mundschutz mdr.deNachdenken in der Krise - Über das Gespenst der Radioaktivität zum Beispiel

Kurt Nelhiebel

Bremen (Weltexpresso) – Bis gestern gab es in Deutschland rund 64 000 bestätigte Corona-Fälle und rund 600 Tote, und ein Ende der Horrormeldungen ist vorerst nicht in Sicht. So als hätten alle Schutzmaßnahmen nichts genutzt, sollen jetzt zusätzlich auch noch Schutzmasken getragen werden. Übermorgen wird uns vielleicht empfohlen, nur noch abgekochtes Wasser zu trinken.

Alle meinen es gut, aber die Luft um uns herum wird durch vielen Ratschläge immer dünner. Höchste Zeit, die Relationen etwas zu recht zu rücken. Laut „Ärzteblatt“ hat die Grippewelle 2017/18 schätzungsweise 25.100 Menschen in Deutschland das Leben gekostet. Nach Angaben des Präsidenten des Robert-Koch-Institutes, Lothar Wieler, war das die höchste Zahl an Grippe-Todesfällen in den vergangenen 30 Jahren. Dabei gab es stets einen Impfstoff. Gegen das Coronavirus gibt es (noch) keinen.

Dennoch fragt man sich im Nachhinein, weshalb bei mehr als 25.000 Grippe-Toten niemand in Panik verfiel, während jetzt bei rund 600 Toten das gesamte öffentliche und wirtschaftliche Leben fast zum Erliegen gebracht wird, um dem Virus Paroli zu bieten. Gründliches Händewaschen mit Seife und Abstandhalten waren neben dem Rat, sich impfen zu lassen, das Einzige, was Experten den Menschen damals vorschlugen. Niemand sprach von einem drohenden Zusammenbruch unseres Gesundheitswesens und unserer Krankenhäuser. Auch nicht angesichts von alljährlich mehr als 230 000 Krebstoten in Deutschland. Ja, Krebs ist nicht ansteckend, aber alle scheinen sich damit abgefunden zu haben, dass diese tückische Krankheit uns als zweithäufigste Todesursache begleitet.

Dabei gäbe es gute Gründe, unser Mitgefühl auf Gebiete jenseits unserer Grenzen auszudehnen. Die Johns-Hopkins-Universität beziffert die Corona-Todesfälle derzeit weltweit auf 37.829. Nach Angaben von Unicef sterben weltweit jeden Tag 15.000 Kinder wegen schlechter hygienischer Bedingungen und unzureichender Ernährung. 2016 waren es unfassliche 5,6 Millionen. Zur selben Zeit stiegen die Militärausgaben nach Daten des Friedensforschungsinstituts Sipri weltweit auf umgerechnet mehr als 1.600 Milliarden Euro. Sie sind  damit so hoch wie seit 30 Jahren nicht mehr. Deutschland war daran  2018 mit 49,5 Milliarden Dollar beteiligt, die USA mit 649 Milliarden Dollar, China mit 250 Milliarden Dollar und Russland mit 61, 4 Milliarden.


Die Hälfte der Militärausgaben wäre im Gesundheitswesen und bei der Bezahlung der Krankenhausmitarbeiter besser angelegt. Das würde den kranken und gesunden Menschen mehr Sicherheit geben, als alle Waffen zusammen. Wer die verheerenden Auswirkungen des ersten Atombombenabwurfes und die Folgen der radioaktiven Wolke noch in Erinnerung hat, die vor 34 Jahren nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl über Europa zog und hier ihre Spuren hinterließ, kann die allgemeine Gleichgültigkeit gegenüber  der allgegenwärtigen radioaktiven Gefahr nur schwer verstehen.

Anders als bei der Corona-Pandemie ist ein Ende  bei ihr nicht abzusehen. Auch in der weiteren Umgebung von Tschernobyl hat die radioaktive Strahlung nach so langer Zeit nicht nachgelassen, sondern eher zugenommen. Beeren und Pilze sind nach wie vor hochgefährlich. Daran wird sich auch die nächsten 270 Jahre nichts ändern, berichtet Rob Edwards im New Scientist. Ein Gemeinsames gibt es allerdings: Reiche und Arme werden in gleicher Weise getroffen. Ob mit oder ohne Mundschutz.

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