small hz aufschrei1Angesagtes Totschweigen: Die Bundesregierung verweigert Angaben zu ihrer Waffenexportpraxis – auch gegen alle joviale Bekundung, Kontrolle auszuüben

Heinz Markert

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Welcher Spaßbürger und Vielflieger macht sich schon Gedanken über die todbringende Praxis bundesdeutscher Rüstungsexporte in fragwürdige Staaten wie die Türkei (gegenwärtig), Ägypten, Katar, die Vereinigten Arabischen Emirate, Algerien und Indonesien, die alle im Ruch stehen, die eigenen Leute mit gekaufter Waffengewalt an der Kritik ihrer erzwungenen Lebensumstände zu hindern.

Die profitliche Gesinnung geht dem Bürger über alles

Die profitliche Gesinnung ist das Lüstchen für den Tag und für die Nacht (Nietzsche nachgesprochen). Die bürgerliche Logik ist eine der Gewalttat. Wenn es kritisch zu werden beginnt, wird ein Hitler gewählt oder ein Höcke kalkuliert in die Regierung geholt. Die Sozis sind a priori als die Lückenbüßer zwischen den Perioden bürgerlicher Herrschaft ausersehen. 2019 hat die Bundesregierung der bürgerlich-kapitalistischen Herrschaft über das Kapital und die Arbeit die Ausfuhr von Rüstungsgütern über mehr als 8 Mrd. Euro genehmigt. Damit sich es von diesem Gewinst gut leben lasse. Im Vergleich zum Vorjahr bedeutete das einen Anstieg nahezu auf das Doppelte. 32 Prozent entfielen auf Kriegswaffen, der Rest auf sonstige militärische Ausrüstung, wie die besonders mörderischen Kleinwaffen, die immer wieder an die Falschen geraten, so an in die umstrittenen ‚Drittländer‘, in denen von Milizionären geführte Bürgerkriege toben (oder direkt an die mexikanische Mafia, wie geschehen).

Die Exporte gehen ausgerechnet in Staaten, die die Menschenrechte nicht achten. Dort landen sie in regionalen Konflikten und in den Händen von Djangos. Auch mit deutscher Waffentechnik hat Saudi-Arabien den Jemen in Schutt und Asche gebombt (‚1000 Luftangriffe und mehr‘, 11.09.2015, - ‚Berlin schweigt zu deutschen Waffen im Jemen-Krieg‘, 26.08.2019, - 'Bundespolizei bildet wieder Saudis aus', 25.01.2020). Die der Kontrolle durch das Parlament entzogene Geheimratsorganisation Bundessicherheitsrat hält den Mantel der Geheimnistuerei über die Praxis der Rüstungsexporte. Das ist bürgerliche Arkan-Politik unter Umgehung der Parlamentarier/innen. Sie werden entmündigt. Im laufenden Jahr ist die Geheimhaltungspraxis insbesondere wegen der expansiven Lieferung an die Türkei mit ihrem Django Erdogan zum Streitfall geworden, weil der überall, wo er nur Gelegenheit bekommt, auch mit deutscher Waffentechnik herumfuchtelt – genauer gesagt: Unheil stiftet.

Geheimsache Rüstungsexport

Die Bundesregierung hat die Waffenlieferungen an die Türkei erstmals zur Geheimsache erklärt. Hier hat Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier die Hand im Spiel. Er argumentiert und rechtfertigt diese Praxis mit der ‚Sorge‘, dass Zahlen und Lieferbeziehungen sowie sonst Näheres „reidentifiziert“ werden könnten. Die Partei Die Linke kündigte an, gegen diese Geheimhaltungspraxis zu klagen. Denn mit der Praxis ist auch ein Verbot, über diesen Casus Belli auch nur zu reden, verbunden. Obwohl die Türkei an den Bürgerkriegen in Syrien und Libyen Teil hat und über ihre Staatsgrenzen hinaus in benachbarte Gebiete einfällt und Völkerrecht bricht, erreichten deutsche Rüstungsexporte an die Türkei den höchsten Wert seit 14 Jahren. Konsequenterweise hat die Türkei im Januar ihren angekündigten Militäreinsatz in Libyen mit 80 Soldaten begonnen. Auch hierfür erhielt sie bereits 2019 Kriegsgerät im Gegenwert von 250,4 Mrd. Euro aus deutschen Händen. 2015 hatte dieses zuletzt um diesen Wert gelegen.

Der Nahe Osten ist aufgepumpt mit Waffen, die von den reichen bürgerlichen Industriestaaten geliefert werden. Immerhin wirft Emmanuel Macron der Türkei vor, unter Missachtung internationaler Abmachungen syrische Söldner nach Libyen gebracht zu haben. Erdogans Streitkräfte nahmen in der syrischen Provinz Idlib Baschar al-Assad-Truppen unter Feuer. Innerhalb von zwei Monaten sind mehr als eine halbe Million Menschen vor den Kämpfen, die dort auf fürchterlichste Weise toben, geflohen. Das Stockholmer Friedensforschungsinstitut Sipri hat ermittelt, dass Deutschland zu den fünf wichtigsten Waffenlieferanten der Türkei gehört – nach den USA, Südkorea, Italien und Spanien. Auf seinem Weg zur Nummer-Eins im Norden Syriens führt der Mann Erdogan Krieg gegen die eigene Art. Um ethnisch zu säubern, treibt er sie wie Vieh vor sich her. Merkt er nicht, dass diese Menschen seinesgleichen sind?

