kz de.wikipedia.orgWas einem anläßlich des erstmaligen Besuchs (?) Angela Merkels in Auschwitz durch den Kopf geht, Teil 2/3

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Es ist übrigens noch nachzutragen, daß die Schulleiterin, die spontan zugegeben hatte, von den Todeslagern zu wissen, anschließend zu Hause von der eigenen Familie in Acht und Bann gelegt wurde. Zwar hatten auch ihre Angehörigken „es „gewußt, aber daß eine aus der Familie das offen zugegeben hatte, wie gesagt Ende der 70er Jahre, das galt damals noch unsittlich unter denen, die eben mal Nazis gewesen waren und davon heute nichts mehr wissen wollten.

Und noch zwei Nachträge: Der Film ist im Hessischen Fernsehen gelaufen, auch darum wurde dieses „JA“ der Schulleiterin von den eigenen Leuten so angefeindet, weil es öffentlich wurde. Eigentlich könnte der hr diesen Film als Jubiläum 40 Jahre später noch einmal zeigen. Denn natürlich wurden auch den anderen Reiseteilnehmern Fragen gestellt, wobei vor allem die Tatsache, daß diejenigen, die am Abend zuvor im Hotel keine Aufnahmen wollten, nun hier in Auschwitz vor der Kamera bereitwillig Auskunft gaben über ihre Gefühle und andere Fragen, bemerkenswert ist. Und angesichts des Schocks, der keine Lügen zuläßt, auch verständlich.

Als Reiseleiterin hatte ich über einen anderen Aspekt nachzudenken, weil sich ein Phänomen jedes Mal , bei jeder Gruppe wiederholte. Daß so viele vorher schlecht geschlafen hatten, hatte ich erwähnt, aber noch nicht, daß die kurze Fahrt von Krakau nach Auschwitz jedesmal in Todesstille stattfand. Daß es aber nach dem Besuch und der Besichtigung des KZ beim Weiterfahren ein Geschnattere gab, ein Gelache und Gekichere. Bei der ersten Gruppe fand ich das noch despektierlich, aber da sich dieses Verhalten wiederholte, erkannte ich die psychoanalytische Funktion. Das Grauen, das einen in Auschwitz ergreift, ist tatsächlich so existentiell, daß man danach einfach als Reaktion, daß man selbst am Leben ist, albern werden muß. Es ist nur die Kehrseite dessen, daß man zutiefst erschüttert war. Und deshalb heißt es in der Überschrift, daß ein Besuch von Auschwitz gut tut. Er ist fürchterlich, aber notwendig.

Deshalb konnte ich nie verstehen, warum schon vor Jahrzehnten Diskussionen, ob man für Schüler Fahrten nach Auschwitz verbindlich machen sollte, hysterisch geführt und verneint wurde, daß nämlich eine Pflicht zum Besuch eher das Gegenteil, nämlich Abwehr erzeuge. Wer dies sagt, war nie dort. Denn ich hatte auch bei anderen Mitgliedern der Reisegruppen, die sich zuvor nicht begeistert zeigten, daß sich ihre schöne Polenfahrt durch den Besuch von Auschwitz so negativ anfühle, erlebt, wie sie nach dem Besuch des KZ nicht nur froh waren, dort gewesen zu sein, sondern übereinstimmend dies als das tiefste Erlebnis der ganzen Fahrt für sich erkannten.

Dem ist nichts hinzuzufügen.

