kpm Big Brother ist watching you IIWas auf den Putschversuch der AfD-Bande folgen könnte

Klaus Philipp Mertens

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Das erste bundespolitische Opfer des Versuchs braun-schwarzer Machterschleichung ist Annegret Kramp-Karrenbauer.

Fünf Tage nach dem Desaster in Thüringen kündigt sie ihren Rücktritt als Parteivorsitzende bis zum Sommer und den Verzicht auf die Kanzlerkandidatur an. Die Richtungskämpfe im thüringischen Landesverband der CDU dürften dafür nur die vordergründige Ursache sein. Denn in der gesamten einstigen „Blockpartei“ CDU, die der SED in Vasallentreue ergeben war und dafür mit Posten und Pöstchen beschenkt wurde, gärt es. Statt eines demokratischen Bewusstseins entwickelte sich in 30 Jahren eine besondere Betroffenheitskultur. Vielfach fühlt man sich als widerrechtlich enterbt, um den Lohn jahrelanger Arbeit betrogen, von der künftigen digitalen Wirtschaft abgeschnitten, und benennt deutlich die dafür angeblich Verantwortlichen: Westdeutsche, Flüchtlinge und Zuwanderer, Muslime, Homosexuelle sowie die Medien. Und ähnlich wie die Brüder und Schwestern im Geiste bei der AfD erhofft sich der rechte CDU-Flügel von einem „identitären“ Blut-und-Boden-Staat das gesellschaftliche Heil.

Der Fraktionsvorsitzende der CDU im thüringischen Landtag, Mike Mohring, der ebenfalls seinen baldigen Rücktritt angekündigt hat, ist der typische Vertreter eines politischen Slaloms zwischen modernem und reaktionärem Konservatismus. Der aus dem Neuen Forum hervorgegangene Nachwuchspolitiker verstand sich unmittelbar nach der Wende als modern und pragmatisch. Im Jahr 2010 sprach er sich dann für einen betont konservativen Kurs seiner Partei aus und orientierte sich an dem hessischen CDU-Politiker Christean Wagner, einem energischen Befürworter eines „zurück zu den christlich-sozialen, wirtschaftsliberalen und wertkonservativen“ Wurzeln.

Dass solche Formeln auf die Quadratur des Kreises hinauslaufen, ist ihren Protagonisten durchaus klar. Doch sie kaschieren ihren Marsch nach Vorgestern gern mit verharmlosenden Umschreibungen. 2017 warnte Mohring jedoch vor einem Rechtsruck in der Union. Vor der thüringischen Landtagswahl im Oktober 2019 schloss er Koalitionen sowohl mit der AfD als auch mit der Linkspartei definitiv aus. Denn die CDU habe es in Thüringen bei Björn Höcke und seinem „Flügel“ mit einem besonders extremen Teil der AfD zu tun. Wenige Tage vor der Wahl bezeichnete Mohring den nicht anwesenden Höcke in einer von der taz organisierten Podiumsdiskussion als „Nazi“. Nach der Landtagswahl unterstrich er noch einmal die von ihm genannten Grenzen einer Zusammenarbeit mit Linken und Rechten, zeigte sich aber auch offen für ein Kooperationsmodell mit Rot-Rot-Grün unterhalb einer Koalitionsschwelle. Warum er bei der Wahl des Ministerpräsidenten am 5. Februar seiner Fraktion freie Bahn gab für das Votum zu Gunsten des FDP-Kandidaten Thomas Kemmerich, ist nicht nachvollziehbar. CDU und FDP hätten wissen können und müssen, dass Kemmerich nur mit Unterstützung durch die AfD erfolgreich sein würde. Sämtliche Unvereinbarkeitsbeschlüsse waren damit nur noch ein dummes Geschwätz von gestern. Und ein Indiz dafür, dass die CDU in Thüringen, aber möglicherweise auch in anderen Bundesländern, auf dem Weg nach rechts ist. Und hierin liegt der Hauptgrund für die Demission der Vorsitzenden Kramp-Karrenbauer.