Die Zivilgesellschaft bleibt dran

Gegen die deutschen „Schreibtischtäter“ (Flyer-Aufschrift) demonstrierten letzte Woche Friedensaktivisten von ‚Rise against War‘ vor dem ‚Bundesamt für ‚Ausfuhrkontrolle‘ in Eschborn. Über deren Kampagne an der Mergenthalerallee war die Feststellung geschrieben: ‚Krieg beginnt hier‘. Wo die Kontrolle versagt ist ziviler Ungehorsam angesagt. Die Aktivisten blockierten auch die nahen Gleise zweier S-Bahn-Linien. Die Hessische Linke sprach ihnen die Solidarität aus. Begründung: „Wenn im BAFA 99,2 Prozent aller Anträge durchgewinkt werden, sind die Genehmigungsverfahren letztlich reine Makulatur“. Diese unfassbare Praxis offenbart, wohin die bürgerliche Politik am Ende führt, während die Gegner dieser Politik als unsichere Kantonisten ausgemacht werden, wenn nicht gar als Feinde der Verfassung und der bürgerlich ausgelegten Demokratie, die nun leider eben bürgerlich beschränkt, schizophren und planetarisch gesehen hochgefährlich ist.

Aktionsbündnis Aktion Aufschrei – Pax Christi, Stoppt den Waffenhandel

Es vergeht kaum eine Woche, in der diese Sammlungsbewegung unserer Redaktion keine neuen Informationen zum Rüstungsexport-Todesgewerbe an Mitglieder und die vielen Interessierten der Zivilgesellschaft übermittelt. Im Aktionsbündnis der Kampagne arbeiten 15 Organisationen und Friedensinitiativen mit. Es wird immer wieder aufgezeigt, wie angebliche Verschärfungen doch nichts anderes sind, als ‚Verschriftlichungen‘ einer schon geübten, aber durchbrochenen Praxis der Rüstungsexportkontrolle. Die Koordinatorin Susanne Weipert stellt fest: die Schritte in Richtung Kontrolle des Technologietransfers und der Kleinwaffenexport seien zwar erste Schritte in die richtige Richtung, aber die Formulierungen seien so gewählt, dass „große Spielräume für Ausnahmen und Auslegungen bleiben“. So konterkariere die Hintertür: „Übergeordnete (Waffen-) Systeme“ zwei wesentliche Elemente der Rüstungsexportkontrolle: das (Re-) Exportverbot von Kriegswaffen mit Genehmigungsvorbehalt und die Endverbleibskontrolle.

Weiter heißt es in der Mitteilung für die Medien, Berlin, vom 21.01.2020: „Dabei stellt der Deutsch-Französische „Aachener Vertrag“ vom Januar 2019 und das damit in Verbindung stehende „Abkommen zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Französischen Republik über Ausfuhrkontrollen im Rüstungsbereich“ vom Oktober 2019 eine fatale Blaupause dar. Auf Grundlage des kleinsten gemeinsamen Nenners werden die Maßstäbe für eine gemeinsame Rüstungsexportkontrolle immer weiter herabgesetzt und die Exportinteressen über fast jeden Zweifel gestellt. Auch zu diesem Deutsch-Französischen Abkommen legt die Kampagne eine ausführliche Analyse vor.

Tödliche Exporte verbieten! - Keine Ausfuhrgenehmigungen für Kleine und Leichte Waffen und dazugehörige Munition

Am Tag der Menschenrechte 2019 forderte die Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel die Bundesregierung auf, „über bloße Absichtserklärungen hinauszugehen und sich für das konsequente Exportverbot von Kleinen und Leichten Waffen sowie der zugehörigen Munition einzusetzen“. Denn gerade diese Waffen gehören aufgrund der Proliferation, der unkontrollierten Weiterverbreitung, zu einer ebenso entsetzlichen Waffenart wie eine jede große.

Weiterhin begrüße die Aktion, dass in den überarbeiteten Politischen Grundsätzen die Neuerung aufgenommen wurde, den Export von Kleinwaffen in Drittländer grundsätzlich nicht mehr zu genehmigen [...] leider jedoch könne von einem umfassenden Kleinwaffenexport in Drittstaaten bisher keine Rede sein. Denn die Politischen Grundsätze seien nicht rechtsverbindlich, da es sich um eine Formulierung handele, die Ausnahmen zulässt.

In die leichten Waffen werde auch nicht die Munition eingeschlossen und gleichzeitig sei zu bemängeln, dass der Fokus auf Drittländer nicht reiche, denn auch EU- und NATO-Staaten seien alles andere als unproblematisch. „Diese Neuerung ist also nur ein erster Schritt hin zu dem zwingend notwendigen absoluten Exportverbot für diese tödlichste aller Waffengattungen“. Das zeige der Fall Sig Sauer: „Zehntausende Waffen des deutschen Herstellers Sig Sauer wurden zunächst in die USA und von dort direkt in das Bürgerkriegsland Kolumbien weitergeliefert – trotz Endverbleibserklärungen der USA“, stellt die Kampagnensprecherin und pax christi-Generalsekretärin Christine Hoffmann fest.

So konnten „auch Endverbleibserklärungen nicht verhindern, dass G 36-Sturmgewehre des deutschen Herstellers in den mexikanischen Drogenkrieg gelangten“. Die Bundesregierung müsse endlich über Absichtserklärungen hinausgehen. – Wir hatten über diese Problematiken, die Aktion Aufschrei analytisch verfolgt und immer wieder kommuniziert, bereits berichtet, 2017 und 2019, aber geändert hat sich seitdem so gut wie nichts.

Foto © Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!