Der erstmalige Besuch von Auschwitz der Bundeskanzlerin hat uns dazu gebracht, zu überlegen, was sich eigentlich in der alten und der neuen Bundesrepublik geändert hat an der Aufarbeitung der Naziverbrechen in deutschem Namen. Wer,wie ich, in der Zeit des Antikommunismus in Westdeutschland groß wurde, hatte sich damit auseinanderzusetzen, daß die nicht in Nürnberg oder anderen Prozessen verurteilten Nazis gleich wieder als Großkopferte öffentlich antraten. Da wurden zwar vielleicht einige Worte des Bedauerns geäußert, aber in der Regel wurde ge- und verschwiegen. Von den Tätern und NSDAP- oder SS-Mitgliedern genauso wie von Mitläufern. Daß die Wut und Kraft der Studentenbewegung auch daraus gespeist war - das gilt zumindest für Frankfurt - , daß die akademische Jugend vom Schweigen über die Verbrechen des Dritten Reiches und der Täter einfach genug hatte und von diesen Tätern Auskunft verlangte, vom Geschichtsunterricht Aufklärung über die Nazizeit etc. In Frankfurt war sicher durch das umsichtige und konsequent demokratische Handeln des vom hessischen Ministerpräsidenten August Zinn nach Hessen geholten Generalstaatsanwalts Fritz Bauer eine besondere Situation. Denn hier war die Jugend durch die Auschwitzprozesse seit 1963, die Schulklassen regelmäßig besuchten, sowieso sensibler geworden, auch aufgeklärter als sonstwo.

Zwar wäre es schon damals möglich gewesen, daß der Begriff AUSCHWITZ für das Ganze, für das System der Ermordung von Menschen, die der Naziherrschaft nicht paßten, hätte herhalten können. Aber so war es nicht. Es gab einzelne Versuche, die Aufklärung über die Untaten voranzubringen, und es gab in den Schulen fragende Schüler und auch hin und wieder offen agierende und die Fragen beantwortende Lehrer. Aber grundsätzlich, das kann man nicht oft genug wiederholen, blieb das Mördersystem des Nationalsozialismus etwas, über das lieber geschwiegen wurde.

Heute bin ich nachsichtiger als damals, aber nicht über das öffentliche Schweigen, sondern das Private in Familien. Aber auch nur leicht nachsichtiger. Olga Tokarczuk, die heute in Stockholm den Nobelpreis für Literatur für 2018 erhält, schreibt in ihrem aufregenden Roman UNRAST „Als wir im zweiten Jahr die Funktion von Schutzmechanismen behandelten und verwundert die Macht dieses Teils unserer Psyche erkannten, verstanden wir allmählich eines: Wenn wir keine Rationalisierung, Sublimierung, Verdrängung, keines dieser Kunststückchen hätten, derer wir uns bedienen, wenn wir ganz schutzlos, ehrlich und mutig die Welt betrachten würden – dann würde es uns das Herz brechen.“ (19)

Ja und Nein. Wie fatal es ist, wenn eine ganze Nation glaubt, bruchlos aus Diktatur und Unrecht in demokratische Verhältnisse zu stolpern, ohne das Gewesene aufzuarbeiten, erkennt man derzeit wieder einmal an Spanien, das geschichtslos Franco zu überleben glaubt. In Deutschland gab es zwar antifaschistische Organisationen und Veranstaltungen, es gab Wiedergutmachung und lokale Aufarbeitung, aber dies dümpelte vor sich hin, war gerade gut genug, um als Ehrenrettung zu gelten, damit nicht gesagt sein konnte, das eine System sei bruchlos in das andere übergegangen. Dazu hatte erneut Fritz Bauer, aber schon früher, nämlich 1952 als Generalstaatsanwalt von Braunschweig, das dortige Gericht im sogenannten Remerprozeß dahin gebracht, daß in der Urteilsbegründung und Verurteilung des Täters vom Dritten Reich als einem Unrechtsstaat gesprochen wurde.

Anlaß war, daß dieser Altnazi Remer die Widerstandskämpfer vom 14. Juli 1944 noch in den Fünfzigern wüst als Vaterlandsverräter beschimpft und verleumdet hatte. In einem Unrechtsstaat aber wird der aus der Antike als Heldentat überkommene Tyrannenmord nicht sanktioniert. Daß erst mit diesem Urteil die Witwen der Widerstandskämpfer eine Witwenrente erhielten, die die SS-Witwen durchgehend erhalten hatte, nur am Rande. Auch dieser Prozeß war einer der vielen Bausteine, aus denen sich die junge Bundesrepublik aus den überkommenen staatlichen und gesellschaftlichen Strukturen befreite. Nach und nach.

Fortsetzung folgt

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