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Kategorie: Zeitgeschehen
Bildschirmfoto 2019 09 14 um 00.48.44Nach nur fünf Monaten sind Israels Bürgerinnen und Bürger am nächsten Dienstag wieder aufgerufen, ein neues Parlament zu bestellen

Jacques Ungar

Tel Aviv (Weltexpresso) - Vermutlich wird auch dieses Mal keine tragfähige Regierung gebildet. Die vorangegangenen 21 Monate waren die kürzeste Zeitspanne gewesen, die je zwischen einem Urnengang und dem nächsten lag. Nun hat sich diese auf nur fünf Monate reduziert. Angesichts der grassierenden Wahlmüdigkeit, die sich wie eine grosse Decke über das Land legt, sind fünf Monate vielleicht zu kurz, um eine gute, neue Regierung zu bilden. Aber Normalität ist in Israel ein Fremdwort geworden oder jedenfalls eine Situation mit höchstem Seltenheitswert.

Gehen wir trotzdem von einem normalen Szenario aus: Bereits am Abend des 17. September wird der Trend erkennbar sein, dem die israelische Politik für die prinzipiell nächsten vier Jahre folgen dürfte.

Prognosen und Berechnungen
Nach Ansicht von Experten wird bei den kommenden Wahlen die Höhe der Wahlbeteiligung eine zentralere Rolle spielen als bisher. Ebenfalls zu berücksichtigen ist, dass laut «Yediot Achronot» 1,2 Millionen Israeli, von denen jedoch nicht alle wahlberechtigt sind, sich derzeit nicht im Land aufhalten. Beim letzten Urnengang hatte diese Zahl etwas weniger betragen. Das Mass der Wahlbeteiligung dürfte sich aufgrund von Schätzungen um ein Prozent auf 67,5 Prozent senken. Das wären immerhin fast fünf Prozent weniger als bei den Wahlen von 2015.

Dass die Israeli innert so kurzer Zeit bereits wieder an die Wahlurnen gerufen werden, dürfte ebenfalls eine wesentliche Rolle für das Ergebnis spielen. Die doch sehr kurze Frist von nur fünf Monaten zwischen den letzten und den kommenden Wahlen könnte beim Wählervolk entweder Verwirrung oder Gleichgültigkeit hervorrufen. Vergessen wir dabei nicht, dass die Israeli in den letzten Monaten auch bei Lokal- und Munizipalwahlen engagiert waren. Besagte Wahlmüdigkeit wäre demnach schon eine Tatsache und kaum mehr nur Vermutung. Mit zur Verwirrung beitragen dürfte auch der Umstand, dass Wähler, die noch im April 2019 bei den letzten Wahlen eine «eigene» Partei im Rücken hatten, sich nun in dieser Beziehung verwaist vorkommen werden. Durch Zusammenlegungen und Fusionen sind zahlreiche Parteien schlicht verschwunden, so etwa Kulanu, Gesher und Zehut. Ziemlich sicher werden daher zahlreiche frühere Wähler am 17. September gar nicht wählen gehen. «Sie werden die neuen Nicht-Stimmenden sein», erklärte ein Haifaer Akademiker gegenüber «Yediot Achronot».

Endspurt für den Likud
Neben den rein statistischen Beobachtungen dürfen auch für den kommenden Dienstag vielleicht wichtige Entwicklungen innerhalb des rechtsnationalen Lagers nicht ausser Acht gelassen werden. Im Bestreben, möglichst viele Stimmen von Rechtsabweichlern dem Likud einzuverleiben, macht Premier Netan­yahu in den letzten Tagen vor den Wahlen eine regelrechte Hetzjagd auf kleine und kleinste Splitterparteien rechts von der Mitte. Seit er die Partei Zehut (Moshe Feiglin) vor zwei Wochen überzeugen konnte, als eigenständige Partei aus dem Rennen zu scheiden, bleibt die Frage offen, wie er mit der Kahanisten-Partei Otzmat Yehudit umgehen will. Zunächst war es unklar, ob Otzmat die Mindestklausel überhaupt wird überwinden können. Letzte Umfragen deuteten allerdings an, dass Otzmat den Sprung in die Knesset knapp schaffen könnte. Netan­yahus primäres Ziel ist es, dass die Rechte bei den Wahlen 61 von 120 Mandaten bekommt, und zwar ohne Israel Beiteinu von Avigdor Lieberman, die sich von einer sicheren Sache für Netanyahus angestrebte Koalition zu einer eher wackligen Fraktion für eine Rechtskoalition entwickelt hat.

In der Nacht zum Mittwoch wurden die Israeli kurz vom theoretischen Wahl­geplänkel in die raue Wirklichkeit zurückgeführt: Nachdem die Palästinenser zwei Raketen gegen die Städte Ashkelon und Ashdod abgefeuert hatten – das Abwehrsystem Iron Dome konnte beide Projektile abfangen –, griffen IDF-Flugzeuge rund 15 Ziele im Gazastreifen an. Die Stadtverwaltung von Ashkelon liess anschliessend mitteilen, dass der Schulbetrieb am Mittwoch normal durchgeführt würde. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Bilder von Netanyahu, der beim Ertönen des Raketenalarms von einem massiven Sicherheitsaufgebot im Eiltempo von einer Wahlveranstaltung in Ashdod weggeführt wurde, vom Premierminister im Kampagnen-Endspurt noch zu seinen Gunsten eingesetzt werden.

Foto:
Blauweiss-Vorsitzender Benny Gantz (r.) sieht sich diese Woche an einer Pressekonferenz in der Knesset schon fast als Gewinner. Kann er Netanyahu den Posten des Regierungschefs streitig machen? 
© tachles

Info:
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 12. September 2019