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Kategorie: Zeitgeschehen
a thomasmannethzurichSerie: Ein hochaktueller Text von Thomas Mann aus dem Jahr 1949, Teil 4/4

Kurt Nelhiebel

Bremen (Weltexpresso) - Redaktionelle Vorbemerkung: „J’accuse – Wider die Selbstgerechtigkeit der besseren Welt“ lautet die Überschrift eines politischen Traktats, den Thomas Mann vor 70 Jahren verfasste, nachdem ihm, der damals noch im amerikanischen Exil lebte, eine als Manuskript gedruckte Publikation mit dem Titel „Extempore“ zugeschickt worden war. Sie erschien nur kurze Zeit - vom 15. Juli bis zum 15. November 1949 im Vita Nova Verlag, Luzern.

Der aus Deutschland vertriebene Literatur-Nobelpreisträger reagierte mit „Freude, Überraschung, ja Erstaunen“ auf den Inhalt, den er als „Anregung und Ermutigung“ empfand.  Als unveröffentlichte Arbeit Thomas Manns lag dessen Text 41 Jahre in dem nach ihm benannten Archiv in Zürich. Erstmals veröffentlicht wurde er  – versehen mit einer Einleitung durch Inge Jens -  1991 in Heft 12  der„Blätter für deutsche und internationale Politik“ als Vorabdruck von Manns  „Tagebücher 1949-1950“ (S.Fischer Verlag). Mit freundlicher Genehmigung der„Blätter“-Redaktion  hat Kurt Nelhiebel Auszüge für „Weltexpresso“ zusammengestellt.

Etwas stimmt nicht mit unserer Entrüstung über russischen Terror, da wir doch selbst einen Professor für akademisch untragbar erklären und ihn mit Weib und Kind erbarmungslos in die ökonomische Wüste schicken...weil er vor 20 Jahren Mitglied einer Jugendorganisation war, die, wenn es sie noch gäbe, heute auf der schwarzen Liste stünde...So dankbaren Herzens ich Gradunterschiede der Rechtsunsicherheit anerkenne, so bleibt Terror doch Terror, und geheimpolizeiliche Gesinnungsspäherei bleibt, was sie ist, auch wenn sie unter demokratischen Vorzeichen geübt wird. Geht es so fort, so werden wir, worauf es so sehr uns doch ankommt, dem Kommunismus bald nichts mehr vorzuwerfen haben; auch nicht in Dingen der reinen und freien Wissenschaft, die es in Russland nicht gibt, während bei uns schon 1946 „Business Week“ schreiben konnte:

„Die Unterstützung der reinen Wissenschaft von Seiten der U.S. steht heute fast vollständig unter der Kontrolle der Armee. Ihre entscheidende Richtung wird durch militärische Bedürfnisse bestimmt...Es wird immer wahrscheinlicher, dass die reine Führung eines Tages zu einer besonderen, ständigen Abteilung der Armee wird.“ Und ein angesehener Physiker der Stanford University fügte 1947 hinzu: „Heer und Marine haben so viele Wissenschaftler für Forschungen auf militärischem Gebiet reserviert, dass die reine Wissenschaft und die Lehrtätigkeit wahrscheinlich darunter leiden werden...Da die Armee solche Projekte begünstigt, die für die Kriegführung von Wert sein können, wird der Forschung allgemein eine andere Richtung gegeben.“ – Nicht genug damit, hat eben jetzt der Präsident des kalifornischen Institute of Technology, Dr. DuBridge, einen Bericht von 90 Seiten herausgegeben, worin er sehr eindrucksvoll auseinandersetzt, dass die unabhängige Forschung „harmstrung“ ist (das heißt: die Knieflechten sind ihr zerschnitten) durch die Gepflogenheit des Federal Government, mit der Unterstützung der Wissenschaft Ämter zu betrauen, denen nur daran gelegen ist, dass sie zur Entwicklung von Kriegswaffen führt...Ein ausgezeichnetes Mittel, so heißt es bitter in der Schrift,  die Wissenschaft zu lähmen, sei es, ihr die finanziellen Hilfsquellen zu entziehen, ein noch besseres aber, sie zu zwingen, in verschwiegenem Dunkel zu arbeiten. Ein Drittes ist ausgelassen, nämlich die Verjagung tüchtiger Gelehrter aus ihren Laboratorien beim leisesten Verdacht eines Webfehlers in ihren politischen Überzeugungen...

Der Antikommunismus als moralisches Agitationsmittel gegen die Machtkombination, mit der Russland die Zusammenfassung von zwei Dritteln der militärischen und wirtschaftlichen Hilfsmittel der Erde unter amerikanischer Führung zu parieren versucht, ist innerlich kraftlos, solange er kein Interesse zeigt an der Änderung der Weltordnung, unter der rund tausend Millionen Menschen Hunger leiden. Der Kommunismus macht sich anheischig, dieser beim heutigen Stand der Wissenschaft und Technik durch nichts mehr zu entschuldigenden Weltordnung abzuhelfen – darin besteht sein Aufruf, besteht seine werbende Kraft, und die uns entsetzende Kurzangebundenheit seiner Methoden kümmert die hungernden, ausgebeuteten und unterprivilegierten Massen der Erde keinen Deut. Solange die bürgerliche Welt der kommunistischen Verheißung nichts anderes entgegenzustellen hat als das untauglich gewordene Ideal des privatwirtschaftlichen Erwerbslebens, des Profits, der Konkurrenz und des Kampfes um den besten Platz, nichts anderes, als eine Politik, die sich in dem Betreiben erschöpft, dass in möglichst vielen Ländern der Erde free enterprise herrsche, solange wird es schlecht um unsere Aussichten stehen, den Kommunismus aus der Welt zu schaffen...

Vor der zügellosen Hysterie, in die ein  Wort- und Wut-Fetisch wie „Kommunismus“ heute die Menschen versetzt, ist mir schon oft ein Grauen angekommen. Wenn man vor zwanzig Jahren sagte und schrieb (wie ich es in einer oft gedruckten Goethe-Rede getan habe): „Die neue soziale Welt, die organisierte Einheits- und Planwelt, in der die Menschen von untermenschlichen, unnotwendigen, das Ehrgefühl der Vernunft verletzenden Leiden befreit sein wird, diese Welt wird kommen...wenn man das damals sagte und schrieb, so blieb man doch halbwegs ein Ehrenmann. Heute fällt bei ebensolchen Worten die gleichgeschaltete Wut aller kalten Krieger, zornrote Männer und keifende Weiber, über dich her und erklärt Mensch und Lebenswerk für ewig entehrt und abgetan.

Wer die Wahrheit für unamerikanisch hält, möge mich einen Verräter schelten. Ich bin der Meinung, dass das amerikanische Volk nicht nur verdient, sie zu hören, sondern dass es sie selber in tiefer Beunruhigung, voll ängstlicher Besorgnis, ob es nicht in ein Unglück geführt wird, ahnt und fühlt...

Foto:
Thomas Mann
© ETH Zürich