Bildschirmfoto 2020 01 31 um 13.06.27US-Präsident Donald Trump stellt im Weissen Haus seinen Nahost-Plan vor, der israelische Ministerpräsident Binyamin Netanyahu...

Jacques Ungar
 
Washington (Weltexpresso) - Ein fast beleidigter Binyamin Netanyahu trat in Washington auf, der zusammen mit Blauweiss-Chef Benny Gantz von Präsident Trump in die US-Hauptstadt zitiert wurde, um offiziell den Inhalt des «Jahrhundert-Deals» zur Kenntnis zu nehmen.

Ähnlich dem bekannten roten Faden zieht sich folgendes Geschehen unverkennbar durch den israelischen Alltag der letzten Wochen: Der schon fast krankhafte Drang des israelischen Regierungschefs Binyamin Netanyahu, sich bei allen öffentlichen Veranstaltungen in den Mittelpunkt zu setzen – egal, ob er darum gebeten wird oder nicht.

Gleich drei Ereignisse der letzten Woche prägten sich den Israeli tief ein: Sowohl an der Auschwitz-Gedenkfeier in Jerusalem als auch während der Pressekonferenz auf dem Rasen des Weissen Hauses machte Premier Netan­yahu klar, wer der wirkliche Herr des Geschehens ist, wer sagt, wo es effektiv durchgeht. An der Auschwitz-Feier ergriff er in seiner Ansprache ungefragt das vokale Szepter und konzentrierte sich eigentlich nur auf das eine Thema, das ihm schon seit Jahren am nächsten liegt: auf Iran, den schlimmsten aller Feinde des jüdischen Staates. Dessen Vernichtung sei Teheran ein Herzensanliegen, ebenso wie für Israel die kompromisslose Bekämpfung dieses Anliegens eine unabdingbare Voraussetzung darstelle.

Verzweifelt um das Wort gebeten

Noch drastischer präsentierte sich der Regierungschef in Washington, wohin er und Blauweiss-Chef Gantz von Präsident Trump zitiert worden waren, um offiziell den Inhalt des «Jahrhundert-Deals», des Nahost-Friedensplans der US-Administration, zur Kenntnis zu nehmen. Eine Frage um die andere hatten die Journalisten gestellt, doch statt sie an Netanyahu zu richten, gingen sie ausnahmsweise alle an Trump. Langsam sah der Premierminister seine PR-Felle davonschwimmen, doch das wollte er keinesfalls kommentarlos hinnehmen: «Darf ich jetzt auch mal das Wort ergreifen?», fragte der bis dahin weitgehend schnöde übergangene Netan­yahu dreist mitten in das bereits hektisch hin und her wiegende Frage-und-Antwort-Spiel hinein.

Und ohne die Einwilligung des Hausherrn abzuwarten, legte er auch gleich los. Nach einigen kurzen Dankesworten an die Adresse des US-Präsidenten für den herzlichen Empfang in Washington, wie für gute Freunde typisch sei, kam Netanyahu rasch zu seinem eigentlichen Anliegen: Iran, das «antisemitischste aller Regime auf dem Planeten». In immer eindringlicheren Worten erinnerte Netan­yahu den sichtlich verlegen neben ihm stehenden amerikanischen Präsidenten sinngemäss daran, dass er ja selbst seit Jahren schon die gleiche Ansicht vertrete. Das mag vielleicht stimmen, doch Trump liess sich die Show nur höchst ungern stehlen. Auch nicht von seinem Freund Netanyahu. So benutzte er eine kurze Verschnaufpause des Gastes aus Jerusalem, um seiner Verwunderung ob des sich zusehends in die Länge ziehenden Wahlzirkus der Israeli Luft zu machen.

Erst nach Trumps schon fast ungeduldigem Zwischenruf, das seien schon merkwürdige Wahl-Sitten, wurde auch Netanyahu langsam klar, dass er drauf und dran war, den Sympathie-Kredit schon in den ersten Minuten seines Treffens mit dem US-Präsidenten (insgesamt war es das neunte Treffen) allzu nonchalant aufs Spiel zu setzen. Also begab man sich in die Gesprächszimmer, wo dem Vernehmen nach Iran wieder das zentrale Thema bildete. Und später wiederholten Bild und Ton erneut, dass Präsident Trump seinem Gast Netanyahu mit dem Beispiel der Überschwänglichkeit bei Weitem vorausging. Netanyahu liess sich anschliessend auf den Wogen des erhofften Erfolgs der beiden sich in innenpolitisch höchst unangenehmen Situationen befindlichen Staatsmännern forttragen.


