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Kategorie: Zeitgeschehen
Bildschirmfoto 2019 12 18 um 03.28.25Zur Heimkehr des 53jährigen Deutschen Jens Söring, der mehr als die Häfte seines Lebens im US-Gefängnis saß

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Das war schon bewegend, als Jens Söring um 13.15 Uhr im Frankfurter Airport Center inmitten seiner Unterstützer und einem massenhaften Aufgebot von Kameras und schreibender Zunft, von seinen ihn überwältigenden Gefühlen sprach, endlich wieder frei und zu Hause in Deutschland zu sein.

Bildschirmfoto 2019 12 18 um 03.29.35"Das ist der schönste Tag meines Lebens", freute er sich und auch: "Ich bin so froh und dankbar." Er sprach auch davon, daß er dies ohne seine Freunde und Unterstützer nicht geschafft hätte, die ihn mit Jubel und Applaus sowie Umarmungen begrüßt hatten. In der auf einige Minuten angesetzten Pressekonferenz machte er einen ruhigen und souveränen Eindruck, was ja angesichts der Ereignisse und der nach 33 Jahren Inhaftierung – übrigens unter üblen Bedingungen, das ein andermal – plötzlichen Freiheit ungewöhnlich ist. . "Ich muss hier psychologisch und emotional ankommen in Deutschland. Ich habe dieses Land drei Jahrzehnte nicht mehr gesehen“.

Tatsächlich ist er mit 18 Jahren aus Deutschland zwecks Studium in die USA eingereist, die er durch den Beruf seines Vaters, eines Berufsdiplomaten, schon kannte. Mit 53 Jahren ist er nun aus den USA nach Deutschland heimgekehrt. Das muß man sich einmal vorstellen, jeder von uns Älteren kann sich zurückversetzen in das Jahr 1986, als Söring verhaftet wurde. Das war das friedliche Westdeutschland, das die Folgen der Naziherrschaft und des 2. Weltkrieges zugunsten von Wohlstand bis dahin ganz gut verdrängt hatte. Allein dies, wie Deutsche heute mit Hitler und Auschwitz als Synonym für die Ermordung von Millionen in KZs umgehen, zeigt ein anderes Land. Aber Bildschirmfoto 2019 12 18 um 03.28.49andererseits waren auch unverhohlener Fremdenhaß und Ausländerfeindlichkeit damals nicht Alltag. Das geteilte Deutschland mit einer Mauer nach drüben war einfach ein anderes Land. Denn‚ 'ein anderes Land‘ gilt nicht nur vordergründig für Internet und Handy, weil man Veränderungen gerne an technischen Fortschritten festmacht und damit technisch bleibt, den Umgang mit Technischem aber kann man schnell lernen. Wir stellen uns vor, daß  jemanden, der 35 Jahre weg war,  die Veränderungen im Lebensgefühl der Deutschen und das Verhalten der Menschen gegeneinander sehr viel eher irrititieren. Und wir stellen uns vor, wie das ist, wenn man 33 Jahre eingesperrt war, durch einen Wald zu laufen, am Strand zu sein, auf einem Berg zu stehen und über die Welt zu schauen. Das alles sind andereseits nur Hilfskonstruktionen, denn tief im Inneren können wir uns nicht vorstellen, 33 Jahr abgesondert von der Welt gelebt zu haben. Das kann ebenfalls jeder im Alter des Jens Söring und darüberhinaus sich selbst fragen, was mit ihm wäre, hätte er nicht die letzten 33 Jahre so gelebt wie er gelebt hat, sondern wäre aus der Welt gewesen. 

Auf jeden Fall ist allein diese Frage eine, die zeigt, warum auch Weltexpresso über die Aktualität, über das Sensationelle hinaus, an der Rückkehr des Jens Söring Interesse zeigt, was andauern wird. Auf der Pressekonferenz erklärte dieser, daß er die nächsten vier Wochen nicht ansprechbar ist. Darauf bezogen sich seine Sätze, daß er erst einmal 'ankommen' müsse. Eine sehr vernünftige Haltung, von der man hofft, daß er sie durchhält und er nicht durch Prämien von auflagenstarken Zeitungen oder finanzstarken Fernsehsendern bestochen wird und frühzeitiger Interviews gibt. Auch wenn man dies unter finanziellem Aspekt verstehen könnte, denn er kommt ja mittellos zurück, was nicht nur für seine aktuelle Situation gilt, sondern auch zukünftig, was seine nicht vorhandene Rente angeht. Das nur am Rande. Deshalb hat sein Unterstüzterkreis ihm eine Wohnung besorgt, Kleidung gekauft, denn er kam erst einmal nur in Gefängniskleidung frei. Davon wird man nach den vier Wochen auf jeden Fall mehr hören.

