der Woche – also noch rechtzeitig vor Torschluss der Wahlkampagnen – zur Veröffentlichung freigegebene Bandaufnahmen beweisen.

Die immer boshafteren und vor dem 17. September immer zahlreicher werdenden Kritiker unter den Medienschaffenden hatten wieder einmal die Gelegenheit, Kara mit dem in der Sache vielleicht zutreffenden Schimpfwort, in dieser Form aber sicherlich übertriebenen Begriff «Kommunikationshure» vor den Kopf zu stossen. Und Kara konnte sich nicht anders helfen, als seine Haltung zu verlieren, in die Mikrofone und vor Kameras zu brüllen und dem Himmel und der Welt Rache für diesen «Verrat» zu schwören. In den Aufnahmen konnte man hören, wie Netanyahu Kara anwies zu intervenieren, um dem TV-Kanal 20 zu erlauben, Nachrichten auszustrahlen. Es erübrigt sich fast, darauf hinzuweisen, dass der Likud-Chef dabei nur an Nachrichten dachte, die seine Person und seine politische Botschaft in einem möglichst günstigen Licht erscheinen ließen.


Obsession ist das Zauberwort

Lassen wir an dieser Stelle den nie nach trägen Formulierungen suchenden «Haaretz»-Redaktor Yossi Veter zu Wort kommen. Unter dem Titel «Rückkehr zur Szene des Verbrechens» schreibt er unter anderem: «Während des vergangenen Jahrzehnts hat kein Regierungsbüro und kein öffentliches, diplomatisches, wirtschaftliches oder Sicherheitsthema die gleiche Leidenschaft, dieselben Emotionen und den Ärger von Premierminister Netanyahu ausgelöst, wie die Medien es tun.

Wegen der Medien hat er sich mit all den Ministern angelegt, die ernannt worden waren, das Kommunikationsministerium zu leiten (Yuli Edelstein, Ofir Akunis, Gilad Erdan, Tzachi Hanegbi und zum Schluss Ayub Kara). Wegen der Medien rief er 2013 vorgezogene Wahlen aus. Und die strafrechtlichen Fälle, in denen er heute bis zum Hals steckt, sind die giftigen Früchte seiner krankhaften Beziehung zu den Medien.

Die Begriffe Obsession und Besessenheit sind schon oft benutzt worden, um Netanyahus Haltung gegenüber den israelischen Medien zu beschreiben, die kein Erbarmen mit ihm kennen. Einige betrachteten es als die Übertreibung feindselig eingestellter Journalisten. Doch was wir diese Woche vom TV-Nachrichtenkanal 13 zu hören und sehen bekamen, umschliesst die ganze Geschichte: Hier geht es nicht nur um Obsession, vielmehr ist es ein Dybbuk, es ist Wahnsinn. Und in diesem Falle ist es auch Rückfälligkeit. Allem Anschein nach, natürlich, nur allem Anschein nach. Gleich einem Drogenabhängigen, der unfähig ist, sich seiner Gewohnheiten zu entledigen, konnte Netanyahu in den Aufnahmen gehört werden, wie er zur Szene des Verbrechens zurückkehrte. Sogar nachdem er gezwungen worden war, das Kommunikationsministerium aufzugeben, und sogar nachdem Generalstaatsanwalt Avichai Mandelblit ihm verboten hatte, sich mit Themen zu befassen, die etwa mit dem TV-Kanal 10 zu tun haben oder mit Shaul Elovitch, dem Milliardär und kontrollierenden Aktionär von Bezeq, wies er Kara an: ‹Gib es auf! Löse es auf! Beeile dich! Tu irgendetwas!› Und wenn ein Medienbericht Kara mit Ayelet Shaked in Verbindung brachte, dem legendären Hassobjekt der Familie Netanyahu, verlor dieser seine Haltung vollends: ‹Bist du verrückt geworden?›, schrie er den sich windenden Kara an, der doch nur versuchte, eine Gesetzesvorlage zu verabschieden, die sein Boss passiert sehen wollte. Was aber konnte er tun? Shaked war damals Justizministerin. Ohne sie würde nichts gehen.»

Nein, es handelt sich hierbei keinesfalls um eine sonderbare Version von Brechts «Dreigroschenoper», sondern um einen klitzekleinen Ausschnitt aus dem israelischen Vorwahl-Alltag. Der ist deswegen aber nicht weniger kläglich, verkündet jedoch kommendes Unheil für das israelische Volk, sollte es sich durch den Wahltag vom Charisma und der sprachlichen Gewandtheit diverser Jerusalemer Spitzenpolitiker in totale Blindheit werfen lassen. Sollte dies eintreten, hat das abgegriffene geflügelte Wort doch mehr Wahrheitsgehalt, als wir uns bis jetzt eingestehen wollten: Jedes Volk erhält die Regierung, die es verdient. – Themawechsel, bitte schnell!


Foto:
Binyamin Netanyahu legt sich seine Stolpersteine selbst in den Weg. Neueste Tonbandaufnahmen sollen beweisen, dass sich der Premier teilweise rechtswidrig ins Geschäft der Medienindustrie eingemischt...
© tachles

Info:
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 6. September 2019