Eine bittere Pille für die Palästinenser

Der Trump-Plan, oder der Jahrhundert-Deal wie der Volksmund das Vertragswerk in einem Ausdruck der hoffnungsvollen Bewunderung oder des spöttischen Gelächters nennt, drängte sich im Verlaufe der Berichtswoche immer mehr in den Vordergrund als das­jenige Dokument, das die politische Zukunft Israels stärker beeinflussen wird, als dies bis vor Kurzem noch zu glauben war. Die Vertreter der Siedlerbewegung, die zeitgleich mit Premier Netanyahu in den USA weilten, haben beschlossen, den Plan abzulehnen, da er nach Verhandlungen die Gründung eines palästinensischen Staates beinhaltet.

Zur Entstehung eines «Terrorstaates» aber können oder wollen die Siedler keine Hand bieten. Partiell angenommen hat Verteidigungsminister Naftali Bennett Netanyahus Ideen «Ja zur Annektierung von 30 Prozent der Westbank, Nein zu einem Palästinenserstaat», konkret also eine Pseudo-Annahme. Aus israelischer Sicht wohl der wertvollste Teil des Trump-Plans sind die Versicherungen, dass weder Israeli noch Palästinenser aus ihren heutigen Wohnungen vertrieben werden würden, dass die USA ihr Veto im Sicherheitsrat gegen ­anti­israelische Resolutionen aussprechen würden und dass Israel schon in wenigen Tagen mit dem Segen Washingtons die Souveränität über das ganze Jordantal (Netanyahu dazu: «Unsere neue ­Ostgrenze für unsere Sicherheit»), den Nordteil des Toten Meeres und über 150 Westbank-Siedlungen verhängen wird. In den Siedlungen wird Israel ab sofort uneingeschränkt bauen dürfen, doch neue Siedlungen sind zumindest für die nächsten vier Jahre nicht vorgesehen.

Zum «historischen Tag» von Washington fanden sich auch die Botschafter Omans, der Vereinigten Arabischen Emirate und Bahrains im Weis­sen Haus ein, während die Vertreter Saudi-Arabiens, Ägyptens, Jordaniens und auch der Palästinenser fehlten. Beinahe wäre man versucht, von einer rauschenden Hochzeitsfeier zu sprechen, an der allerdings die Braut durch Abwesenheit glänzte. In der Westbank und im Gazastreifen wird man sich in den kommenden Tagen und Wochen zunächst emotional abreagieren müssen, bevor man sich vielleicht voller Misstrauen an den verhassten Plan machen will, der kein Recht der Palästinenser auf Rückkehr kennt, dafür aber von einem «territorialen Zusammenhang des neuen Palästinenser-Staates» spricht, für den Ostjerusalem die Hauptstadt sein soll, sowie von einem Tunnel zwischen Westbank und Gazastreifen. Ob sich wohl mutige und weitsichtige Palästinenser finden lassen werden, die die bittere Pillen zu schlucken bereit sind, wie das «ungeteilte Jerusalem in israelischer Hand» und die gewillt sind, Trumps Versicherung zu glauben, dass die palästinensische Jugend ein viel besseres Leben verdiene, oder Netanyahus Worten, denen zufolge Israel wünscht, dass die Palästinenser ihre «nationale Würde» erhalten? Spontan wäre man geneigt, diese Fragen mit Nein zu beantworten. Andererseits ist seit David Ben Gurion bekanntlich nur jener kein Realist, der nicht an Wunder glaubt.

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Ein lange erwarteter Moment: US-Präsident Donald Trump stellt im Weissen Haus seinen Nahost-Plan vor, der israelische Ministerpräsident Binyamin Netanyahu steht in Trumps Schatten und ringt um.
©tachles

Info:
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 31. Januar 2020