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Kategorie: Zeitgeschehen
Bildschirmfoto 2019 12 21 um 00.42.03Zu den Wiederholungswahlen in Israel

Jacques Ungar

Tel Aviv (Weltexpresso) - In Israel wird im Vorfeld der erneuten Wahlen im März 2020 eifrig spekuliert, ein Interesse an den vorgezogenen Wahlen haben aber wohl vor allem jene Politiker, die ihre Macht erhalten möchten.

Eine klare Mehrheit der israelischen Bevölkerung kritisiert die geplanten Knessetwahlen vom 2. März 2020 (der dritte Urnengang in weniger als einem Jahr) als ein unnötiges, kostspieliges politisches Schattenboxen mit noch völlig unsicherem Ausgang. Eigentlich sind es nur die engsten Gesinnungsfreunde der das Jerusalemer Politgeschehen dominierenden Szene, die den kommenden Wahlgang befürworten. Dies aber hat wiederum nichts mit der (sicherlich berechtigten) Sorge um die politische Gesundung des israelischen Staates zu tun. Vielmehr geht es den Anhängern des Wahlprojekts des 2. März effektiv nur um eines: um das politische Überleben prominenter Persönlichkeiten und deren Familien. Sie haben eines gemeinsam: ie Verwicklung in mehr oder minder schwerwiegende, von Richtern und Staatsanwälten in jahrelanger Arbeit vorbereitete Anklagen wegen mehr oder minder schwerwiegenden kriminellen Vergehen bis hin zur aktiven oder passiven Bestechung.

An dieser Stelle erübrigt es sich, erneut auf die betroffenen Personen konkret einzugehen. Ihre Identitäten sind ebenso bekannt wie die ihnen zur Last gelegten Gesetzesübertretungen. Es werden sich in den kommenden Monaten und Jahren noch genug Gelegenheiten bieten, auf das Geschehene und die dafür verantwortlichen Gruppen oder Einzelpersonen näher einzugehen.

Rückschlag für Likud
Auch in Israel ist aber nichts absolut. So gibt es sicher mindestens eine Berufsgattung, die sich nicht beteiligt am allgemeinen Wehklagen über die bevorstehenden Wahlen: Die Meinungsforscher frohlocken nämlich darüber, dass sich die intensive Zeit ihrer Beschäftigung bis März 2020 ausgedehnt hat. Kein Tag vergeht, an dem nicht Print- oder elektronische Medien mit neuesten Erkenntnissen oder zumindest Spekulationen darüber aufwarten, wie die Stimme des Volkes denn nun tatsächlich zu interpretieren sei. Alles in allem bewegen sich die Resultate zwar in bekannten Bahnen, doch immer wieder gibt es Erhebungen, die aufhorchen lassen. Das gilt etwa für die TV-Umfrage vom Wochenbeginn, die über einen Rückstand von Netanyahus Likud um vier Sitze gegenüber Blauweiss-Chef Benny Gantz berichtete (31:35). Würde Ne­tanyahus Hauptrivale Gideon Saar den Likud übernehmen, müsste die Partei sich sogar mit nur 27 Mandaten zufriedengeben. Hinter den beiden zentralen Parteien bleibt vieles beim Alten, und Avigdor Lieberman (Israel Beiteinu) könnte mit sieben bis acht Sitzen damit rechnen, auch nach dem 2. März die Rolle des parlamentarischen Königsmachers zu bekleiden. Der Mitte-links-Block würde laut dieser Umfrage auf 59 Sitze kommen, der rechtsgerichtete orthodoxe Block käme auf 53. Irgendwo dazwischen würde dann Lieberman liegen. Da nach wie vor keine der etablierten Parteien gewillt zu sein scheint, die Gemeinsame arabische Liste mit ihren 13 Mandaten zur Partnerin zu machen, kann vorerst wenigstens noch niemand sagen, wie sich nach dem 2. März eine tragfähige Regierungskoalition heranbilden sollte. Müssen wir uns mit dem guten alten Wilhelm Busch bescheiden, nach dem sowieso erstens alles anders kommt und zweitens als man denkt? Das wäre doch ein zu billiger und vor allem zu spekulativer Trost.

Pläne für Jerusalem
Irgendwann wird die israelische Regierungsbildung ja aus den Schlagzeilen in- und ausserhalb Israels verschwinden müssen, denn letztlich stellt das krampfhafte Verweilen auf diesem Thema nichts anderes dar als eine Ausrede für den Unwillen, sich endlich entschlossen mit den wirklichen Problemen der Region zu befassen. Erste Andeutungen für eine sich anbahnende Themenverschiebung finden sich dieser Tage in einem von der libanesischen TV-Station al-Mayadeen (mit engen Verbindungen zur Hizbollah) veröffentlichten Entwurf für die Fortentwicklung von Präsident Donald Trumps «Jahrhundert-Deal» für den Nahen Osten. Demzufolge würde Jerusalem ungeteilt und vorwiegend unter israelischer Kontrolle bleiben. Gewisse Verantwortungsbereiche würden an einen Palästinenserstaat gehen, so auch die Westbank und der Gazastreifen. Gemäss dem TV-Bericht würde ein trilaterales Friedensabkommen zwischen palästinensischer Behörde, Hamas und Israel ausgehandelt. Ein «neuer Palästinenserstaat» mit der Westbank und dem Gazastreifen würde entstehen.

Gemeinsamer Sprung ins kalte Wasser
Ausgeschlossen wären die Siedlungsblöcke, die bei Israel bleiben würden. Die Jerusalemer Stadtverwaltung wäre verantwortlich für die ganze Stadt, doch der Palästinenserstaat wäre zuständig für die Erziehung und würde der israelischen Stadtverwaltung Steuern und Gebühren zahlen. Juden wäre es nicht gestattet, arabische Häuser zu kaufen, Araber dürften keine jüdischen Liegenschaften erwerben, und es würden keine weiteren Territorien zu Jerusalem annektiert werden. Laut dem Bericht schliesslich würden heilige Stätten in Jerusalem so bleiben, wie sie heute sind. Zwischen Gaza und der Westbank würden gemäss Entwurf eine Wasser-Pipeline und eine Autobahn entstehen. Konkrete Vorstellungen hat al-Mayadeen in finanzieller Hinsicht: «Im Laufe von fünf Jahren würden 30 Milliarden Dollar für Projekte für den neuen Palästinenserstaat aufgebracht werden.»

20 Prozent davon würden von den USA kommen, 10 Prozent von der EU, und 70 Prozent von Golfstaaten. Israel und der neue Palästinenserstaat würden ein Abkommen unterzeichnen, dem zufolge Israel den Palästinenserstaat vor «externen Aggressionen» schützen wird. Hier drängt sich ein Zwischenhalt auf. Das Gelesene tönt so perfekt, dass wir beinahe vergessen, dass erst vor etwas mehr als einer Woche die vorläufig letzten Raketen aus dem Gazastreifen in Richtung Israel geflogen kamen. Irgendwann aber muss dieser Zwischenhalt einem Dauerzustand weichen, und dann müssen Palästinenser und Israeli gemeinsam ins kalte Wasser springen – vorausgesetzt, bis dann gibt es bereits oder noch immer eine verhandlungsfähige und -bereite israelische Regierung.

Foto:
Die vorgezogenen Neuwahlen in Israel sollen bereits am 
2. März 2020 stattfinden
© tachles