Für letztere Annahme spricht die Rolle der so genannten „WerteUnion“. Dieser eingetragene Verein, der 2017 gegründet wurde, setzt sich aus Mitgliedern von CDU und CSU zusammen. Er besitzt nicht den Status einer offiziellen Parteigliederung. Aber er meldete sich beispielsweise mit einem „Konservativen Manifest“ zu Wort, in dem ein Richtungswechsel von CDU/CSU nach rechts gefordert wird. Bei der Wahl einer/s neuen CDU-Bundesvorsitzenden unterstützte er Friedrich Merz. Der WerteUnion nahe stehen die „Aktion Linkstrend stoppen“ und die Abtreibungsgegner „Christdemokraten für das Leben“. Während sich die Gruppe vehement gegen Asyl und Zuwanderung ausspricht, sind von ihr keine Forderungen sozialpolitischer Art bekannt – ganz im Gegensatz zum Grundsatzprogramm von CDU und CSU. Hingegen dominieren Schuldenabbau, Steuersenkung und Reduzierung von Sozialabgaben die politische Agenda. Im Hintergrund wird an jeder Stelle die Gefahr von Stalinismus, Kommunismus und Sozialismus beschworen. Und wie nicht anders zu erwarten, gibt es einen Schulterschluss mit den Klimawandelleugnern der Neuen Rechten. Der Vorsitzende der WerteUnion, Alexander Mitsch, offenbart sich regelmäßig als anti-ökologischer Fanatiker, der sich sogar für längere Laufzeiten von Atomkraftwerken ausspricht.

Dem Vorstand des Vereins gehört neben dem erwähnten Alexander Mitsch u.a. auch der Rechtsanwalt Ralf Höcker als Pressesprecher an, der ebenfalls CDU-Mitglied ist. Die Kanzlei Höcker ist in der Medienlandschaft bekannt für Abmahnungen gegen kritische Publikationen, beispielsweise gegen das Antifa-Magazin „Der rechte Rand“. Der links-liberale Christian Links Verlag erhielt im August und September 2019 mehrere Abmahnungen von der Kanzlei Höcker wegen der Veröffentlichung des Buchs "Völkische Landnahme – Alte Sippen, junge Siedler, rechte Ökos". Die „Stiftung Warentest“ schrieb im Mai 2017: „Ralf Höcker hält es für seinen Job, Journalisten zu beeinflussen, indem er sie bedroht.“

Geprägt wird die WerteUnion auch durch andere hinlänglich bekannte Mitglieder wie Hans-Georg Maaßen (Ex-Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz und mittlerweile „projektbezogener Mitarbeiter“ in der Kanzlei Höcke) sowie durch den Dresdener Politikwissenschaftler Werner J. Patzelt. Der sprach sich bereits 2004 für eine „stärkere Rechtsausrichtung der sächsischen CDU“ aus. In seiner empirischen Untersuchung zu PEGIDA erkannte er dort „normales Volk, aber keine Nazis“. Studierende des Instituts für Politikwissenschaft der TU Dresden warfen Patzelt 2015 daraufhin vor, „in der gesamten Pegida-Debatte mehr politischer Akteur denn Wissenschaftler“ zu sein und Pegida nicht nur zu analysieren, sondern mit ihr zu sympathisieren. Auch Mike Mohrings Vorbild Christean Wagner ist Mitglied der WerteUnion.

Die WerteUnion ist in der CDU durchaus umstritten, insbesondere Vertreter des Arbeitnehmerflügels werfen ihr vor, sich als Brückenkopf zur AfD zu verstehen. Wie groß ihr tatsächlicher Einfluss ist, wird sich bei der Auseinandersetzung um die Nachfolge von Annegret Kramp-Karrenbauer sowie bei der Nominierung eines/r Kanzlerkandidaten/in zeigen. Die Partei wird lange Zeit mit sich selbst beschäftigt sein und es steht zu befürchten, dass manche Impulse dabei von außerhalb kommen, nämlich aus der Ecke des AfD-Faschisten Björn Höcke.

Ob die CDU künftig noch ein Teil des demokratischen Diskurses wird sein können, hängt aber auch davon ab, ob sie in der Lage sein wird, ihr Bild von den politischen Rändern zu modifizieren. Also von jener Vorstellung, dass einerseits Linke und andererseits AfD und NPD wie ein Hufeisen die Mitte umklammern. Dabei wird der rechte Rand als Hort von Schmuddelkindern verharmlost, während der linke als antidemokratische Front diffamiert wird. Der Unvereinbarkeitsbeschluss von CDU/CSU, mit der Linkspartei auf keiner Ebene und in keiner Sachfrage zusammenzuarbeiten, hat letztlich seinen Ursprung in dieser von imaginiertem Verfolgungswahn und tiefen Bildungsdefiziten geprägten Ideologie. Zu welchen Verwerfungen diese Irrationalität führen kann, zeigen die Vorgänge in Erfurt und deren bislang sichtbare Folgen.

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Big Brother is watching you
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