Bildschirmfoto 2019 12 18 um 03.29.16Wie man aus Sörings Freundeskreis schon zuvor erfahren hatte, konnte man mit ihm telefonieren, schreiben sowieso und er hat in der Haft - es hieß: keine Einzelhaft - mehrere Bücher verfaßt, von denen wir eins, zu seinem eigenen Fall, besprochen hatten, das nun überarbeitet neu erscheint. Wenn man die Freude seiner Unterstützer und natürlich seine eigene miterlebte, und wenn man seine Geschichte – verurteilt wegen Doppelmords an den Eltern seiner Freundin Nancy Haysom und Haft in Bedfort County im Bundesstaat Virginia – gut kennt, hat man sicher ein anderes Verhältnis zu Jens Söring, als wenn man nichts oder kaum etwas darüber weiß. Denn ist man kundig, dann fallen einem die Ungereimtheiten im Gerichtsverfahren sofort auf, die natürlich auch die eigene Einschätzung der Tat und der Täter beeinflußt. Und weshalb man Jens Söring einfach für zu Unrecht eingesperrt halten mußte. Wie schwierig aber die Fragen von Schuld und Unschuld doch liegen, ist uns am gestrigen Tag mehrfach begegnet.

Als wir von der mittäglichen Pressekonferenz zwei älteren Frauen berichteten, wußten die erstmals nichts mit dem Namen Jens Söring anzufangen, wußten aber nach 2-3 Stichworten sofort Bescheid und verhielten sich mehr als distanziert. Nein, damit wollen sie nichts zu tun Bildschirmfoto 2019 12 18 um 03.29.49haben. Die eine beschäftigt sich sowieso nur noch mit dem  Schönen des Lebens, die andere findet das Verhalten des jungen Söring mit seinem Geständnis so entscheidend, daß sie nicht an seine Unschuld glaubt. Ähnlich verhielten sich dann die Fernsehberichte. Im ZDF wurde auf diesen Punkt, daß seine Unschuld nicht bewiesen ist, extra hingewiesen. Dort gab es die deutlich kritischste Wortwahl. Die ARD dagegen  zeigte den längeren Bericht, der insbesondere die Unterstützer vorstellte und in Interviews einband. Den längsten Bericht brachte dann um Mitternacht RTL, der Sender, der als erste Fernsehanstalt die US-Vorgänge der letzten Tage zum Thema gemacht hatte, kein Wunder, da gab es Verabredungen, weshalb der Sender so gut informiert war und auch RTL-Reporter in der Maschine nach Frankfurt saßen. Es soll übrigens auch Medien geben, die, nachdem bekannt war, daß Söring am Dienstag in Frankfurt landet, für jede Maschine zum Frankfurter Flughafen Plätze gebucht hatten. Daß Jens Söring mit einer normalen Linienmaschine kommt, hat sowieso viele überrascht. Dabei gibt es bei Ausweisungen eine solche Praxis auch in Deutschland.

Es wird auch Jens Söring klar sein, daß er nicht für alle der Unschuldsengel ist, als der er für uns so rüberkommt. Daß es aber noch eine völlig andere Sicht auf ihn gibt, in der Schuld und Unschuld, die uns, seit wir den Fall kannten, umhertreiben, keine Rolle spielen, das war ein Aha-Erlebnis auf der Pressekonferenz. Denn für manchen ist mit der Person Jens Söring und seinem Schicksal der Begriff der Vergebung gegeben, richtig, im christlichen Sinne, daß jemand, der gebüßt hat, auch ein Recht auf ein Weiterleben in Freiheit hat. Wir geben zu, für uns etwas schwierig, weshalb wir lieber bei unseren rationalen Gründen für seine Unschuld bleiben, die aber, das gilt natürlich bei jeglicher Unschuldsvermutung, immer das Körnchen 'Fragezeichen?' enthalten, denn wir waren nicht dabei. Von daher ist es so, daß wir die angesprochene Haltung von Vergebung viel 'eleganter' finden, auch wenn wir sie nicht teilen können. 

