kpm Nach der Landtagswahl in Thueringen Zusammenarbeit zwischen Linke und CDUDafür erwarten wir nichts, aber auch keine AfD

Klaus Philipp Mertens

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Ich kann sie nicht mehr hören, diese Klagen über ostdeutsche Befindlichkeitsstörungen.

Und erst recht verabscheue ich Verständnisbekundungen für Menschen, die – weil sie gegen unliebsame Verhältnisse protestieren - die Rechtsextremisten um den Faschisten Björn Höcke gewählt haben und dieser Partei in Thüringen zu 23 Prozent der abgegebenen Stimmen verhalfen. Auch wer sich über Perspektivlosigkeit, Vetternwirtschaft und gesellschaftliche Ungerechtigkeit ärgert, gewinnt dadurch nicht das Recht, ein Tabu zu brechen (nämlich den Anti-Nazi-Konsens von 1945) und AfD zu wählen. Denn damit schadet er/sie der gesamten Republik. Schließlich kann kein Staatsbürger aus der Verpflichtung entlassen werden, seine politische Überzeugung stets zu reflektieren und Verantwortung für das Gemeinwesen zu übernehmen.

Eine weisheitliche Erfahrung des Altertums, festgehalten im Buch Exodus des Alten Testaments, lautet: „Die Fremdlinge sollst du nicht bedrängen und bedrücken; denn ihr seid auch Fremdlinge in Ägypten gewesen.“ Ostdeutsche sollten ihre Erfahrungen aus vierzig Jahren in einem autoritären Regime verinnerlichen und daraus einen Verhaltenskodex für Gegenwart und Zukunft ableiten. Auch, weil die alte Bundesrepublik sich 1989/1990 mit ihnen solidarisiert und ihnen einen Neubeginn im gemeinsamen Staat ermöglicht hat. Und das, obwohl man sich in den Jahren der Trennung fremd geworden war und eine Vereinigung unrealistisch erschien. Denn in der Begegnung mit dem fremd Gewordenen, dem Fremden allgemein, sowie denen, die der Hilfe bedürfen, zeigt sich die Moral einer Gesellschaft. Der Umgang mit Fremden (ehemaligen ausländischen Vertragsarbeitern der DDR und Asylsuchenden) in Hoyerswerda 1991 und Rostock-Lichtenhagen 1992 zeigte jedoch in erschreckender Weise, dass einige von denen, die neue Chancen erhalten hatten, mit Gewalt und Rücksichtslosigkeit gegen andere vorgingen, die ebenfalls Zuflucht und neue Perspektiven suchten. Die unbegründete Angst vor Flüchtlingen, die seit September 2015 kursiert, ist eine Folge dieser Erscheinungen und nicht zu rechtfertigen. Aber auch die vermeintliche und möglicherweise in Teilen zutreffende Deklassierung Ostdeutscher ist kein Phänomen, das verbaler und körperlicher Gewalt bedarf bzw. einer Partei, die das Synonym für Dummheit und Brutalität schlechthin ist. Hier ist der demokratische Diskurs gefragt und nichts anderes.

Schauen wir auf die konkrete Situation in Thüringen:

Das Wahlergebnis zeigt auf den ersten Blick paradoxe Beziehungen zwischen Wählern und Parteien. Die traditionellen Sachwalter der „kleinen Leute“, die SPD, vermochte ihre klassische Klientel nicht mehr ausreichend zu überzeugen – was mutmaßlich mehr an Berlin als an Erfurt gelegen hat. Im Gegensatz dazu schaffte es die LINKE unter Bodo Ramelow, für ein zusätzliches und wachsendes Potential attraktiv zu sein: Nämlich für undogmatische Linke und Linksliberale, jüngere Frauen und jene Bürgerliche, die im Status quo nicht das Endstadium gesellschaftlicher Entwicklung sehen. Zumindest einen kleineren Teil der letzteren hat sie Wechselwählern zu verdanken, die aus christdemokratischen und grünen Milieus stammen.

Für die thüringischen Grünen könnte es nachteilig gewesen sein, dass die Bundespartei zwar voll auf Klimarettung eingestellt ist, aber die eindeutige Korrelation zwischen Umweltvernichtung und Kapitalismus scheut. Vermutlich wegen strategischer Rücksichtnahme auf die Bundes-CDU, die bei anhaltender Selbstzerstörung der SPD der einzige Koalitionspartner von Rang wäre.

Die CDU hingegen verfügt in den ostdeutschen Ländern über einen Wählerstamm, der anscheinend weniger Berührungsängste gegenüber der LINKEN aufweist als im Rest der Bundesrepublik; auch wenn das von anderer Seite kleingeredet wird. Das könnte an der Geschichte der Ost-CDU als einstiger Block-Partei liegen, deren Selbstverständnis zwangsläufig von Kapitalismuskritik geprägt war und keineswegs von Marktwirtschaft oder Neoliberalismus.
Wenn der Vorsitzende der Jungen Union, Tilman Kuban, über die LINKE als SED-Nachfolgepartei schwadroniert, sollte er die Nachfolger der DDR-Blockparteien, speziell die Ost-CDU, nicht vergessen. Aber auch nicht die LDPD (heute FDP) und die NDPD (eine Keimzelle der AfD).

Dass die AfD in Thüringen zur Protestbewegung mit Volksparteicharakter avancierte, belegt die ungebrochene Gültigkeit einer Studie des Frankfurter Instituts für Sozialforschung von 1929/1930, die unter Federführung von Erich Fromm mit Hilfe von detaillierten Fragebögen erstellt worden war („Arbeiter und Angestellte am Vorabend des Dritten Reiches“). Sie wies nach, dass weniger Arbeitslosigkeit und Armut Teile der Arbeiter, Handwerker und Angestellten in die Arme der NSDAP getrieben haben, sondern nichthinterfragte Ängste vor dem sozialen Abstieg in Verbindung mit den Spätfolgen des Ersten Weltkriegs (internationale Arbeitsteilung, vor allem durch das Entstehen supranationaler Konzerne). Diese diffusen Befürchtungen wurden einerseits verstärkt durch die unzureichende Bereitschaft zur umfassenden persönlichen Information über politische Faktoren sowie einer Geringschätzung von Bildung und Kultur; andererseits durch eine hohe Affinität zur autoritären Lösung gesellschaftlicher Fragen. Der Journalist Siegfried Kracauer kam 1930 in einer Interviewserie („Die Angestellten“) für die „Frankfurter Zeitung“ zu ähnlichen Ergebnissen.

Fazit gestern wie heute: Die Milieus, welche zu hohen Anteilen für die AfD votierten, sind selten von tiefgreifenden sozialen Problemen geprägt, sondern von der Abwehr bislang gültiger sozialer Normen. Nationale und internationale Solidarität sowie ein umfassender Humanismus werden verdrängt durch Nationalismus, Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Gewaltbereitschaft. Oder verkürzt formuliert: Wer für Höcke & Konsorten stimmt, weiß, was er/sie tut und ist für eine aufgeklärte und die Menschenwürde achtende Gesellschaft verloren.

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Nach der Landtagswahl in Thüringen: Zusammenarbeit zwischen LINKE und CDU?
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