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Kategorie: Zeitgeschehen
b zweimal lebenslanglichJens Söring, Zweimal lebenslänglich. Wie ich seit drei Jahrzehnten für meine Freiheit kämpfe,  Knaur Verlag, bald in Neuauflage

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Wenn wir nun auf das Buch, das Jens Söring selbst schrieb, aufmerksam machen und unsere damalige Rezension erneut veröffentlichen, dann ist der Hinweis wichtig, daß der Knaur Verlag eine überabeitete Fassung vorlegen wird, was schon wegen der überraschend dann doch 'gewährten' Haftentlassung nötig ist. Warum keine Begnadigung erfolgte, hat auch mit Haftansprüchen zu tun. Demnächst mehr, denn selbstverständlich besprechen wir die Neuauflage, sobald sie erscheint.

„Jeden Morgen, wenn ich die Augen aufschlage und die dicken Gitterstäbe vor meinem Fenster sehe, muss ich an den Abend denken, an dem mein Absturz begann." Jens Söring

In den Angaben über den Autor dieses Buches heißt es: „Jens Söring begann während seiner Haftzeit Bücher zu schreiben“ und unter dem Untertitel WIE ICH SEIT DREI JAHRZEHNTEN FÜR MEINE FREIHEIT KÄMPFE steht „Aus dem Englischen übersetzt von Ulrike Strerath-Bolz.“ Das wundert einen erstmal, aber der am 1. August 1966 - aha, dieses Jahr 50 Jahre - in Bangkok geborene Diplomatensohn, der in den USA aufwuchs, der schreibt nach 36 Jahren Haft in den USA auf Englisch, was einen nicht verwundern muß. Aber stutzen darf man schon.

In dieser Ausgabe hat die Regisseurin des Films über ihn, Karin Steinberger, das Vorwort geliefert zu einem Leben, das der Verurteilte als „eine Tür, ein Fenster, ein Metallschrank, ein Etagenbett, ein Waschbecken, eine Toilette, ein Stuhl, zwei Plastikboxen“ charakterisiert. Sie fragt sich und wir mit ihr, wie einer dort über 30 Jahre überleben kann und vermutet, daß seine Schuldlosigkeit der Schlüssel seiner nicht nachlassenden Energie sei, diese endlich beweisen zu können, nachdem er ja damals allerhand dazu beitrug, daß er überhaupt als schuldig angesehen wurde.

Frau Steinberger hatte ihn das erste Mal besucht, als er schon 20 Jahre abgesessen hatte, das war am 8. August 2006. Daß er so jung aussieht, liegt am nicht gelebten Leben, meint sie. Und dann kommt sie direkt darauf zu sprechen, was uns wunderte, nun aber den Hintergrund erhält: sein Deutsch. Das nämlich empfand sie als kurios gespreizt und oft mußte er nach Worten suchen. „Er entschuldigte sich für seine Sprache, er sei zwar Deutscher, aber er dürfe seit 1996 keine deutschen Zeitungen mehr lesen – aus Sicherheitsgründen.“ Ist das zu fassen? Die Bücher, die er in der Hand hielt, entpuppten sich als seine eigenen handgeschriebenen, denn Computer und Schreibmaschine sind ebenfalls nicht erlaubt. Das Schreiben hält ihn am Leben, empfindet er selbst.

Warum er sich überhaupt bei seiner Verhaftung als schuldig erklärt hatte, alles ohne Anwalt, begründet er heute damit, daß er die drohende Todesstrafe für seine sicher am Tod der Eltern schuldige Freundin, die erste und letzte, also einzige Frau mit der er je geschlafen hat, daß er die Todesstrafe habe abwehren wollen. Heute sieht er sich als größenwahnsinnig, denn er habe allen Ernstes geglaubt, durch ein Schuldeingeständnis in Deutschland eine Jugendstrafe zu erhalten und die angebetete Elizabeth damit retten zu können.

In Amerika wurde er dann zum 'german bastard'. Nicht sie, sondern er – von ihr zusätzlich belastet – war der Haupttäter, sie war 'nur' die Anstifterin. Was im Film eine Rolle spielt, das kommt auch hier zur Sprache, daß der die Verhandlung führende Richter ein Freund der getöteten Mutter war. Dieser ließ die Nacktfotos, die die Mutter von ihrer Tochter gemacht hatte, versiegeln und nicht dem Gericht vorlegen. Darauf gründet sich nämlich u.a. der Vorwurf des Mißbrauchs der Tochter durch die Mutter. Ganz und gar nichts für bürgerliche wohlanständige Ohren der gehobenen Gesellschaft, aus der die getöteten Haysoms stammten.

Söring schreibt seine 387 Seiten ohne Weinerlichkeit, aber es ist nicht immer leicht, den 21 Kapiteln zu folgen, weil er literarisch durchaus anspruchsvoll dennoch seinen Fall bis in alle Ästelchen verzweigt, was verständlich ist, aber manchmal möchte man das klarer strukturiert lesen.