Bildschirmfoto 2019 12 18 um 11.32.24Bleibt ein Letztes. Ein Wermutstropfen für uns. Bei den Meldungen aus Amerika erfuhr man auch, daß gleichzeitig mit Jens Söring, die zu 90 Jahren Haft verurteilte damalige Freundin, deren Schuld am Tod der eigenen Eltern eindeutig nachgewiesen worden war, ebenfalls freikam und nach Kanada abgeschoben wurde. Da fragen wir uns sofort, ist denn der ganze Aufwand, den der Unterstützerkreis seit Jahren geleistet hat, einschließlich des Dokumentarfilms und der Buchveröffentlichungen, einschließlich der in letzter Zeit sichtbaren Anstrengungen der Bundesregierung in Person von Peter Beyer auf Freilassung zu dringen, gar nicht die Ursache für die Abschiebung nach Deutschland? In Virginia wurden die Abschiebungen, die mit einem lebenslangen Verbot der Wiedereinreise in die USA gekoppelt sind - sicher die leichteste Übung - , damit begründet, daß die beiden Verurteilten den Staat und damit die Bürger Virginias kein Geld mehr kosten sollten. Natürlich hätte man lieber das Gefühl, daß der Kampf - ja, für die Unterstützer war es ein Kampf und für den Betroffenen auch - um die Freilassung auch die Ursache der Rückkehr in Freiheit sei. Aber das wird man nie klären können, ob der angesprochene Aufwand, der ja für die politisch Verantwortlichen in Virginia wie eine lästige Laus im Pelz saß, nicht doch diese Entscheidung herbeiführte, die dann ungewollt, auch die Täterin betraf. Aber genau an dieser Frage sieht man den Unterschied, zu der obigen Haltung der Vergebung. Denn für diese Menschen gilt dann unter Bezug auf das Christentum auch die Vergebung für die Täterin, was wir nicht teilen können. 

Aber auch wenn die ganze Unterstützung nichts mit der Freilassung zu tun hätte, hat sie doch alles mit dem Selbstwertgefühl des Jens Söring zu tun. Denn für sein emotionales und intellektuelles Weiterleben im Gefängnis war dies sicher konstitutiv, wie intensiv sein Leben von einigen Personen begleitet wurde. Das gilt aber auch für ihn selber, der fähig war, unter solchen Umständen nicht aufzugeben, sondern sich frei zu denken und zu schreiben. 

Man sieht, wie einen dieser Fall beschäftigen kann, der ja Fragen aufwirft, die über die Person Jens Söring hinausgehen. Deshalb werden wir nach den vier Wochen Schweigen darauf zurückkommen und weiterberichten sowie die Neuauflage seines Buches besprechen. 

Fotos:
© Redaktion


Info:
Hier der Wortlaut der Stellungnahme von Jens Söring direkt nach der Ankunft am Frankfurter Flughafen: 
„Vielen herzlichen Dank, lieber Peter Beyer, liebe Freunde, liebe Medienvertreter.
ich freue mich sehr, dass Sie gekommen sind, um mich in Deutschland in Empfang zu nehmen. Und auch allen anderen meinen tiefsten Dank für diese tolle Begrüßung.
Damit habe ich ganz bestimmt nicht gerechnet. Das tut gut.
Seit 33 Jahren wünsche ich mir nichts mehr, als nach Deutschland zu kommen und nun stehe ich plötzlich hier - das ist absolut überwältigend.
Ich bedanke mich bei den Menschen, die das möglich gemacht haben: den unzähligen Unterstützern und Freunden, die in den drei Jahrzehnten zu mir gestanden haben und mir unermüdlich geholfen haben. Ohne Euch wären gerade die letzten Wochen nicht möglich gewesen. Ohne Euch würde ich hier heute nicht stehen.

Liebe Journalisten, ich freue mich sehr über das große Interesse an meiner Geschichte, und ganz sicher werde ich dazu im Laufe der Zeit Ihre Fragen beantworten. Aber mein neues Leben in Freiheit, das muss ich jetzt selbst erst einmal kennenlernen. Bitte gönnen Sie mir ein wenig Ruhe, das zu tun. Ich danke Ihnen für Ihre Geduld.

Über die Feiertage werde ich Zeit mit meinen Freunden verbringen. Und dann werde ich langsam entscheiden, wo und wie ich mir ein neues Leben aufbaue. Ich hoffe, Sie haben Verständnis dafür, dass ich mich zunächst zurückziehe, das wäre für mich eine große Hilfe.
Ihnen allen, und besonders Euch, liebe Freunde, nochmal vielen Dank für diese unglaubliche Begrüßung und Frohe Weihnachten!“