Bildschirmfoto 2020 03 28 um 00.53.15Scharaden bei Israels Regierungsbildung

Jacques Ungar

Tel Aviv (Weltexpresso) - «Never say never». Man solle nie «nie» sagen. Besser als ein Hitchcock oder irgendeiner seiner Kollegen es hätte inszenieren können, ließ die israelische Polit-Wirklichkeit diesen Satz Realität werden. Er werde nie in einer Regierung mit Netanyahu sitzen, sagte kein geringerer als Blauweiß-Chef Benny Gantz tage-, wochen- und monatelang. Das vorläufige Resultat seiner Beteuerungen: Gantz sitzt mit Netanyahu in einer Regierung, und Blauweiß, seinem eigenen geistigen Kind, versetzte der ehemalige israelische Generalstabschef den Todesstoß.

Ohne mit der Wimper zu zucken oder gar eine Träne zu vergiessen. Diese Ehre überliess er seinen ehemaligen politischen Kampfgefährten Yair Lapid und Moshe Yaalon, die in die Opposition abwandern mussten. Lapid immerhin als deren Chef. Er griff seinen ehemaligen Parteichef denn auch ungezügelt an: «Ohne Kampf kapitulierte er und kroch zur Regierung Netanyahu», fauchte er. Moshe Yaalon beschränkte sich darauf, Gantz nicht zu verstehen und enttäuscht von ihm zu sein.

 Die «neue» Knesset hat mit 72 Mandaten mehr als genug, um eine zumindest zahlenmässig stabile Regierung zu bilden. Vorgesehen ist, dass Netanyahu anderthalb Jahre lang Premierminister sein soll, bevor Gantz für die gleichlange Periode ablösen wird. So zumindest haben sie es ausgemacht, doch nach den zahlreichen Lügen, Täuschungen und dergleichen mehr, die an der Wiege des neugeborenen Babys Pate gestanden sind, wäre es höchst gewagt, heute schon einen Pfifferling darauf zu setzen, dass der Wechsel zwischen den beiden so grundverschiedenen Kumpel im September 2021 effektiv so über die Bühne gehen wird, wie geplant.

Heute sieht die präsumptive Ämterverteilung wie folgt aus: Netanyahu Premier, Gantz und Gabi Aschkenasy teilen sich in die Ämter des Außen- und des Veteidigungsministers, Der Justizminister kommt aus den Reihen von «Chossen Israel» (was soviel ist wie «Israels Widerstandskraft»), Bildungsminister wird entweder Rafi Peretz oder Ayelet Shaked, Innenminister bleibt Arie Deri, genauso wie Yaacov Ltzman weiterhin das Amt des Gesundheitsministers versehen wird. Naftali Bennett wird entweder Minister für innere Sicherheit, vielleicht aber auch Finanzminister, und die Minister für Kultur und Kommunikation kommen von «Chossen Israel».

Finanzminister soll der bisherige Außenminister Israel Katz werden. Bevor wir es vergessen: Benny Gantz bleibt so lange Knessetsprecher, bis die neue Koalition unter Dach und Fach ist. Dann wird höchst wahrscheinlich kein anderer als Yuli Edelstein das Amt übernehmen, der Mann, der erst vor ein paar Tagen unter den übelsten Beschimpfungen an die Adresse des Obersten Gerichtshofs von ebendiesem Amt zurückgetreten ist. Die erste Ohrfeige hat Edelstein dem israelischen Rechtswesen verpasst, doch die zweite Klatsche stammt von Benny Gantz, der mit seiner Zustimmung zu dieser erbärmlichen Rochade bewies, dass er bereits heute ergebenster Diener von «His Masters Voice» alias Binyamin Netanyahu ist. Die neue israelische Koalitionsregierung wird wahrscheinlich rund 30 Ministerumfassen. Die meisten der hier nicht genannten Posten gehen an Vertreter des rechten und religiösen Flügels. Never say never oder sinngemäss verdeutscht: Es gibt nichts, was es nicht gibt. Zumindest nicht in Israels Politik.

Foto:
Benny Gantz
© tachles

Info:
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 27. März  2020