Drucken
Kategorie: Zeitgeschehen
Bildschirmfoto 2019 12 05 um 00.07.34Offener Brief einer  Hausfrau an Finanzminister Scholz

Adele Hübner-Neuwerk

Insel Neuwerk (Weltexpresso) - Sehr geehrter Herr Minister, jetzt ist der Kelch an Ihnen vorrübergegangen und mit der SPD können sich andere herumärgern. Sie haben den Kopf  wieder frei für unsere Finanzen, um die es ja nicht so schlecht steht. Da war es doch wirklich nicht nötig, einem kleinen Verein wie der VVN die Gemeinnützigkeit abzusprechen. Auf das bisschen Geld  sind Sie doch nicht angewiesen.

Dass das Berliner Finanzamt ausgerechnet Leute zur Kasse bittet, deren Eltern oder Großeltern gegen Hitler gekämpft haben, macht doch keinen guten Eindruck. Sie selbst mit Ihren 61 Jahren haben ja davon nichts mitbekommen. Dass angeblich nur Kommunisten  betroffen sind, stimmt ja  nicht. In der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes sind auch andere Menschen. Im „Weser-Kurier“ stand, dass die Bremer SPD-Landesvorsitzende Sascha Aulepp jetzt aus Protest Mitglied geworden ist.

Mein Schwager Friedhelm hat mir dieser Tage geschrieben, dass ihn das auch beschäftigt. Vielleicht interessiert es Sie, Herr Minister, was ihm so durch den Kopf geht. „Du weißt“, schrieb er mir,  „dass wir damals ziemlich besorgt waren, als unser Horst zu Veranstaltungen der VVN gegangen ist und sogar mit denen demonstriert hat. Es hieß damals, das ist ein ganz linker Verein, und die wollen nur den Kommunismus bei uns einführen. Inzwischen ist Horst ja ein ruhiger Finanzbeamter in Berlin geworden. Aber vielleicht ist er jetzt auch ein bisschen beunruhigt, dass in seiner Behörde solche Beschlüsse gefasst worden sind.“

„Ich muss sagen“, schreibt mein Schwager weiter, „ dass ich ziemlich durcheinander bin, wenn ich mir die ganze Sache überlege. Am 9. November und nach dem Anschlag von Halle haben gerade noch ganz viele Politiker gesagt: ‚Nie wieder!’ und gemeint, dass wir den Juden  eng zur Seite stehen sollen, und jetzt das. Ich hab mal nachgeguckt, wann ein Verein als gemeinnützig anerkannt werden kann. Da heißt es unter Punkt 10: Förderung der Hilfe für politisch, rassisch oder religiös Verfolgte, für Flüchtlinge, Vertriebene, Aussiedler, Spätaussiedler, Kriegsopfer, -hinterbliebene, -beschädigte und Kriegsgefangene, Zivilbeschädigte und Behinderte sowie Hilfe für Opfer von Straftaten sowie Förderung des Andenkens von Verfolgten, Kriegs- und Katastrophenopfern; Förderung des Suchdienstes für Vermisste.’ Das trifft doch für die VVN voll zu, oder? Unter Punkt 13 heißt es: ‚Förderung internationaler Gesinnung, der Toleranz auf allen Gebieten der Kultur und der Völkerverständigung.’ Das passt doch auch zur VVN, oder? Auch Punkt 22 „Förderung der Heimatpflege und Heimatkunde“ passt für mich auch irgendwie dazu.“

So weit der Brief meines Schwagers. Ich denke, dass Sie als Finanzminister das alles wissen. Es wäre schön, wenn Sie klar Schiff machten, damit so was nicht mehr passieren kann. Was nutzt es denn, wenn der Bundespräsident sagt, wir hätten zu lange gebraucht, den Widerstand  den Nationalsozialismus zu würdigen, wenn ihm ein Finanzamt dann so in den Rücken fällt. Kürzlich hat jemand noch etwas anderes angesprochen. Bei der Verleihung des Büchner-Preises sagte der Schweizer Schriftsteller und Dramatiker Lukas Bärfuss, wenn sich die Verbrechen der Vergangenheit nicht wiederholen sollten, müsste man sich erinnern. Die Nazis seien nicht plötzlich wieder da. Ihr Gedankengut und sie selbst seien überhaupt nie weg gewesen. Und jeder Demokrat, der darüber staune, sollte sich vielleicht fragen, warum er es vergessen habe und vor allem, wer uns all dies in Zukunft ins Gedächtnis rufen werde.

Dem kann ich nichts hinzufügen, sondern Sie nur bitten, Herr Minister, etwas zu tun, damit  Erinnern an die Vergangenheit nicht bestraft wird.

Ihre Ihnen stets gewogenen

Adele Hübner-Neuwerk.

Foto:
VVN-BdA erlebt Mitgliederboom: Alle gegen das Finanzamt 
© taz.de