Das liegt daran, daß man ja gar nicht allein sein Schicksal verfolgen möchte, sondern daß einem noch mehr daran liegt, wie dieses zu ändern ist. Ob ein Film so etwas erreichen kann? Ein Buch auf jeden Fall nicht, denn dieses ist seit 2011 fertiggeschrieben. Aber, noch mal, er zeigt sich als Schriftsteller, der seine eigene Geschichte nicht weinerlich, sondern mit gebotener Distanz erzählt, sich über seine eigene Naivität, ja Dummheit wundernd, mit der er den Stricken der Elizabeth Haysom ins Netz ging. Denn daß sie mit einem anderen den Mord begangen hatte, für den er nun büßt, das ist ihm klar.

Man versteht auch durchaus seine ritterlichen Motive, die ihn zu einem Schuldeingeständnis verführten, das ihm noch heute vorgehalten wird. Wer ist so dumm, etwas zu gestehen, was er nicht getan hat, wenn darauf lebenslanges Zuchthaus die Konsequenz ist – für ihn, denn eigentlich wäre hier die Todesstrafe fällig.

Der Film ist ja erst zeitlich nach dem Buch entstanden und bringt die Geschichte von Jens Söring und Elizabeth Haysom nach Daten und Ereignissen sortiert, die auch im Buch inhaltlich Leitlinie sind. Es beginnt mit dem August 1984 und der Universität von Virginia. Der Mord passiert am 1. März 1985, die Verhaftung in London 1986, die Auslieferung in die USA 1990, wo auch der Prozeß mit dem Urteil des zweimal lebenslänglich endet. Daß für Tage die Hoffnung auf Überstellung nach Deutschland Jens Söring aufleben ließ, ist 2010 als Chance sichtbar, was in endgültiger Vernichtung durch die Rücknahme  der ins Aussicht gestellten Befreiung und Überführung nach Deutschland und damit das Verbleiben in seinem Gefängnis in Virginia endet. Oder? Oder gibt es neue Chancen?

Auf jeden Fall weist ohne Aufdringlichkeit der Verfasser deutlich auf die neuen Beweise, wie keine einzige DNA von ihm am Tatort hin, die für ihn bedeuten, daß ihm nicht nur nicht nachzuweisen ist, daß er am Tatort war, sondern daß er bei soviel Spuren von anderen und keiner einzigen von ihm, sogar im Umkehrschluß dies als Beweis seiner Unschuld ansieht, der das Gericht endlich nachkommen muß.

Wir hatten schon bei der Filmbesprechung nach der Rolle des Auswärtigen Amtes und nach der der Deutschen Bundesregierung gefragt. Wenn nicht einmal ein Diplomatensohn im Ausland Schutze seines Vater- und Mutterlandes erhält, wie steht es dann erst bei uns x-beliebigen Deutschen um Hilfe im Ausland bei Notlagen.

Schon bisher lehrten uns die wenigen Unglücke im Ausland – Raub, Krankheit... - Furchtbares, wenn die deutschen Konsulate angesprochen waren. Die sind nur tagsüber besetzt und den Zugang hat man nur, wenn man einen Termin hat, den man natürlich nicht ausmachen konnte, bevor beispielsweise einem alle Sachen bei der Ankunft in Montevideo auf dem Flughafen geklaut worden sind. An einem Samstag, wo man ohne Geld und Papiere dann bis Montag warten soll. Das ist alles ein anderes Faß, das aufzumachen wohl endlich einmal nötig ist, bei der Arroganz, die deutsche Konsulate auch Deutschen gegenüber im Ausland aufbringen.

Man kann nur hoffen, daß der Film ein Fanal für die deutsche Regierung ist, deutlicher in den USA nachzufragen, was mit den neuen Beweisen ist und ein neues Verfahren in Gang zu setzen. Das Buch kann man empfehlen als Schilderung, wie man es im Leben auf jeden Fall nicht machen soll. NICHT ZU HOCH HINAUS, ES GEHT ÜBEL AUS.

Foto:
Cover

Info:
Jens Söring, Zweimal lebenslänglich. Wie ich seit drei Jahrzehnten für meine Freiheit kämpfe, Knaur Verlag 2012, vollständige Taschenbuchausgabe Oktober 2016

Film
Regie     Marcus Vetter
Kamera     Georg Zengerling
Schnitt     Marcus Vetter
Ton     Aljoscha Haupt
Musik     Jens Huerkamp

Darsteller    Jens Söring und Elizabeth Haysom mit den Stimmen von Imogen Poots und Daniel Brühl
Genre    Dokumentarfilm
FSK    12
Land    Deutschland
Jahr    2016
Verleih    farbfilm verleih
Webseite    http://das-versprechen.